Am zwölften Kampagnen-Tag führte Michael Schmidt-Salomon durch seine Heimatstadt, über die er detailliert zu berichten wusste. In der weitläufigen Fußgängerzone fand ein Teil der Führung ohne Bus statt. In der Stadt des Staatschristentums besichtigte die Gruppe mehrere Kirchen, aber auch die Gegenbewegung zu den Kirchen wurde in der Marxstadt deutlich.
Zunächst galt es 187 Kilometer in die älteste Stadt Deutschlands zu absolvieren. Heute war zum ersten Mal der "Geldhamster" mit von der Partie: Eine Skulptur der gbs Rhein-Neckar, gebaut von ihrem Mitglied Bernd Kammermeier, der in den verschiedensten Bereichen künstlerisch tätig war und ist. Der dicke Hamster im Bischofsgewand, der sich auf seinem Geldberg sitzend vor die gekreuzigte arme Kirchenmaus drängt, soll noch einmal bildlich auf den Verfassungsbruch durch die nach wie vor gezahlten Staatsleistungen hinweisen und begleitet die Buskampagne an einigen Tagen.
Es stand eine ganz besondere Stadtführung an: Michael Schmidt-Salomon, Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs), zeigte allen interessierten Busmitfahrenden seine Heimat. In der geschichtsträchtigen Stadt an der luxemburgischen Grenze spiegelten sich alle Epochen wider und sie stehe wie keine andere für die Verquickung von Staat und Religion: Im vierten Jahrhundert hätten hier 80.000 bis 100.000 Menschen gelebt und die Stadt sei so gut ausgestattet gewesen, dass sogar Bewohner Roms neidisch gewesen seien. Die Römer hätten alle fremden Götter akzeptiert und integriert und so die keltischen Stämme befriedet. Erst nachdem Konstantin "der Grobe", der in Trier residierte, die Grundlagen für die spätere Staatskirche geschaffen hatte, sei der keltische Tempelbezirk in der multikulturellen polytheistischen Stadt zerstört worden. Innerhalb von 100 bis 150 Jahren habe dann kaum jemand mehr lesen können, nachdem die Analphabetenquote vorher verschwindend gering gewesen sei. Die berühmte Porta Nigra wurde später zur Kirche, bis sie Napoleon wieder zum Stadttor zurückbaute.
In unmittelbarer Nähe der Porta steht das Haus, in dem Karl Marx seine Jugend verbrachte und neben dem der Bus kurz stehen blieb. Im vergangenen Jahr wurde zum Marx-Jubiläum eine überlebensgroße Statue des Ökonomen aufgestellt, gestiftet von China. Bei all den Feierlichkeiten, die im letzten Jahr ihm zu Ehren stattfanden, habe man seine Religionskritik ganz gezielt ausgeblendet, die Marx zufolge die Voraussetzung aller Kritik sei. Um das wieder gut zu machen, las Schmidt-Salomon aus der Einleitung von Marx’ Werk "Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie" vor, in der es unter anderem heißt: "Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks".
Von der Marx-Statue ging es zur ehemaligen Gestapo-Zentrale in Trier sowie zum Dombezirk, die nicht nur geographisch eng beieinander lagen, wie Schmidt-Salomon erzählte. Im Dritten Reich habe Ludwig Kaas, Domkapitular von Trier und damaliger Vorsitzender der katholischen Zentrums-Partei, das Reichskonkordat mit den Nazis ausgehandelt und im Gegenzug Hitler die erforderlichen Stimmen für das Ermächtigungsgesetz verschafft. Die Zusammenarbeit zwischen Kirche und NS-Regime sei im "Heiligen Jahr" 1933 mit der "Heilig-Rock"-Wallfahrt feierlich besiegelt worden. Bei dieser Massenwallfahrt hatten SA-Männer als Ordner gedient und fast alle Bischöfe den Hitlergruß gezeigt.
Auch heute noch finden Wallfahrten zu dem Leinenrock statt, den Jesus der Legende nach – also komplett erlogen – am Kreuz getragen haben soll. Die Ausstellung der Reliquie im 19. Jahrhundert hatte die freireligiöse Bewegung in Deutschland ausgelöst. Im späten 20. Jahrhundert veranlasste sie Trierer Freigeister dazu, eine atheistische Alternative zu präsentieren, nämlich die Heilige Unterhose von Karl Marx, die seither parallel zum Heiligen Rock ausgestellt wird (und mindestens so authentisch ist).
Bei aller Inflation der Heiligen und Seligen habe Trier aber tatsächlich einen, der dieses Attribut innerhalb der Kirche verdient hätte: Friedrich Spee, Verfasser der Cautio Criminalis und einer der wichtigsten Kritiker der Hexenprozesse, schrieb schon im 17. Jahrhundert, dass Folter falsch sei und nie dazu dienen könne, die Wahrheit herauszufinden.
Von den Kaiserthermen aus ging die Stadtrundfahrt dann per pedes in der weitläufigen Fußgängerzone weiter. Hier war die erste Station die Konstantin-Basilika. Ehemals Teil einer Palastanlage wurde sie zur Kirche geweiht, was sie bis heute ist. Der weströmische Kaiser, der die Alleinherrschaft anstrebte, hatte das Potenzial des Christentums als Herrschaftsreligion erkannt und wesentliche Dogmen geprägt. Bis zum Bau der Metropolitan Opera in New York war die Basilika das höchste säulenlose Gebäude der Welt. Die nächste Station der größtenteils gottlosen Reisegruppe – die dies auch zum Teil durch Buskampagnen-T-Shirts zum Ausdruck brachte – war die Liebfrauenkirche, die der Stadtführer in ihrer baulichen Vollkommenheit mit einer Bach-Fuge verglich. Danach ging es gleich nach nebenan in den Trierer Dom, "Deutschlands ältester Baustelle", an dessen Eingang der mächtige Domstein liegt, den natürlich der Teufel dereinst heruntergeworfen haben soll.
Über das ehemalige Friedrich-Wilhelm-Gymnasium, das Marx und viele andere bekannte Trierer Persönlichkeiten besucht hatten, trat die Gruppe den Rückweg an. Bis vor kurzem wurden in dem Gebäude Priester ausgebildet, dies wurde aber aufgrund des Nachwuchsmangels eingestellt. Als alle wieder an Bord waren, brachte der Doppeldecker seine Gäste wieder zurück zum Versammlungsort am Viehmarkt.
Später stand die Premiere der Buchvorstellung von Helmut Ortner an: In "EXIT – Warum wir weniger Religion brauchen" sind verschiedene Beiträge zum Thema von namhaften Säkularen enthalten. Während und nach der Buskampagne stellt der Herausgeber gemeinsam mit dem gbs-Vorstandssprecher den Sammelband in mehreren Städten vor.
10 Kommentare
Kommentare
A.S. am Permanenter Link
Immer der leidige Marx! Mit "Opium des Volkes" hatte er m.E. nicht Recht. "Knechtschaftsmittel für das Volk in den Händen der Priester" wäre richtiger.
"Verquickung von Staat und Kirche" könnte man auch als "Staats-Kirchen-Filz" bezeichnen. das hätte einen negativeren Touch. Deutschland hat zwar formal keine Staatskirche, aber einen ausgewachsenen Staats-Kirchen-Filz, der, nota bene, durch Kruzifixe in öffentlichen Gebäuden und Gerichten offen zum Ausdruck gebracht wird.
M. S. am Permanenter Link
Diese Kruzifixe haben für mich deutliche Ähnlichkeit mit dem Markieren des Reviers bei Hunden durch Urinieren. Und mit diesem Gedanken betrachte ich sie auch.
A.S. am Permanenter Link
@M.S.: Den Vergleicht mit hündischem Duftmarken-Setzen ziehe ich beim Weihwasser-Spritzen. Aber Sie haben Recht: Mit Kruzifixen werden Revier-Marken gesetzt und Besitzansprüche markiert.
awmrkl am Permanenter Link
Zustimmung, Ergänzung zu
"Markieren des Reviers bei Hunden durch Urinieren"
Diese Einschätzung (die nicht nur für mich stimmt) darf gerne um einige Phänomene erweitert werden:
-- täglich mindestens 3-maliges klerikales lautstarkes Glockengetöse (als Angelus-Läuten bezeichnet) - damit sind NICHT Stunden-Schlag gemeint, der als nicht-klerikal gilt (und in Zeiten von allgegenwärtiger Uhren und Handys schon lange ebenso obsolet ist wie das klerikale Getöse)
-- das nicht-enden-wollende Dauergetöse an Sonntagen und "kirchlichen" Feiertagen - angeblich doch "Tage der Ruhe"!?
(Vor allem toben die Glocken zeitlich so, daß sie als Aufforderung oder Erinnerung, doch zur Kirche/Gottesdienst zu kommen, vollkommen untauglich sind, weil zeitlich für die meisten VIEL zu knapp)
-- die Rundfunk-/TV-Dauerberieselung mit religiösen Sendungen, für die Kirchen nicht mal einen Cent locker machen müssen! Ist doch selbstverständlich!!1elf!
-- Dauerpräsenz i-welcher klerikaler Deppen in beliebigen Medien zu beliebigen Themen, bevorzugt i-was "mit Moral"
Schlußmachen. Jetzt!
Roland Weber am Permanenter Link
Selbstverständlich ist das Zitat nach Marx korrekt und Religion wurde auf jeden Fall zu seiner Zeit als Suche nach Trost eben so verstanden. Es gibt eben genauso falschen Trost, wie es falsche Freunde gibt.
Schmunzeln muss ich, wenn ich sehe, dass "per Bus" einem Gott im Himmel ein Dasein zugesprochen wird! Wenn schon kein Bus dahin fährt, dann sehen in womöglich die Amerikaner bei ihrem (ersten?) Mond-Besuch!
Ansonsten ein schöner Beitrag und eine schöne Aktion, die hoffentlich auch mit Erfolg aufwarten kann.
Roland Fakler am Permanenter Link
Es tut gut, dass in dem Artikel einige der Geschichtslügen korrigiert werden, die die „heilige“, katholische und „unfehlbare“ Kirche in die Welt gesetzt hat.
Ich lasse hier antike Historiker sprechen: Der römische Dichter Sallust bekennt: „Von Anfang an ist alles, was sie (die Römer) besitzen, durch Raub zusammengebracht - die Häuser, die Frauen, das Land, das Reich... Durch Kühnheit, durch Betrug und eine ununterbrochene Reihe von Angriffskriegen sind sie zu ihrer Größe gelangt.“ Plutarch gibt an, dass im Krieg, den Cäsar in Gallien führte, eine Million Gallier ihr Leben verloren, eine weitere Million in die Sklaverei geführt wurde und nur eine Million übrig blieb. Der römische Historiker Tacitus bemerkt über die Herrschaft seiner Landsleute: …„Stehlen, Morden, Rauben nennen sie mit falschem Namen „Herrschaft“ und dort, wo sie eine Wüste schaffen, nennen sie es „Frieden." Um gerecht zu sein, muss gesagt werden: Auch andere wollten herrschen und ausbeuten, nicht nur die Katholiken. Das Problem ist der Mensch!
Hans Trutnau am Permanenter Link
Excellent, Roland!
Aber hat die RKK nicht auch so viel Gutes getan, z.B. das antike Wissen in die Neuzeit gerettet? Das behauptet(e) u.a. Stefan Weinfurter, renommierter Prof. für Geschichte (https://m.youtube.com/watch?v=S0rWqyURg7Y - gleich in den ersten Minuten) - und so einer *muss* es doch wissen! So einem mit seiner Chuzpe folgen selbst heute noch Studenten der Geschichte als glühende Anhänger. Nichts als Geschichtsfälschung.
Die RKK "war nie Vorreiterin der Bildung, sondern Ursache für den Verfall der Bildung", da hast du recht; und ihr Regime war das schlimmste aller Zeiten.
So schlimm und wirkmächtig, dass es tagtäglich bis heute wirkt und verblödet.
Das Schlimmste ist allerdings vorbei:
Gisa Bodenstein schreibt ja wieder; und der Bus fährt weiter.
A.S. am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Trutnau,
da habe ich nichts zu widersprechen. Nur: Warum unterstützt die "freiheitliche Demokratie Deutschland" HEUTE noch die Kirchen?
Mein staatstragender Begründungsversuch:
1. Mit keinem anderen Werkzeug als der Religion lassen sich so vortrefflich Menschen disziplinieren (Höllenangst) und in ihrem Verhalten steuern.
2. Ohne Jenseitsglaube sinkt die militärische Kampfkraft eines Landes. Wer Krieg führen will, braucht Religion a) um den Soldaten die Angst vor dem Tod zu lindern, b) den Soldaten im Kampf mit der Vorstellung eines "starken Gottes" an ihrer Seite Selbstvertrauen zu geben, c) die Hinterbliebenen zu trösten, und d) besonders wichtig: den Krieg durch die Autorität der Priester legitimieren zu lassen. (z.B "gerechter" Krieg, Gottes Wille, Hilfe für irgendwen).
Es gibt viele "gute" (=zynische) Gründe für die Herrschaftseliten im Lande, das Volk dumm und religiös zu halten. Allein die ökonomischen Notwendigkeiten erzwingen einen gewissen Bildungsstand. Wissenschaftlich-technische Bildung ist erwünscht, kritisches selbständiges Denken nicht.
Darum werden auch vorzugsweise ungebildete Menschen ins Land gelockt. An gut Gebildeten oder gar Intellektuellen besteht kein Interesse. Das ist mir in den 90er Jahren klar geworden, als viele excellente Wissenschaftler aus Rußland und der Ukraine nach Deutschland kamen, die gerne hier hätten bleiben wollen, aber keine dauerhafte Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis bekamen. Auch in der heutigen Einwanderungsdebatte wird von Unionsseite gegen Hochqualifizierte gemauert. Allenfalls Nerds haben eine Chance.
Ihre Anja Sander
Hans Trutnau am Permanenter Link
"... da habe ich nichts zu widersprechen" - finde ich gut!
Roland Weber am Permanenter Link
Diesem Kommentar kann jeder, der sich mit Kirchengeschichte befasst hat, nur zustimmen. Schade, dass es beim gbs keine Sammlungen gibt, die gut begründete Kritiken einmal zusammenfasst!