Trennung von Staat und Kirche in allen Lebensfragen

Sterbehilfe und Selbstbestimmung

Mit dem Thema Trennung von Staat und Kirche sind vordergründig die finanziellen Aspekte, der offene und versteckte Protektionismus und das Sponsoring zugunsten der Großkirchen, gemeint. Es gibt daneben jedoch auch gesinnungsmäßige Aspekt, wie z.B. das "Hofieren" kirchlicher Würdenträger oder die "regierungsamtliche" Teilnahme an religiösen Veranstaltungen, die unter diesem Stichwort anzuprangern sind.

Neben diesen Bereichen gibt es jedoch noch andere Bereiche, in denen sich weitgehend unbemerkt christlich/klerikale Vorstellungen breitgemacht haben und ungeachtet humanistischer Aufklärung und verfassungsrechtlicher Vorgaben nach wie vor die gesellschaftlichen Wertvorstellungen prägen. Dies geschieht insbesondere durch die Ausgestaltung von Rechtsvorschriften. Diese Bereiche betreffen insbesondere die Sexualität und das Leben an sich. Auch hier wird den Kirchen eine für alle Menschen geltende Deutungs- und Gestaltungsmacht eingeräumt, die nicht der Verfassung eines religiös neutralen Staates entspricht. Der Kampf um die Anerkennung sog. Homo-Ehe und deren vollständige Gleichstellung (Adoption; Erbrecht) ist noch nicht beendet. Die Stichworte zum "Leben": Künstliche Empfängnis, Präimplantationsdiagnostik, Abtreibung und Sterbehilfe. In jedem dieser Bereiche bestimmt noch immer das klerikale Denken den gesellschaftlichen und staatlich geregelten Umgang. Da die drei zuerst genannten oft abgehandelt und die Problemlagen für Interessierte bekannt sind, möchte ich mich hier nur dem Thema Sterbehilfe zuwenden.

Im Unterschied – zu den als Ausnahme anzusehenden Staaten – Schweiz, Belgien und den Niederlanden, ist es in Deutschland einem sterbenskranken und/oder schwerstleidenden Menschen nicht gestattet, selbst über das Ende seines Lebens zu entscheiden. Der Staat stellt jegliches Mitwirken oder Unterstützen unter Strafe und trägt erst recht keine diesbezügliche Kosten. Bei der Pflege nimmt man dagegen jegliche Kosten in Kauf, auch wenn dies dem Willen des Sterbenskranken widerspricht. Offenbar ist dies für die Gläubiger ein erträgliches Geschäft, das aus ideologischen Gründen nicht hinterfragt wird. Dies wird als vermeintlich "christlich eindeutig geregelter Standard" so hingenommen. Allerdings gibt es keinerlei "alt-" oder "neutestamentliche" Aussagen, die diese Auffassung in irgendeiner Weise durch religiöse Gebote stützen. Und schon gar nicht gelten religiöse Gebote für Nichtgläubige, deren Selbstberstimmungsrecht gleichfalls menschenunwürdig missachtet wird. Dass das Leiden als "gottgewollt" und deshalb als hinzunehmend dargestellt wird, ist allein auf klerikale Ideologie zurück zu führen. Nur der leidende Mensch bedarf ja der kirchlichen Fürsprache, nicht der selbstverantwortliche und selbstbewusste Mensch. Früher redete man ja auch Kranken ein, dass die Krankheit "Gottes Strafe" - wofür auch immer - sei. Auch bei Epidemien versäumte man nicht, auf das offenbar vorhandene göttliche Strafen hinzuweisen – und zogen auch daraus zum Beispiel auch die Schlüsse, dass Juden oder sonstige Minderheiten die Verantwortlichen und demzufolge unnachsichtig zu bestrafen seien. Noch heute gelingt es offenbar nur wenigen, die Absichten oder auch den Aberglauben hinter diesen Strategien zu durchschauen. Mit Angst und Schrecken hielt man so die Gläubigen bei der Stange und diese waren ja ungebildet und unwissend genug, dieses Geschwätz für bare Münze zu nehmen und durch devote Haltungen sich das Wohlgefallen und die vermeintliche Unterstützung der Glaubensobrigkeiten sichern zu wollen. Und so kommt auch dem Leiden zum Tode hin eine "göttliche Aura" zu. Das Dulden bis zum bitteren Ende ist nur die theologische Ideologie, die den Menschen so lange als möglich der Herrschaft der Kirche erhalten und als "mahnendes Beispiel" einer göttlichen Bedeutung dienen soll.

Auch wenn niemand gerne an seinen eigenen Tod denken mag, er kommt – und dann vielleicht so, dass die menschliche Würde keinen Raum mehr hat. Kann jemand einen rationalen Grund dafür nennen, warum wir uns in unserer Gesellschaft so schwer damit tun, einem Menschen seine Würde zu belassen und ihn stattdessen in zahllosen Fällen sogar lieber und entgegen seinem ausdrücklichen Willen doch tage-, wochen- oder jahrelang dahinvegetieren lassen? Auf das "Ausmalen" dieser Situationen verzichte ich – dies kann jeder für sich und sein eigenes mögliches Lebensende selbst tun.

Artikel 1 Grundgesetz:

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Artikel 2 GG

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Artikel 4 GG

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

Ich habe hier absichtlich alle maßgeblichen Verfassungsvorgaben wiedergegeben, da sich gerade aus der Gesamtschau ergibt, dass der Staat durch seine restriktive Interpretation und Weigerung diese Rechte für Menschen, die keinen lebenswerten Ausweg mehr für sich sehen, missachtet. Mit der Ausgestaltung der gegenwärtigen Rechtslage verhält sich der Staat gerade nicht neutral, sondern übernimmt klerikal geprägte Lebensvorstellungen. Es bleibt selbstverständlich jedem unbenommen, sich nach diesen zu richten – es kann aber nicht sein, dass auch diejenigen, die dieser Weltsicht nichts oder aufgrund ihrer Lebenssituation nichts mehr abgewinnen können, sich gleichwohl unter derartige Maßreglungen zu beugen haben. Es bleibt selbstredend jedem Menschen unbenommen, nichts für eine Verkürzung seines Lebens zu unternehmen und sich einfach dem Schicksal zu fügen und alles hinzunehmen.

Um es glasklar zu formulieren: Es geht in keiner Weise um die Entscheidung irgendwelcher Dritter, wie immer wieder verzerrend hervorgezerrt wird, sondern einzig und allein um die Entscheidung eines Schwerstkranken über sein eigenes Leben. Alle Gründe, die man als Gegenargumente vernehmen kann, sind entweder religiösen Ideologien – bevormundend auch für Nichtgläubige - oder ist der Lobby der Gerätemediziner geschuldet. Auch der angeblich zu befürchtende Missbrauch konnte durch wirksame Einschaltung Dritter (Arzt/Notar/Berater/Vertrauensperson etc.) und klare gesetzliche Regelungen konsequent unterbunden werden. Einen Missbrauch stellt es dagegen dar, wenn der Mensch auf seinem letzten Weg seiner Würde und seinem Selbstverständnis beraubt wird. Warum wir darauf beharren, schwerstkranken Menschen so ihre Würde zu nehmen, sie zu Objekten der Versorgung, zu Anhängsel an Geräte machen und sie nicht selbst über die Beendigung ihres Lebens und ihres Leides entscheiden lassen, ist ein skandalöses Versagen – auch und gerade von denjenigen, die ansonsten Nächstenliebe gar nicht genug predigen können. Ein Umdenken erst bei eigener Betroffenheit kommt für jeden zu spät und ändert gesellschaftlich nichts. Sterbende können nicht mehr für ihre Rechte kämpfen.

"Es geht ... einzig und allein um die Entscheidung eines Schwerstkranken über sein eigenes Leben."

Wer einmal über dieses Thema nachdenkt, wird vielleicht auch bereit sein, über menschlichere Lösungen nachzudenken und auf eine Änderung hinwirken wollen. Nicht nur im Leben sondern auch im Sterben sollte die Menschenwürde gewahrt werden. Wo seine Würde anfängt und wo sie zu enden droht, kann nur jeder Mensch für sich selbst beantworten. Dass ein kirchlich vorgegebenes Denken losgelöst von der Lebenssituation der Betroffenen sich Regelungskompetenzen anmaßt und sich der Staat diesen Vorstellungen immer noch unterwirft, sollte in einer aufgeklärten Gesellschaft jedenfalls nicht länger hingenommen werden.

Um es abschließend noch einmal deutlich zu machen: Es geht hier einzig und allein um die Respektierung eines Sterbenwillens eines Schwerstkranken und ein staatlich "neutrales" und nicht ideologisch geprägtes Verhalten – und sonst nichts.

Geradezu entlarvend ist nun (Anm.: dieser Beitrag wurde 2015 verfasst!), dass sich sowohl der Kirchentheologe Küng als auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Schneider im Hinblick auf das eigene bzw. das Schicksal der Ehefrau um eine andere Bewertung der Sterbehilfe bemühen. Als geradezu dreist muss man es bezeichnen, wenn man früher alles abgeblockt hat, was nach verständiger Lösung dieser schwierigen Frage hätte aussehen können, dann aber für sich selbst – und eben über das Ausland (!) – sich die Linderung und das Ende zu verschaffen will, und dass man anderen, die weder Mittel noch Möglichkeiten haben, sich zur Hilfe beim Sterben ins Ausland abzusetzen, diesen genau das immer erfolgreich verwehrt (hat).

Auffallend ist bei dieser überfälligen Diskussion um eine Regelung der Sterbehilfe die ständig wiederholte Formulierung von der "gewerblichen" Sterbehilfe. Von einem "gewerblichen" Gesundheitswesen oder von einer "gewerblichen" Kinderbetreuung u.a. liest man dagegen nichts. Mit dieser Formulierung beginnt schon die Diskriminierung der Befürworter einer humaneren Regelung. Es geht zudem und eigentlich nicht vor allem um ein "gewerblich", sondern die Frage, wie man dazu steht. Wie lügenhaft hier argumentiert wird, wird einem vollständig klar, wenn man ansonsten die Lobgesänge auf den Markt hört. Was ist denn verwerflich, wenn man nicht nur bei Kinderbetreuung, Altenpflege, Behinderten und dann eben auch bei einer Sterbehilfe auch Geld verdient? Ist diese Hilfe und dieser Dienst dazu nichts wert? Auch hier geht es letztlich nicht um den Markt, sondern um eine angepasste und verantwortungsbewusste Marktregelung. Auch ein Beerdigungsprediger oder Leichenwäscher verdient mit dem Tod sein Geld, ohne dass dies irgendwie als anstößig empfunden wird. Wieso soll dann ausgerechnet eine Sterbehilfe "um Gottes Lohn" und damit ohne finanziellen Ausgleich oder meinetwegen auch Gewinn tätig werden?

Hartnäckig wird auch ignoriert, dass die Diskussion deshalb zu führen ist, da sie von Schwerst- und tödlich Erkrankten angemahnt wird. Welche Anmaßung nimmt sich die Gesellschaft oder andere Menschen – hier vor allem in Gestalt politischer und vor allem religiöser Meinungsführer – heraus, um über diese elementare Frage, die nur diesen Menschen selbst betrifft, derart selbstherrlich im Sinne der klerikalen Ideologie zu entscheiden? Es geht hier nicht um Missbräuche, die selbstverständlich unterbunden werden müssen, sondern schlichtweg um den klar und nachvollziehbar geäußerten Wunsch der Betroffenen. Diese Betroffenen haben keine Lobby. Über sie wird ideologisch und in der Konsequenz quälend inhuman entschieden. Wem nutzt diese Haltung? Der Verdacht ist, dass auch Sterbende als Kostenmasse der Ärzteschaft vor allem der Pharmaindustrie gesehen werden. Diese Gegner einer liberaleren Regelung beweisen gerade aktuell durch Missbräuche bei Organspenden, Verkauftrainings für Ärzte und weitere Machenschaften, dass sich sehr weit weg von ethischen Prinzipien bewegen und dies offenbar nicht einmal merken, geschweige denn Einsicht zeigen. Es berührt schon merkwürdig, dass diese Interessenvertreter sich so gar nicht in die Situation eines menschenunwürdigen Absterbens hineinversetzen können oder wollen. Genauso wie für jeden ein Leben in Würde ermöglicht werden muss, muss auch ein menschenwürdiges Sterben ermöglicht werden. Vielleicht vermag sich der Leser selbst einmal vorzustellen, was die jeweiligen Positionen dann auch für sein Lebensende bedeuten könnten.

Wer Menschen schon am Ende ihres Lebens erlebt hat, wird die Verweigerung einer regulierten und kontrollierten Sterbehilfe nur noch als zynisches Missachten der "Würde eines Menschen" ansehen können. Die große Mehrheit der Bevölkerung wünscht sich keine Bevormundung in der denkbar höchsten persönlichen Angelegenheit die das Leben bietet. Aber warum lassen sich Menschen diese Bevormundung gefallen und müssen sogar hinnehmen, dass eine Verfassungsbeschwerde abgewiesen wird, da der Kläger eben noch nicht auf sein unmittelbar anstehendes Sterben verweisen könne? Ein Rechtsgut ist schon dann beeinträchtigt, wenn schwere und nicht wieder zu behebende Nachteile einzutreten drohen. Das ist ein ansonsten anerkannter Rechtsgrundsatz – nur nicht beim Thema Sterbehilfe.