BERLIN. (hpd) Nach der Veröffentlichung des Lehrschreibens von Papst Franziskus gab es viel Aufschrei: Manche Kircheninitiative war begeistert von den "Reformen", die der Pontifex angestoßen haben soll. Viele Kritiker sahen dagegen eher eine riesige Enttäuschung über die minimalen Zugeständnisse an die Ortskirchen, die nun im Einzelfall darüber entscheiden sollen, wie mit Christen in angeblicher Sünde umgegangen werden darf.
Dazu gehören die Homosexuellen, die die katholische Kirche im Jahr 2016 nun tatsächlich bereits als Menschen ansieht, denen man Respekt und Würde zuzugestehen habe. Es sind aber gleichermaßen auch die Wiederverheirateten, die durch ihre Scheidung eigentlich jedes Recht verwirkt haben, am Sakrament der Kommunion teilzunehmen, die im Mittelpunkt von "Amoris Laetitia" stehen.
Während sich gerade bei Schwulen und Lesben abzeichnete, dass Franziskus keine revolutionären Änderungen in der katholischen Lehre einleiten würde, wird von den deutschen Bischöfen aber die Ermächtigung, wonach der Priester der Gemeinde künftig selbst abwägen kann, ob er wiederverheiratete Geschiedene zur Eucharistie zulässt, als großer Fortschritt bewertet. Man gehe nun auf die Menschen zu, beschäftige sich mit ihren Lebensgeschichten, wird argumentiert. Dass die Entscheidung dagegen einen weiteren, massiven Einschnitt in die Privatsphäre der Gläubigen bedeutet, blieb in allem Freudentaumel der Theologen völlig unbeachtet. Bischöfe und Kardinäle legten die Wegweisung des Papstes ganz im Sinne des Machtbestrebens der Kirche aus, die schon bald ganz besonderes Interesse an den alltäglichen Gewohnheiten ihrer Schäfchen entwickeln dürfte.
Denn der Ortspfarrer möchte künftig wissen, warum eine Ehe zu Bruch gegangen, wer der neue Liebhaber und welche Buße das Gemeindemitglied zu tun bereit ist. Denn erst dann kann der Abtrünnige wieder in den Kreis der Teilnahmeberechtigten am "Leib Christi" aufgenommen werden. Die Schuldfrage für eine Scheidung solle geklärt werden, führte ein ranghoher Geistlicher in seinen kommentierenden Worten aus. In Deutschland dachte man früher auch so. Da suchten Richter danach, wer verantwortlich für das Ehe-Aus ist, um dem "Angeklagten" die Scheidungskosten aufbrummen zu können. Die Kirche macht dieses Prinzip wieder hoffähig – und untermauert einmal mehr ihre Rückwärtsgewandtheit. Viel schlimmer aber: Was geht sie es an, mit wem ich es im Bett treibe? Warum ich mich getrennt habe? Und ob meine Kinder vielleicht einen bleibenden Schaden von dem Entzweien unserer Elternschaft davon tragen?
Um eine Hostie zu bekommen, soll man sein Intimstes offenlegen? Das ist Erpressung – auch wenn ich mir nur schwer vorstellen will, wie solch eine Oblate derart verlockend sein kann, dass ich dafür einem unbekannten Mann in Gewändern mein Herz ausschütte. Und mit der biblischen Lehre hat es schon gar nichts zu tun. Bei Jesus musste sich niemand rechtfertigen, um am Abendmahl teilnehmen zu können, im Gegenteil. Abseits der Frage, wer nun Sünder ist oder nicht, waren alle eingeladen – und gerade deshalb sind sie willkommen gewesen, weil sie alle nicht unfehlbar waren. Gnade und Barmherzigkeit versteht sich da nicht als das bemitleidende Herabbücken zu dem Schuldiggewordenen, sondern Annahme eines Jeden, unabhängig seiner Vorgeschichte. Reumütig müsse sich der Gläubige zeigen, seine Verfehlungen aufarbeiten. Wenn meine Ehe gescheitert ist, rede ich vielleicht mit einem Therapeuten darüber, aber nicht mit dem Pfarrer von nebenan!
Woher nimmt sich die Kirche das Recht, von mir eine Offenlegung meiner Beweggründe über Scheidung und Wiederverheiratung zu verlangen? Nur, damit ich an diesem "Heil" aus der Verheißung eines "Auferstandenen" teilhaben darf? Anmaßung, das konnte Rom schon immer. Und nein, es hat nichts mit Zugewandtheit zu den Menschen zu tun, wenn Franziskus nun den Freifahrtsschein erteilt, wonach gerade der im Zölibat lebende Priester den Coach für zerbrochene Liebesbeziehungen spielen darf. Viel eher ist es der Versuch, die Kirche noch tiefer in das Innerste der Persönlichkeit der Mitglieder vordringen zu lassen. Da wird mit Gefühlen gespielt, es wird mit der Rückkehr in die Gemeinschaft gelockt, während die Bedingung gestellt bleibt, sich emotional zu entblößen. Für mich hat das bereits sektenhafte Züge. Was ist das für ein Menschenbild, jemanden in einer gesellschaftlich leider noch immer oftmals verpönten Situation noch damit zu gängeln, sozialen Halt nur im Gegenzug zur moralischen Selbstbestrafung zu gewähren?
Früher zahlte man seine Taler, um die Sünden loszuwerden. Heute verkauft man seine ganze Seele an die Kirche, um wieder dazugehören zu dürfen. Da will sie wissen, ob wir auch keinen Geschlechtsverkehr vor der Ehe haben, ob wir unzulässigerweise verhüten, ob wir auch ausreichend Kinder in die Welt setzen, nach dem Versprechen auf ewige Treue auch bis zum Lebensende zusammenbleiben – und wenn nicht, wer von beiden den Partner und die Kinder sitzen ließ, in wen man sich neuerlich verguckt hat und ob man in der zweiten Ehe auch weiterhin bereut und Selbstgeißelung dafür verübt, die erste Beziehung leichtfertig aufs Spiel gesetzt zu haben. Denn dass es tatsächlich Gründe geben mag, eine Zweisamkeit zu beenden, ist für die Kirche eigentlich unvorstellbar. Einmal versprochen, nie mehr gebrochen. Denn ob bei Enthaltsamkeit, Familienführung und Ja-Wort – die Erwartungen der selbsternannten Instanz in Sachen Lebensfragen sind idealisiert, haben mit dem Menschsein aber nichts zu tun. Wie fernab ihr normatives Mahnen vom Lebemann aus der „Heiligen Schrift“ ist, gesteht sie natürlich nicht ein.
Rom macht es eigentlich alles noch schlimmer: Da soll ein Fortschritt verkauft werden, der in Wahrheit noch mehr bevormundet als es die Zementierung der jahrhundertealten Traditionen ohnehin schon tut. Nein, auch Franziskus will keinen Wandel. Die Abgabe von Kompetenzen an die Kirchen vor Ort ist ein Ausdruck seiner Hilflosigkeit, umwandert zu sein von einer erzkonservativen Lobby, die es selbst dem Oberhaupt der Katholiken nicht erlaubt, eigenmächtig zu handeln und vielleicht tatsächlich einmal aufzuräumen mit beweihräucherten Dogmen früher Zeiten. Dass die Entfremdung von den Gläubigen wächst, ist hierbei keine wirkliche Neuigkeit. Vielleicht eher, dass nun auch diejenigen Gläubigen ins Grübeln kommen könnten, die bisher noch aus schlechtem Gewissen in den Reihen des Hirten verblieben – weil "man" eben schon seit Urzeiten zur Kirche gehört. Denn wer möchte tatsächlich, dass irgendwann Hochwürden höchstpersönlich zu "Big Brother" im heimischen Schlafzimmer mutiert?
14 Kommentare
Kommentare
Wolfgang am Permanenter Link
Die größte Sünde des Menschen besteht darin, an Märchen zu glauben, wegen eines imaginären gottes andere zu töten oder anderen das Menschsein abzusprechen, mit staatlicher Unterstützung.
Charakter doch so ein gott hat!
Thomas am Permanenter Link
"Nein, auch Franziskus will keinen Wandel."
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Noncredist am Permanenter Link
>> Da wird mit Gefühlen gespielt, es wird mit der Rückkehr in die Gemeinschaft gelockt, während die Bedingung gestellt bleibt, sich emotional zu entblößen. <<
Überrascht?
Aus dem Munde der "Gotteskenner" wird die Behauptung dargebracht, dass ein Gott angeblich BEDINGUNGSLOSE (-> LOSE!) Liebe besitzen würde. Gleichzeitig wird die Anteilnahme an den Aktionen des Vereins nur dann gewährt, wenn diese BEDINGUNG erfüllt wird. Und was macht dieser ominöse Gott der Bedingungslosigkeit? Genau. Garnichts. Exakt das was man vermuten würde, wenn es keine Gottheit mit diesen Eigenschaften geben würde ;)
Die Kirche möchte gerne ALLES vom Leben der Menschen wissen und kontrollieren. Diese "Beichte" über das Schlafzimmerverhalten, was einer Gottheit in etwa so egal sein dürfte wie kaum was anderes im Universum, ist ein perfektes Mittel. In unserer Gesellschaft ist das sexuelle Tabu ein perfektes Druckmittel.
Meiner Meinung nach ist das beste Mittel, um mit dieser erzwungenen Datensammelwut der Berufschristen umzugehen, der bedingungslose Austritt aus exakt dieser Gemeinschaft. Wer an einen Gott mit Attributen wie etwa einer bedingungslosen Liebe glaubt, der hat nicht im geringstem eine Verpflichtung gegenüber irgendwelchen Berufschristen. Wer Angst vor etwaigen Götterstrafen besitzt, nur weil "der Plan Gottes" in der Ehe schief gelaufen ist, ist schon voll und ganz in die kirchliche Falle getappt.
Austritt. Ganz einfach.
Arno Gebauer, ... am Permanenter Link
Guten Tag,
es schon lange überfällig, dass der Papst sich mal zur "unbefleckten Empfängnis"
äußern sollte. Immer noch nicht ist klar, ob er damit die Befruchtung im Reagenzglas meint.
Alle Päpste hatten scheinbar immer große Schwierigkeiten im Umgang
mit den untergebenen Homosexuellen, die ja im Vatikan sehr häufig anzutreffen sind.
Dem Papst stört, dass diese Untergebenen auch Spaß hier auf Erden haben können,
welcher ja dem Jenseits als Belohnung vorbehalten sein soll.
Der Papst hat noch nicht die Botschaft von seinem Chef vernommen, dass Sex
die intimste Form von Kommunikation ist, die uns Menschen zur Verfügung steht.
Wir berühren uns in einer Art, die uns etwas bedeutet und dabei hat der Papst
wirklich nichts zu suchen.
Wenn ich Sex habe und der Papst würde mit im Bett liegen, hätte ich
unfreiwillig den Coitus interruptus.
Viele Grüße
Arno Gebauer
Wolfgang am Permanenter Link
Eine Empfängnis ist immer unbefleckt! Oder??
Udo Endruscheit am Permanenter Link
Die Schäfchen merken doch wieder gar nicht, wie sie unter dem Deckmantel des Fortschritts noch mehr an die Leine genommen werden.
Sektenhafte Züge, in der Tat. Sehr freundlich ausgedrückt. Mir tut im Grunde jeder bitter leid, der so strukturiert ist, sich einer solchen Menschenverachtung zu unterwerfen.
Schwabe am Permanenter Link
Guten Tag, Herr Riehle, ....wäre es denn keine erwägenswerte Alternative für Leute, die unbedingt glauben, die "Sakramente" empfangen zu müssen, um ihr Seelenheit abzusichern, sie würden sich einfach in eine
Thomas Heinz am Permanenter Link
Dass die im Grundgesetz verankerte Menschenwürde von den Kirchen in ein gottgewollte Würde umgewandelt wird, um sie mit dem kirchlich erwünschten Willen in Einklang zu bringen, ist hinlänglich bekannt.
Dr. Emmerich Lakatha am Permanenter Link
Es ist immer dasselbe: Wer an Offenbarungen und/oder an ein göttliches Wesen glaubt, verliert den Kontakt zur Wirklichkeit.
Wolfgang am Permanenter Link
Mir ist es im Grunde völlig egal, ob einer an Horoskope glaubt oder zu einer Wahrsagerin geht. Aber wenn mit staatlicher Duldung und Finanzierung ein Märchen als Wahrheit zelebriert wird, dann werde ich zum Jäger.
allwissender und allgegenwärtiger Gott noch Pfarrer, Priester, Bischöfe, Erzbischöfe, Kardinäle und einen Stellvertreter auf Erden?
Da fangen doch die Widersprüche schon an!
Dr. Emmerich Lakatha am Permanenter Link
Ich kann mir mit deiner Antwort nichts anfangen. Wo willst du hinaus?
Wolfgang am Permanenter Link
Christentum, Kirche und ein Gott: drei Märchen! Märchen vom Staat geschützt und gestützt. Mohammed das vierte Märchen.
Welche Religion ich bekenne?
Keine von denen, die du mir nennst.
Und warum nicht?
Aus Religion!
Friedrich Schiller
Dr. Emmerich Lakatha am Permanenter Link
Es ist immer dasselbe: Wer an Offenbarungen und/oder an ein göttliches Wesen glaubt, verliert den Kontakt zur Wirklichkeit.
Hast Du dagegen Einwände, dann sae sie. Ansonsten interessieren m ich Deine Wortspenden nicht.
Wolfgang am Permanenter Link
Ich bin Atheist, sehr rege. Ich ärgere Pfarrer und Pastoren, mache vor Bistümern nicht halt. Kein Hass, keine Unterwerfung, nur auf
Zum Lachen, nicht Totlachen.