Interview mit Dr. phil. Ronald Goldman

Beschneidung: Das verborgene Trauma

Dr. phil. Ronald Goldman ist Forscher in der Psychologie, Redner, Schriftsteller und Direktor des Early Trauma Prevention Center. Er hat ein Buch über die Bescheidung geschrieben. Die deutsche Übersetzung des Buches erfolgte durch Ulf Dunkel. Mit beiden sprach Stefan Schritt exklusiv für den hpd.

hpd: Dr. Goldman, Ihr Buch "Circumcision: The Hidden Trauma" (Titel der deutschen Übersetzung: "Beschneidung: Das verborgene Trauma") gibt einen umfassenden Einblick in die psychischen Nebenwirkungen, die mit der Beschneidung verbunden sind. Wann beschäftigte sich die Wissenschaft zum ersten Mal mit dieser besonderen Verbindung, und inwieweit werden sie Ihrer Meinung nach heute verstanden?

Dr. phil. Ronald Goldman: Die biologischen und Verhaltensreaktionen von Neugeborenen auf Schmerzen wurden schon 1987 eindeutig dokumentiert. Auch in den 1980er Jahren wurden extreme Reaktionen von Säuglingen auf die Beschneidung und spätere Verhaltensänderungen beobachtet, und die klinische Erfahrung bestätigte die Existenz von Beschneidungstraumata bei Erwachsenen. Jetzt gibt es Umfragen in Zeitschriften und Studien über Männer, die über viele nachteilige psychologische Auswirkungen berichten, einschließlich Schwierigkeiten, ihre Gefühle zu erkennen und auszudrücken, posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS), erektiler Dysfunktion und psychologischer Auswirkungen, die mit den sexuellen Verlusten einhergehen.

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Sie beschreiben die US-spezifische Geschichte der Beschneidung und ihre starke Bindung an den Glauben, dass Masturbation eine Vielzahl von Krankheiten verursacht hat. Alle diese angeblichen Verbindungen wurden im Laufe der Jahrzehnte gründlich entlarvt. Trotzdem wurde die Beschneidung durch immer neue Behauptungen als vorteilhaft für die Gesundheit von Männern gefördert. Wie erklären Sie sich den fortwährenden Erfolg dieser ewigen Rechtfertigungsversuche? Sollten die Menschen angesichts der Erfolgsgeschichte und der in Publikationen wie Ihrer vorhandenen Erkenntnisse nicht viel skeptischer sein?

Im Allgemeinen trägt die Beschneidung zu einer unausgewogenen Ansicht bei, die Beschneidung positiv sieht. Dies führt dazu, dass die USA eine starke psychische und kulturelle Neigung hat, potenzielle Vorteile der Beschneidung zu suchen und zu glauben. Dies ist Teil der psychologischen Abwehrmechanismen der PTBS, um die starken negativen Gefühle, die mit Beschneidungstraumata und -schäden verbunden sind, zu vermeiden. Die Wahrheit tut weh. Amerikanische Beschneidungsforscher sind häufig beschnitten. Um zu finden, wonach sie suchen, erstellen sie voreingenommene, fehlerhafte Studien. Natürlich sind die Europäer von diesem Vorurteil nicht betroffen, da die Beschneidung in Europa selten ist.

Viele Männer neigen dazu, die Möglichkeit eines Traumas zu beseitigen. Denken Sie, dass dies Auswirkungen darauf hat, wie Menschen Ihre Befunde bewerten, im Vergleich zu direkt beobachtbaren Komplikationen wie Blutungen oder Infektionen?

Die meisten Menschen leugnen die langfristigen psychologischen Auswirkungen von Säuglingserfahrungen einschließlich Traumata, zum Teil, weil sie sich nicht bewusst an diese Erfahrungen erinnern. Beschnittene Männer wissen im Allgemeinen nicht, was ihnen fehlt. Der Körper erinnert sich jedoch daran, was der Geist vergisst. In jedem Fall ist der sexuelle Verlust durch Beschneidung physisch offensichtlich, aber selbst diese Art von Argumenten wird oft ignoriert oder aufgrund der von mir erwähnten psychischen Leugnung minimiert.

Welche Folgen sind für eine Gesellschaft zu erwarten, wenn ein erheblicher Teil der männlichen Bevölkerung ein frühkindliches Trauma teilt?

Ich habe die möglichen sozialen Folgen eines Beschneidungstraumas in meinem Buch "Beschneidung: Das verborgene Trauma" beschrieben. Dazu gehören ein reduzierter emotionaler Ausdruck, das Vermeiden von Intimität, Misstrauen, sexuelle Ängste, Einsamkeit, Verhaltensweisen, die mit einem niedrigen männlichen Selbstwertgefühl und Scham verbunden sind, übermäßiger oder unangemessener Ärger, Unbehagen und Vermeidungsverhalten im Zusammenhang mit dem Thema Beschneidung, verringerte Empathie und die erhöhte Wahrscheinlichkeit unsozialen Verhaltens.

Dr. phil. Ronald Goldman, Foto via http://de.intactiwiki.org
Dr. phil. Ronald Goldman, Foto via http://de.intactiwiki.org

Wie kann der Kreislauf von Traumatisierung und Weitergabe dieses Traumas an die nächste Generation durchbrochen werden?

Das Durchbrechen des Trauma-Kreislaufs dauert sehr lange, da die Verdrängung mit dem Trauma verbundene, generell schmerzhafte Gefühle unterdrückt werden. Trotzdem kann durch erhöhtes Bewusstsein und Mut der Öffentlichkeit und der Fachleute zu dem Fortschritt führen, die Wahrheit zu akzeptieren. Wir brauchen empathische, weit verbreitete Aufklärung und mehr Aufmerksamkeit der Medien. Eine bedeutende Zielgruppe wären junge Menschen, die zukünftige Eltern sind. Sie können zum Beispiel erreicht werden, indem man das Thema in ihren Bildungsprogrammen aufnimmt. Fachleute, die sich mit bestehenden Traumata beschäftigen, sind ebenfalls eine Zielgruppe.

Darüber hinaus kann neue Forschung bestehende Beweise unterstützen und erweitern und die Einstellung der Mediziner und der Öffentlichkeit beeinflussen. Eine weitere Anstrengung wäre Werbung in allen Medien, um die Sichtbarkeit zu erhöhen und zu gewährleisten. Da die meisten amerikanischen Mütter von Säuglingen außerhalb der Familie arbeiten, wäre eine gesetzgeberische Kampagne zur Unterstützung einer verlängerten bezahlten Elternzeit eine wichtige Ergänzung. Wenn die Beziehung zwischen dem Kind und der Mutter gestört ist, ist die Beziehung zwischen dem Kind und der Menschlichkeit gestört. Ich habe das Early Trauma Prevention Center gegründet, um an diesen Themen zu arbeiten. Weitere Informationen finden Sie unter ronaldgoldmanphd.com.

Herr Dunkel, dies ist das zweite Buch über Beschneidung, für das Sie eine deutsche Ausgabe initiiert haben. Planen Sie, diese Arbeit fortzusetzen?

Ulf Dunkel: In der deutschen Beschneidungsdebatte 2012 wurde deutlich, dass viele Bundestagsabgeordnete, die den Auftrag hatten, das Beschneidungsgesetz zu verabschieden, nicht umfassend informiert waren. Ich glaube nach wie vor, dass Informationen aus dem Ausland kaum eine Rolle gespielt haben, um Argumente für oder gegen das Gesetz zu finden. Daher halte ich es auch als Intaktivist, der sich seit 2012 dafür einsetzt, dass dieses offensichtlich verfassungswidrige Gesetz wieder eingestampft wird, für nötig, solche wichtigen Bücher wie die von Dr. Goldman ins Deutsche zu übertragen. Allein sein Hauptwerk "Beschneidung: Das verborgene Trauma" hätte meines Erachtens ausgereicht, den Bundestag davon zu überzeugen, dass das Beschneidungsgesetz Unrecht in Gesetzesform ist und den männlichen Kindern großen Schaden zufügt.

Ich arbeite derzeit daran, ein weiteres Buch von Dr. Goldman mit dem Titel "Beschneidung hinterfragen: Eine jüdische Perspektive" ins Deutsche zu übertragen. Parallel arbeite ich an zwei eigenen Titeln zu diesem Thema: Zum einen ein Buch, das die Beschneidungsdebatte 2012 analysiert und zeigt, wie es dazu kam, dass Deutschland zur "Komikernation" (O-Ton Angela Merkel) wurde. Das andere hat den Arbeitstitel "Beschneidung: Mythen und Fakten" und räumt mit dem Argumentewirrwarr auf, um zukünftige Diskussionen und Entscheidungen fundierter angehen zu können.