Kriegspredigten von 1933 bis 1945

Auf in den Tod!

GRAZ. (hpd) Prof. Dr. Anton Grabner-Haider geht in seinem Artikel den Spuren der Theologie in der NS-Ideologie nach. Die Grundthese lautet, dass ohne die Kriegspredigten von 1914 bis 1918 diese Großideologie gar nicht entstehen hätte können. Sie hätte ohne die Unterstützung der Theologen und der Kirchenleitungen ihre politische und militärische Effizienz nie erreichen können.

Kurz wird hier den großen Ideologien des 19. Jh. nachgegangen, aus denen sich die NS-Ideologie aufbaute. Der ideelle und moralische Beitrag der Theologen und der Religion zu den beiden Weltkriegen in Europa ist ungleich stärker als bisher von den Historikern angenommen worden ist.1

H. Münkler schrieb 2013, die geistige, moralische und religiöse Aufrüstung sei zwischen 1914 und 1918 so stark und umfassend gewesen, dass vorzeitige Friedensverhandlungen nie eine Chance haben konnten. Die geistige Mobilmachung war auf allen Seiten der Fronten stark, in Frankreich, in England, im Deutschen Reich, in Österreich-Ungarn, in Russland und im Osmanischen Reich, später auch in den USA. Hier soll nur auf die deutschen und österreichischen Kriegspredigten näher eingegangen werden. Die Theologen und die Philosophen hatten zu dieser Zeit ein besonderes Gewicht, sie galten als die Eliten der Gesellschaft und der Kultur. 96% der Bewohner des Deutschen Reiches gehörten einer Kirche an. Sofort mit dem Beginn des Krieges im August 1914 verfassten die bekanntesten Theologen beider Kirchen Kleinschriften für die Feldprediger und Offiziere. Diese Kriegslehren wurden in den sonntäglichen Predigten der Feldpfarrer und in den Ansprachen der Offiziere an die Soldaten weitergegeben.2

Im Deutschen Reich gehörten ungefähr 66 Prozent der Gläubigen der protestantischen Kirche an, ca. 34 Prozent der katholischen Kirchen. Nun schrieb der protestantische Theologe Ernst Troeltsch im August 1914, mit dem großen Krieg beginne ein Existenzkampf der Deutschen, aber er sei mit heldischer Gesinnung zu gewinnen. Die Predigten der Feldpfarrer sollen für die Soldaten wie ein Flammenzeichen sein, Gott Jahwe ziehe mit den deutschen Heeren. Der Kampf gelte nun der Tücke der Slawen und der Rachsucht der Franzosen, die gesamte deutsche Kultur sei bedroht. Der russische Knechtsgeist und der englische Liberalismus müssten niedergerungen werden. Der Krieg erhöhe die Moral des Volkes, die in der langen Friedenszeit schon stark geschwächt worden sei. Von nun an stünden die deutschen Heere in einem apokalyptischen "Weltenbrand", doch sie würden vom "Herrn der Heerscharen" geleitet.3

Der Krieg aber brauche keine weichliche Humanität, mit "Eisen und Blut" (Bismarck) müssten die dekadenten Zielwerte der rationalen Aufklärung niedergekämpft werden. Dem deutschen Glauben sei eine göttliche Weltmission anvertraut worden, der politische und religiöse Glaube an eine göttliche Weltregierung habe die Deutschen erst zu einem der großen Weltvölker gemacht. Deshalb sei der Krieg ein göttliches Werk, die Soldaten müssten von jetzt an über viele Leichen und Tote schreiten. Alle Mittel des Kampfes müssten ab sofort anerkannt werden, denn über Fragen der Moral dürfe im großen Krieg gar nicht diskutiert werden. Die herkömmliche Moral sei außer Kraft gesetzt, ein höherer göttlicher Auftrag sei zu erfüllen. Der "Herr der Geschichte" sei mit dem deutschen Volk, der deutsche Geist habe nun einen Auftrag für Europa, ja für die ganze Welt zu erfüllen. Und im deutschen Heldenglauben vereinige sich die Liebe zum Vaterland mit dem deutschen Wesen. Ein Kulturkrieg gegen die Agitation der westlichen und demokratischen Ideen der Französischen Revolution sei in Gang gekommen, in diesem Krieg falle durch das Kriegsrecht die Tyrannei der vielen Parteien und der freien Presse einfach weg. Alle müssten sich für das Ganze hingeben, die deutsche Freiheit sei auf Gehorsam aufgebaut und sie brauche keine allgemeinen Menschenrechte. In diesem Krieg geschehe die "Wiedergeburt" des deutschen Wesens, nun gelte das Evangelium des deutschen und des nationalen Geistes.4

Der metaphysische Glaube an die göttliche Weltbestimmung des deutschen Volkes müsse mit allen Mitteln verteidigt werden. Die entartete Subjektivität der Engländer und der Franzosen müsse beendet werden, es gehe um die volle Hingabe an den deutschen Nationalgeist. Darin geschehe die "göttliche Weltwerdung" (vgl. Hegels Weltgeist) im Krieg, die Menschen würden wieder stärker zu Religion und Metaphysik hingelenkt. Der Deutsche Idealismus habe die Lebensflut des deutschen Volkes entdeckt, in der Absolutheit des Glaubens offenbare sich immer das Göttliche. Die Intellektuellen seien in der langen Friedenszeit "kulturkrank" geworden, doch das gesunde Volk wisse noch um Pflichterfüllung, um Treue und um Tapferkeit. Von nun an müssten die Theologen und Prediger harte "Kriegsarbeit" leisten, denn die Ideen der Französischen Revolution müssten ausgelöscht werden. Der Einzelne müsse sich dem Volk einordnen, ein nationaler Sozialismus im Sinne von Johann Plenge sei denkbar geworden.5

Andere Theologen schrieben, der Krieg sei eine göttliche Fügung, die deutschen Soldaten trügen die Flamme des heiligen Glaubens gegen die "Barbarei" im Osten und gegen die "Überkultur" im Westen. Die Not des Krieges kenne nun keine moralischen Gebote und Verbote mehr, sie bringe dem Volk die Bekehrung zum Vaterland. Daher sprach Adolf von Harnack von der religiösen Verklärung der Opfer, des Blutes und der Tränen. Die Soldaten seien sogar dankbar, dass sie ihr Leben für das Volk und das Vaterland hingeben durften, denn sie schauten das Ewige. Sie könnten fromm und feierlich in den Tod gehen, weil sie an die Auferstehung bei Gott glauben. Trotzig schreien sie wie Paulus von Tarsos: "Tod, wo ist dein Stachel?" Jetzt geschehe das göttliche Gericht über die Völker, die deutschen Heere werden von höheren Mächten geleitet.6

So schrieben Theologen vom sicheren Schreibtisch aus, denn sie mussten nicht in den Krieg ziehen. Und sie hatten diese Kriegslehren ja ständig in ihren Schubladen und Gebetbüchern, sie wurden durch viele Jahrhunderte gepredigt.