Das Bundesland Rheinland-Pfalz hat Ende Dezember 2024 Verträge mit vier islamischen Verbänden unterzeichnet, unter anderem auch mit dem seit Jahren in der Kritik stehenden Verband DITIB. Diese Kooperation sieht der Publizist Eren Güvercin, auch bekannt als Mitgründer der islamischen Alhambra-Gesellschaft, sehr kritisch und warnt vor einem wachsenden Einfluss des rechten Regimes in der Türkei auf deutsche Moscheen. Der hpd sprach mit ihm.
hpd: Herr Güvercin, Ende Dezember 2024 hat das Bundesland Rheinland-Pfalz Verträge mit vier islamischen Verbänden geschlossen, die eine zukünftige Zusammenarbeit regeln. Können Sie uns einen kurzen Überblick darüber geben, was in diesen Verträgen beschlossen wurde?
Eren Güvercin: Laut dem rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten, Alexander Schweitzer, regeln diese Verträge mit den muslimischen Verbänden das Zusammenleben und -wirken zwischen dem Land und beteiligten Verbänden. Die Verträge seien "ein wichtiges Zeichen der Anerkennung und Gleichbehandlung mit anderen Religionsgemeinschaften". Auf Grundlage der Verträge soll unter anderem der Aufbau einer islamischen Theologie stattfinden, mit dem Ziel, Lehrkräfte für den islamischen Religionsunterricht an der Universität Mainz auszubilden, wobei der islamische Religionsunterricht perspektivisch in Rheinland-Pfalz ausgebaut werden soll. Darüber hinaus sollen Möglichkeiten der Bestattung nach islamischem Vorschriften geschaffen und auch die religiöse Betreuung und Seelsorge, zum Beispiel in Justizvollzugsanstalten, etabliert werden. Auch wird von beiden Seiten festgehalten, dass man gemeinsam die gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen in Rheinland-Pfalz fördern und jeglicher Form von Diskriminierung entschlossen entgegentreten werde. Dabei wird explizit antimuslimischer Rassismus, Antisemitismus und religiöser Extremismus erwähnt.
Einer der Verbände ist die hochumstrittene DITIB, die in den letzten zehn Jahren in diverse Skandale verwickelt war und bis heute unter bedeutendem Einfluss der türkischen Religionsbehörde (DIYANET) in Ankara steht, welche wiederum direkt dem türkischen Präsidenten untersteht. Wie stehen Sie zu diesem Einfluss durch ein rechts-autokratisches Regime?
Die DITIB ist seit ihrer Gründung 1984 ein Ableger der türkischen Religionsbehörde DIYANET. An dieser Realität hat sich seit über 40 Jahren nichts verändert. Die DITIB in Deutschland ist nach wie vor strukturell, personell und finanziell abhängig vom türkischen Staat. Und daher ist es meiner Ansicht nach ein fataler Fehler, dass unsere Religionspolitik sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene diese Struktur wie eine Religionsgemeinschaft behandelt, ohne dass sich an dieser tiefgehenden Abhängigkeit von einem ausländischen Staat etwas geändert hat. In meinem neuen Buch "DITIB und der ferngesteuerte Islam in Deutschland", das am 29. Januar erscheint, gehe ich auf diese Abhängigkeit und die Frage ein, welche Auswirkungen sich daraus für unser gesellschaftliches Zusammenleben in Deutschland ergeben, und fordere eine religionspolitische Zeitenwende.
Der neue Staatsvertrag in Rheinland-Pfalz ist in diesem Kontext ein aktuelles Beispiel für eine verfehlte religionspolitische Strategie der politischen Verantwortlichen.
Sie zeigen eine klare Abhängigkeit der DITIB vom türkischen Staat auf, allerdings hört man von anderen Stimmen, dass einige DITIB-Gemeinden sich von dieser Verbindung gelöst hätten, gar von einer Art Autonomie ist die Rede? Wie stehen Sie dazu?
Da muss man diejenigen, die von einer vermeintlichen Autonomie sprechen, fragen, woran sie das denn festmachen? Man muss die Wunschvorstellungen, die einige Akteure in der Politik oder bei Vertretern der Kirchen haben, mit der Realität abgleichen. Es wird immer viel behauptet, um die eigenen politischen Entscheidungen zu rechtfertigen. Aber wenn wir uns mit den Satzungen und der gelebten Realität im DITIB-System ernsthaft auseinandersetzen, dann wird sehr schnell deutlich, dass das religiöse Leben in den größten Moscheen in Deutschland vom türkischen Staat und seiner Religionsbehörde gestaltet und kontrolliert wird. Wir haben auf unterschiedlichen Ebenen der DITIB Beamte der DIYANET und Religionsattachés in den türkischen Konsulaten, die sowohl auf Bundes- als auch Landesebene eine Kontrollfunktion haben. Das lässt sich – meiner Meinung nach – nicht wegdiskutieren.
"Der neue Staatsvertrag in Rheinland-Pfalz ist in diesem Kontext ein aktuelles Beispiel für eine verfehlte religionspolitische Strategie der politischen Verantwortlichen."
Der Vorsitzende der DIYANET, Ali Erbaş, fällt nicht nur seit Jahren durch Hetze gegen Homosexuelle auf, zuletzt äußerte er sich auch immer wieder antisemitisch und bezeichnete Israel als "rostigen Dolch, der im Herzen der islamischen Geographie steckt". Wie schätzen Sie den Einfluss Erbaş' auf DITIB ein?
Ali Erbaş als Chef der türkischen Religionsbehörde (DIYANET) ist die zentrale religiöse Autorität der DITIB in Deutschland. Und daran wird sich auch nichts ändern. Erst im Mai 2024 hat Zekeriya Altug (Sprecher der DITIB) betont, dass die DIYANET und damit Erbaş die "religiöse Autorität und theologische Instanz" der DITIB bleiben werde. Und laut Satzung der DITIB ist Erbaş auch derjenige, der dem mächtigsten Vereinsorgan der DITIB, dem religiösen Beirat, vorsitzt. In diesem Beirat sitzen Beamte der DIYANET und langjährige DIYANET-Funktionäre, die den Vorsitzenden und Vorstandmitglieder der DITIB in Deutschland bestimmen und auch die Grundausrichtung des Verbands vorgeben.
In den Verträgen wird explizit "das klare Bekenntnis der Vertragsunterzeichnenden zum Existenzrecht des Staates Israel" angeführt, und dass "die Basis die freiheitlich-demokratische Grundordnung" sei. Wie passt dies mit der Hetze von Erbaş gegen Homosexuelle und den Staat Israel zusammen, wenn doch Erbaş der direkte Vorgesetzte von einem Großteil der DITIB-Imame ist?
Wie das miteinander vereinbar ist, muss man die politischen Verantwortlichen fragen. Dass sich die Landesregierung alles andere als sicher ist, merkt man gerade an dieser Passage des Vertrags. Denn diese Passage im Staatsvertrag ist eine Art Absicherung für die Landesregierung.
Sie wissen ganz genau, was für einem fragilen Partner sie gegenüberstehen. Diese Passage ist sozusagen die Exit-Strategie der Landesregierung, um bei Bedarf den Vertrag wieder aufzukündigen.
Hat beispielsweise der DITIB-Landesverband in Rheinland-Pfalz überhaupt die Möglichkeit, sich öffentlich von der Hetze eines Ali Erbaş zu distanzieren?
Nein. Und das wissen die Funktionäre der DITIB, die politischen Verantwortlichen in Rheinland-Pfalz als auch die der Bundesregierung. Die DITIB ist nicht in der Lage, sich von der antisemitischen Hetze, dem Israelhass und der regelmäßigen Hetze gegen LGBTQ seitens der DIYANET und Ali Erbaş als ihre religiöse Autorität zu distanzieren oder eine eigenständige Haltung einzunehmen. Das haben wir eindeutig nach dem Terror der Hamas vom 7. Oktober 2023 gesehen. Die DITIB war nicht in der Lage, die Hamas als Terrororganisation zu bezeichnen. Stattdessen sind sie mit Stellungnahmen aufgefallen, die die schrecklichen Taten vom 7. Oktober relativierten.
"Wir haben auf unterschiedlichen Ebenen der DITIB Beamte der DIYANET und Religionsattachés in den türkischen Konsulaten, die sowohl auf Bundes- als auch Landesebene eine Kontrollfunktion haben. Das lässt sich – meiner Meinung nach – nicht wegdiskutieren."Kurz nach dem 7. Oktober hat die DITIB in Nordrhein-Westfalen auf Druck der Staatskanzlei in Düsseldorf eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet, die den Terror der Hamas am 7. Oktober verurteilte, aber diese Erklärung ist nie auf der Homepage der DITIB veröffentlich worden. Denn diese Erklärung war nur für die Politik gedacht, um sich dem Druck zu entziehen. Die Erklärung wurde aber nicht in die eigenen Gemeinden kommuniziert.
Und besonders aufschlussreich war es, als wenige Monate später der Chef der DITIB, Muharrem Kuzey, in der türkischen Presse diese gemeinsame Erklärung in der NRW-Staatskanzlei revidierte. Man habe nur widerwillig diese unterzeichnet. Selbst auf politischen Druck entstandene Positionierungen sind also nicht einmal das Papier wert, und man darf sich durch diese Form der doppelten Kommunikation nicht an der Nase herumführen lassen. Das, was man in die Politik kommuniziert, ist nämlich nicht das, was diese Funktionäre in ihren Gemeinden oder in der türkischen Öffentlichkeit kommunizieren.
2021 hatte der rheinland-pfälzische DITIB-Vorsitzende seinen Rücktritt erklärt, nachdem öffentlich Kritik an der Einladung des Historikers Ahmet Şimşirgil, der für seine radikale Hetze gegen Homosexuelle bekannt ist, publik wurde. Bis dahin schien sich in Reihen der DITIB aber wohl kaum jemand an der Einladung gestört zu haben. Mitunter konnte man aus dem DITIB-Umfeld hören, dass die Kritik als eine "Art Kampagne" gegen den Verband verstanden würde. Ist dies symptomatisch auch für den Landesverband in Rheinland-Pfalz?
Das ist nicht nur symptomatisch für den Landesverband in Rheinland-Pfalz, sondern für die DITIB insgesamt. Nur wenn diese Vorfälle – und das sind übrigens keine Einzelfälle, sondern wir haben es hier mit einem strukturellen Problem zu tun – öffentlich werden, werden entweder die problematischen Inhalte einfach gelöscht, ohne sich dazu zu äußern, oder man zieht Konsequenzen, weil man schlichtweg keine andere Wahl hat. Es fehlt an einem grundlegenden Problembewusstsein, wenn es um Antisemitismus, türkischen Rechtsextremismus, Homophobie und Demokratiefeindlichkeit in der eigenen Community geht.
Auch der Verband Ahmadiyya Muslim Jamaat, der Teil der Verträge in Rheinland-Pfalz ist, steht seit Jahren für seine rigide Geschlechtertrennung in der Kritik. Der Bundesvorsitzende des Verbandes., Abdullah Wagishauser, hatte noch 2019 in einem Interview erklärt, dass "Homosexualität eine Sache sei, die Gott nicht gefalle". Darüber hinaus habe das "Oberhaupt der Gemeinde über Fälle gesprochen, in denen sich Leute wieder freigemacht hätten von dieser sexuellen Vorstellung". Wagishauser ergänzte dabei offen: "Wer sich outet, wird wahrscheinlich nicht Präsident der Gemeinde." Wenn derartige Strukturen und Ideologien nun über Verträge mit dem Bundesland Rheinland-Pfalz unter anderem Einfluss auf Schüler:innen an staatlichen Schulen haben, was bedeutet das für eine Demokratie, die sich Menschenrechte, Emanzipation und Diversität auf die Fahne schreibt?
Anders als zum Beispiel die DITIB gibt es bei der Ahmadiyya keine Beeinflussung seitens eines ausländischen Staates. Aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in der Ahmadiyya hoch problematische Haltungen gibt. Die Ahmadiyya präsentiert sich in der Öffentlichkeit gerne als Reformgemeinde. Man sei liberaler und moderner ausgerichtet als andere muslimische Verbände, wie etwa die DITIB. Das liest sich sehr schön in PR-Broschüren, doch wenn man sich mit den Positionen der Ahmadiyya oder ihres sogenannten "spirituellen Kalifen" auseinandersetzt, ist das alles andere als eine Reformgemeinde. Man findet dort sehr rigide Vorstellungen in Bezug auf Geschlechterrollen, sehr problematische Aussagen über Homosexualität und auch antisemitische Stereotypen. Aber anscheinend ist unsere Politik nicht in der Lage, diese Positionen in den theologischen Schriften der Ahmadiyya kritisch mit ihren Vertretern zu besprechen. Das ist fatal.
Vielen Dank für das ausführliche Interview.
Das Interview führte Kurt Schmalle für den hpd.
1 Kommentar
Kommentar hinzufügen
Netiquette für Kommentare
Die Redaktion behält sich das Recht vor, Kommentare vor der Veröffentlichung zu prüfen und über die Freischaltung zu entscheiden.
Kommentare
Roland Fakler am Permanenter Link
Nach diesem erleuchtenden Interview stellt sich für mich die Frage, ob man Geld für Bildung noch dümmer ausgeben kann, als den menschenfeindlichen Machtfantasien eines Propheten aus dem 7.
Siehe dazu: rolandfakler.de/nicht-muslime/