Ideengeschichtliche Hintergründe, politische Propaganda, reales Gefahrenpotential

Antisemitismus im Islamismus

Auf der Antisemitismus-Konferenz des Svenska kommitén mot antisemitism in Stockholm hielt der hpd-Autor Armin Pfahl-Traughber am 8. November 2017 einen Vortrag über den Antisemitismus im Islamismus. Der hpd veröffentlicht das Manuskript dieser Rede.

Terroristische Anschläge von Islamisten richten sich gegen unterschiedliche Ziele. Dazu gehören auch jüdische Einrichtungen. Vier Beispiele: 2012 kam es zu einem Anschlag auf eine jüdische Schule in Toulouse, 2014 kam es zu einem Anschlag auf das Jüdische Museum in Brüssel, 2015 kam es zu einem Anschlag auf eine Synagoge in Kopenhagen und ebenfalls 2015 kam es zu einem Anschlag auf einen jüdischen Supermarkt in Paris. Dabei starben insgesamt dreizehn Menschen.

Angegriffen wurden – das ist wichtig! – nicht Einrichtungen des Staates Israel. Angegriffen wurden jüdische Einrichtungen als jüdische Einrichtungen. Dies macht aus den Anschlägen auch antisemitische Taten. Demnach gehört die Judenfeindschaft mit zu den Einstellungen, die den Islamismus in Europa und im Nahen Osten prägen.

Daraus ergeben sich folgende Fragen, die in der Rede erörtert werden sollen: Erstens, welche ideengeschichtlichen Wurzeln hat der Antisemitismus von Islamisten? Zweitens, wie artikuliert er sich in der islamistischen Bewegung? Und drittens, welche Gefahren ergeben sich daraus für die Juden?

Bevor darauf eingegangen werden soll, bedarf es aber zunächst einer Definition von Islamismus, damit es keine Missverständnisse gibt. Islamismus ist eine Bezeichnung für eine politische Bewegung, die den Islam nicht nur als Leitlinie für das individuelle, sondern auch das politische Leben machen will. Damit würde die Trennung von Religion und Staat aufgehoben und ein islamischer Staat etabliert. Eine solche Entwicklung richtet sich gegen Demokratie, Individualisierung, Menschenrechte und Pluralismus. Es gibt gewalttätige wie nicht-gewalttätige Formen des Islamismus. Er wird nur von einer Minderheit der Muslime akzeptiert und kann nicht mit dem Islam gleichgesetzt werden.

Um die erste Frage nach den ideengeschichtlichen Wurzeln zu beantworten, muss das Bild von den Juden in der Frühgeschichte des Islam thematisiert werden. Dies ist bedeutsam, weil sich Islamisten eben auf diese Frühgeschichte des Islam berufen und daraus die Grundlagen ihres eigenen Politikverständnisses ableiten.

Im Koran werden die Juden zwar auch als Vertreter einer "Buchreligion" positiv gesehen. Ein negatives Bild überwiegt aber. Ihnen wird vorgeworfen, dass sie den Bund mit Allah und den Muslimen gebrochen hätten (z.B. Sure 4, 46; Sure 4, 155; Sure 5, 13). Juden gelten als betrügerisch und untreu (z.B. Sure 2, 100; Sure 3, 78, Sure 4, 161, Sure 9, 34).

Der Grund dafür ist nach der islamischen Überlieferung im Konflikt von Mohammed mit jüdischen Stämmen zwischen 624 und 627 zu sehen. In Medina wollte er Juden für seinen Glauben gewinnen und machte dazu auch Zugeständnisse an die Juden. Doch die Meisten blieben ihrem Glauben treu, was Mohammed enttäuschte und seine Abneigung gegen Juden erklärt.

Der Begründer des Islam führte auch Kriege gegen drei jüdische Stämme, die er alle gewann. Bei den ersten beiden Stämmen wurde den Juden der Besitz abgenommen und sie mussten emigrieren. Beim dritten Stamm wurden die Frauen und Kinder versklavt und um die 600 Männer hingerichtet.

Heutige Islamisten weisen indirekt immer wieder auf diese Konflikte aus der Frühgeschichte des Islam hin, um einen angeblich seit Jahrhunderten bestehenden Kampf der Juden gegen den Islam zu behaupten. Sayyid Qutb, ein bedeutender islamistischer Ideologe, hat dies zum Beispiel in seiner Schrift "Unser Kampf mit den Juden" von 1950 getan.

Die folgende Geschichte der Juden in der islamisch geprägten Welt war dann keineswegs von der Toleranz geprägt, die Autoren wie der Historiker Léon Poliakov behauptet haben. Es gab viele Schmähschriften und es gab immer wieder Massaker. Als sogenannte "Schutzbefohlene" waren Juden Bürger mit geringerem Rechtsstatus.

All diese Erfahrungen prägten das Bild von den Juden in der islamischen Welt. Die Abneigung war ein fester Bestandteil des Alltagsdenkens der Menschen, aber nicht so stark entwickelt wie im damaligen Europa. Von dort kamen später neue Vorurteile gegen die Juden in der islamischen Welt:

  • 1840 verschwand ein Mönch in Damaskus, woraufhin das Gerücht verbreitet wurde, die Juden hätten ihn ermordet. Dort lebende Europäer sprachen von einem "Ritualmord" und so fand dieser judenfeindliche Mythos aus dem Mittelalter in der arabischen Welt immer stärkere Verbreitung.
  • Als 1908 in der Türkei der amtierende Sultan abgesetzt wurde, sahen das viele Zeitgenossen als einen Angriff auf den Islam an. Die "Jungtürken", die eine Säkularisierung des Landes anstrebten, wurden als Agenten einer "jüdisch-freimaurerischen Verschwörung" hingestellt. So fanden auch antisemitische Verschwörungsvorstellungen in der islamischen Welt erstmals größere Verbreitung.
  • Nachdem in den 1920er Jahren immer mehr Juden nach Palästina migrierten, nutzten die Gegner dieser Einwanderung antisemitische Behauptungen, um den Hass gegen sie zu schüren. Die 1928 gegründete "Muslimbruderschaft", die als "Mutterorganisation" aller Islamisten gilt, führte in den 1930er Jahren Boykottkampagnen gegen jüdische Geschäfte durch und forderte zur Vertreibung der Juden auf. 1938 wurden auf einer ihrer Konferenzen auch arabische Übersetzungen von Hitlers "Mein Kampf" und der "Protocols of the Learned Elders of Zion" verbreitet.
    Es kam sogar zu einer intensiven Zusammenarbeit von Islamisten mit dem nationalsozialistischen Deutschland. Die bedeutendste Figur war der "Mufti von Jerusalem", Muhammad Amin el-Husseini (1893-1974), der persönlich von Hitler und Himmler empfangen wurde. Er beteiligte sich als Agitator in antisemitischen Radioansprachen und betreute muslimische SS-Einheiten theologisch. Husseini half übrigens auch nach 1945 noch Nationalsozialisten und setzte seine antisemitische Hetze als antiisraelische Hetze fort.

Bilanzierend kann gesagt werden, dass der Antisemitismus in der islamischen Welt einerseits ideengeschichtliche Wurzeln in der Frühgeschichte des Islam hat und andererseits auch judenfeindliche Behauptungen aus dem europäischen Antisemitismus übernommen wurden. All dies war schon vor der Gründung des Staates Israel der Fall. Nach 1948 nahm der Antisemitismus in der arabischen Welt aber enorm zu.

Es war ein neuer Staat in der Region entstanden, der nicht nur die militärischen Angriffe gegen ihn überstehen konnte. Im Laufe der Jahre wurde auch deutlich, dass Israel technisch und wirtschaftlich viel weiter als die arabischen Staaten war. Da stellte sich die Frage nach den Gründen dafür: Die einfachste Erklärung war die Behauptung einer "jüdischen Verschwörung" mit Hilfe der USA. Und so fanden antisemitische Verschwörungstheorien immer mehr Verbreitung.

Damit können auch Antworten auf die zweite Frage gegeben werden: Wie artikuliert sich der Antisemitismus in der islamistischen Bewegung? Er beruft sich auf die judenfeindlichen Bestandteile der Frühgeschichte des Islam. Er nutzt einige antisemitische Vorurteile aus dem christlich geprägten Europa. Und er bezieht sich auf den realen Konflikt mit dem Staat Israel. Dies kann an einigen Beispielen verdeutlicht werden:

Der erwähnte Sayyid Qutb galt als "Chefideologe" der "Muslimbruderschaft". Sein Buch "Milesstones" von 1964 gehört auch heute noch zu den "Klassikern" des Islamismus. Bereits 1950 veröffentlichte er den Aufsatz "Unser Kampf mit den Juden", der die Grundaussagen des Antisemitismus der Islamisten bis in die Gegenwart enthält.

Nach Qutb haben die Juden bereits in der Frühphase des Islam versucht, die Entstehung einer muslimischen Gemeinschaft wie einer muslimischen Gesellschaftsordnung zu verhindern. Danach hätten sie einen vierzehn Jahrhunderte langen Krieg mit dem Ziel der Zerstörung des Islam geführt. Auch die Angehörigen der Elite in der islamischen Welt wären von jüdischem und westlichem Gedankengut verdorben.

Es handelt sich also um eine Art "Geschichtstheorie" mit antisemitischen Verschwörungsvorstellungen. Hier lässt sich die Kombination von Bestandteilen der Judenfeindschaft aus der islamischen Frühgeschichte mit Bestandteilen des europäischen Antisemitismus des 19. Jahrhunderts erneut zeigen. Der Artikel wurde übrigens nach 1970 als Broschüre von Saudi Arabien aus in der islamisch geprägten Welt verbreitet.

Ähnliche Auffassungen wie bei Qutb findet man in der Charta der "Hamas", die sich darin als der palästinensische Ableger der "Muslimbruderschaft" präsentiert. Die Erklärung ist ein Grundsatzprogramm zum politischen Selbstverständnis und wurde im Gründungsjahr 1988 verabschiedet. Darin fordert die "Hamas", dass der Islam jeden Fußbreit Palästinas beherrschen soll, was auf die Zerstörung des Staates Israel hinausläuft. Ausdrücklich spricht der Text auch von den "Juden" und nicht von den "Israelis" oder den "Zionisten".

Bereits am Beginn wird aus einem Hadith Mohammed zitiert, der gesagt haben soll, dass die Juden getötet werden müssten. Da es sich angeblich um eine Aussage des "Gesandten Gottes" handelt, gilt eine solche Aussage als ein religiöses Gebot. Es wird demnach an dieser Stelle nicht nur ein schlechtes Bild über die Juden gezeichnet, es wird indirekt zu deren Ermordung im Namen der Religion aufgerufen.

Und danach breitet die "Hamas" eine umfassende Verschwörungstheorie aus: Demnach hätten die Juden schon seit langer Zeit mit Geld geplant, ihre Interessen zu verwirklichen. Sie hätten Geheimorganisationen wie die Freimaurer zur Zerstörung der Gesellschaften gegründet. Kriege und Revolutionen wären in der Geschichte und Gegenwart von Juden geplant und vorangetrieben worden. Auch hinter den Medien in der Welt würden die Juden stehen.