In seiner Kolumne schreibt Hugo Stamm seit Jahren, wie radikaler Glaube das Bewusstsein einengt und die geistige Freiheit behindert. Deshalb wird er von Sekten bedroht.
In meiner 40-jährigen Berufskarriere war ich Zielscheibe von diversen Angriffen. Mehrere Sekten haben versucht, mich mit Repressionen mundtot zu machen. In der Hoffnung, ich würde mir ein anderes journalistisches Fachgebiet aussuchen und sie in Zukunft in Ruhe lassen.
So wurde ich einmal direkt nach einem Vortrag niedergeschlagen, mir wurden Privatdetektive an den Hals gehetzt, morgens um zwei Uhr flog ein Pflasterstein in mein Schlafzimmer, eines Tages zierten leuchtend rote Totenkopfaufkleber mit meinem Namen Zürichs Kandelaber, Scientologen veranstalteten ein öffentliches Tribunal gegen mich, ich wurde mehrere Male an Vorträgen niedergeschrien usw.
Bemühend waren auch die über 50 Strafanzeigen und die rund drei Dutzend Klagen, die Hunderte von Stunden Zusatzarbeit bedeuteten und Hunderttausende von Franken kosteten. Das Ziel von Scientology, VPM (Verein zur Förderung der psychologischen Menschenkenntnis) und Co. war klar: Ein Tages-Anzeiger frei von Artikeln über sie.
Bekehrung statt Prügel
Wenig Freude an meinen kritischen Berichten hatten auch die Freikirchen. Sie wählten eine sanfte pädagogische Methode, um mich auf den rechten Weg zu bringen. Sie wollten mich davon überzeugen, dass wir nur durch Gott und Jesus die Freiheit erlangen können, verbunden natürlich mit der Erlösung. Übersetzt hieß dies: Sie wollten mich bekehren.
So habe ich im Lauf der Jahre mit vielen Gläubigen endlos diskutiert. Wenn ihre Bemühungen nicht fruchteten und ich von meiner skeptischen Haltung nicht abrückte, holten manche den letzten Trumpf aus dem Ärmel. Sie sagten treuherzig und voll Überzeugung, ich solle doch einen taktischen Entscheid treffen.
Und der ging so: Auch als Skeptiker könne ich nicht beweisen, dass es Gott nicht gebe und Jesus nicht sein Sohn sei. Deshalb wäre es doch sinnvoll, an die beiden zu glauben. Denn nur so hätte ich am Jüngsten Tag die Chance, zu den Geretteten zu gehören.
Es geht um das Weltbild
Und sollte sich die Sache mit dem christlichen Glauben als Fake erweisen – die Frommen formulierten es natürlich mit einem theologischen Vokabular –, bleibe für mich eh alles beim Alten und ich vermodere nach meinem Tod samt meiner Seele. Eben so, wie ich es mir bisher vorgestellt habe.
Dass ich jeweils nicht auf einen solchen Kuhhandel eintreten wollte, verstanden sie nicht. Auch nicht mein Argument, dass Glaube keine Versicherung sei. Schon gar nicht nachvollziehen konnten sie, dass es mir dabei um mein Weltbild ging.
Dieses sieht nämlich vor, dass ich nur Aspekte integriere, die ich geprüft und für plausibel empfunden habe. Das ist eine Frage der intellektuellen Redlichkeit. Ich will mich auch nicht täuschen oder blenden lassen. Denn ich bin überzeugt, dass wir dringend einen nüchternen und möglichst klaren Blick auf die Realität brauchen, um Probleme zu analysieren und zu korrigieren. Und davon gibt es schließlich genug.
Denn hinter dem Glauben lauert immer auch der Aberglaube. Und wer einen radikalen Glauben verinnerlicht hat, engt zwangsläufig sein Bewusstsein ein. Er gewinnt zwar ein Stück weit (vermeintliche) Geborgenheit, Zuversicht und Hoffnung auf Erlösung, doch er zahlt einen hohen Preis dafür: Der entscheidende Aspekt seines Lebens könnte eine Illusion sein.
Angst vor der geistigen Freiheit
Auch Skeptiker sind nicht davor gefeit, ihr Weltbild mit falschen Vorstellungen und Ideen aufzufüllen, denn es gibt die Wahrheit an sich schlicht nicht. Auch das Bewusstsein von Skeptikern ist geprägt von Sehnsüchten, Unsicherheiten und Ängsten. Doch wir haben heute so viel Wissen und Information zur Verfügung, dass wir unser Bewusstsein von den schlimmsten Fehleinschätzungen entrümpeln könnten.
Doch für viele Menschen ist es schwer, sich von den eigenen "Wahrheiten" und Illusionen zu trennen, weil sie Angst vor der Realität und der geistigen Freiheit haben, dem wohl wichtigsten Gut. Davon profitieren dann die Sekten und andere Glaubensgemeinschaften. Auch deshalb darf man diese Freiheit nicht verschachern.
Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors von watson.ch.
11 Kommentare
Kommentare
Andres Zaugg am Permanenter Link
Wer um eine Folterdarstellung wie dem sogenannte Kruzifix aufwächst, verlieren massiv an Empathie-Fähigkeit und Medien sind so glaubwürdig wie Religionen.
Beste Grüsse
Andres Zaugg
Kay Krause am Permanenter Link
Hierzu noch einmal die konkrete Frage: wo beginnt und endet "Glaube?, und wo beginnt und endet "Aberglaube"?
Andreas Lichte am Permanenter Link
@ Kai Krause
Sie schreiben: "Religiös indoktrinierte Menschen behaupten, es gäbe einen Gott, und das sei die Wahrheit." Ich glaube, das nennt man "Glauben". Und den hat man, oder nicht, beweisen muss man da gar nichts ...
Sie schreiben: "Ich kenne keinen Atheisten, Agnostiker oder Humanisten, der ernsthaft behaupten würde, es gäbe keinen Gott."
Haben Sie schon mal Kommentare bei hpd gelesen? Sind Sie wirklich sicher, dass da nicht gesagt wird, "es gäbe keinen Gott"?
Thomas am Permanenter Link
"wo beginnt und endet "Glaube?, und wo beginnt und endet "Aberglaube"?"
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"Ich kenne keinen Atheisten, Agnostiker oder Humanisten, der ernsthaft behaupten würde, es gäbe keinen Gott."
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Man kann durchaus feststellen, daß alle bisher behaupteten Götter lediglich fiktive Objekte sind, denn keiner von ihnen kommt in den Naturwissenschaften vor. Und weil schon eine einzige logisch unmögliche Eigenschaft die reale Existenz eines Ojektes ausschließt, ist durchaus beweisbar, daß (jeweils bestimmte) Götter gar nicht existieren KÖNNEN.
Rainer Bolz am Permanenter Link
Wenn man Kindern nicht beibringt, ihren eigenen Verstand zu gebrauchen, - sondern irrationales Denken fördert, - müssen wir uns nicht wundern, wenn religiöse Phantasterei eine Eigendynamik entwickelt.
Den Religionsunterricht abschaffen und kritisches Denken fördern. Die intelligenten erkennen dann schnell, dass alle Götter nur eine naive Primatenhirn Konstruktion sind, andere brauchen vielleicht etwas mehr Zeit, einige schaffen es nie.
Stefan Räbiger am Permanenter Link
Bravo, für den Mut und das Durchhaltevermögen gegen diese Flut der Ignoranz, ich ziehe den Hut.
Colin Goldner am Permanenter Link
Ich habe zu Zeiten, als ich eine Beratungsstelle für Sekten- und Psychokultopfer in München leitete, ganz ähnliche Erfahrungen gemacht: neben zahllosen anonymen Schmäh- und Drohbriefen sowie entsprechenden Anrufen auf
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Bezug Video: Man muss mir mal erklären, wie man bei einem Tageseinkommen weniger Franken und elf Kindern von einer schweizerischen Bank 600.000 Franken Kredit bekommt. In Worten: Sechshunderttausend Franken!
Roland Fakler am Permanenter Link
In der Fußgängerzone in Tübingen hat mich mal einer von Scientology angesprochen: „Wussten sie schon, dass wir nur 10% unseres Gehirns benutzen?
Er hat keinen Versuch mehr gemacht, mich von seinem Wahn zu überzeugen.
Georg J. W. Dorn am Permanenter Link
Lieber Herr Falkner, das war kurz und bündig und gut. GJWD
Heinz-Peter Tjaden am Permanenter Link
Das kommt mir alles sehr bekannt vor. Eine Zeitlang hat mich die Neuapostolische Kirche (NAK) mit Strafanträgen zugenagelt, war aber nie erfolgreich.