175 Jahre Berliner Zoo

Hinter Eisengittern und Panzerglas

Der Berliner Zoo begeht am 1. August sein 175. Gründungsjubiläum, gefolgt von dreitägigen Fest- und Sonderveranstaltungen auf dem Zoogelände. Seit Wochen schon überschlagen sich die lokalen Medien mit Vorabberichten zu all den geplanten Jubiläumsattraktionen, mit denen der Zoo (zahlende) Zusatzbesucher anzulocken sucht: Klassische Konzerte (45 Euro pro Ticket), längere Öffnungszeiten an einem der Jubeltage (um exakt 175 Minuten!), Themenführungen, Mitmachaktionen für Kinder mit Malen, Basteln, Geschminktwerden und dergleichen mehr. Letztlich feiert nicht nur der älteste und traditionsreichste Zoo hierzulande den Tag seiner Begründung – genauer: den Tag seiner Eröffnung –, sondern der mit über 20.000 Tieren aus rund 1.300 Arten angeblich tier- und artenreichste der Welt. Tatsächlich gilt der Berliner Zoo als kulturtouristisches Aushängeschild der Stadt schlechthin, besucht, wie es heißt, von mehr als 3,5 Millionen Menschen pro Jahr. Anlass genug für hpd-Autor Colin Goldner, einen etwas genaueren Blick auf den "Hauptstadtzoo" zu werfen.

Der Zoo Berlin geht zurück auf eine Schenkung Friedrich Wilhelms IV. an die Berliner Bevölkerung. Der ab 1840 als solcher regierende Preußenkönig hatte die in einer Privatmenagerie seines Vorgängers gehaltenen Wildtiere, an denen er kein Interesse hatte, als Grundstock für einen zu begründenden "Thierpark" zur Verfügung gestellt. Dieser wurde am 1. August 1844 eröffnet.

Nach massiven Anlaufschwierigkeiten, die den als Aktiengesellschaft geführten Zoo mehrfach an den Rand des Konkurses brachten, wurden Ende der 1860er Jahre neue Aktien ausgegeben, wodurch sich die Finanzlage stabilisierte. Es konnten zahlreiche Tierhäuser gebaut werden, deren Baustil an die Herkunftsländer der darin gehaltenen Tiere erinnern sollte. Ab den 1890ern entstanden weitere Gehegegroßbauten, auch Musikpavillons, ein Wiener Café sowie ein mondänes Gesellschaftshaus mit Ballsaal, Kino und Terrassenrestaurant. Der Zoo avancierte zum Mittelpunkt des gepflegten Berliner Gesellschaftslebens. Auch der Tierbestand wurde erheblich erweitert, so dass Berlin sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts des weltweit artenreichsten Zoos rühmen konnte.

Tanzsaal um 1912, Foto: Archiv Great Ape Project
Tanzsaal um 1912, Foto: © Archiv Great Ape Project

Der Erste Weltkrieg bedeutete für die bis dahin prosperierenden deutschen Zoos eine deutliche Zäsur. Das Interesse der Menschen am Besuch zoologischer Gärten hatte während des Krieges und danach spürbar abgenommen. Keiner der deutschen Zoos konnte auch nur annähernd an die ruhmreichen Zeiten der Belle Époque anknüpfen. In Berlin konnte selbst die Wiederaufnahme der sogenannten "Völkerschauen", wie sie schon seit der Jahrhundertwende mit großem Erfolg im Zoo veranstaltet worden waren, den Betrieb nicht wirklich wiederbeleben. (Nach dem Vorbild des Tierhändlers Carl Hagenbeck, der in seinem 1874 in Hamburg eingerichteten "Thierpark" neben exotischen Tieren aus aller Welt auch "exotische Menschen" ausstellte, bevorzugt aus Äthiopien, Somalia, dem Sudan und anderen als "rückständig" geltenden Ländern, hatte der seit 1888 in Berlin amtierende Zoodirektor Ludwig Heck derlei kulturchauvinistische und durchwegs offen rassistische "Völkerschauen" auch in die Reichshauptstadt geholt.)

Nazi-Zoos

Erst ab 1933 ging es wieder aufwärts. Großzügig gefördert durch die neuen Machthaber, konnten flächendeckend heruntergekommene Zooanlagen überholt oder durch Neubauten ersetzt werden. Vielerorts wurden gar komplett neue Zoos eingerichtet, so etwa in Heidelberg, Osnabrück oder Krefeld. In der Tat eigneten sich die Zoos hervorragend als NS-Propagandainstrumente: sie dienten als Stätten "darstellender Biologie", in denen zentrale ideologische Themen des NS-Staates wie Vererbungslehre, Rassenkunde oder Eugenik anschaulich gemacht werden konnten. Mit "exotischen" Tieren konnte überdies Propaganda für die "Wiedergewinnung" der ehemaligen deutschen Kolonien gemacht werden.

Ehrenbüste für Altnazi Ludwig Heck, Foto: Archiv Great Ape Project
Ehrenbüste für Altnazi Ludwig Heck, Foto: © Archiv Great Ape Project

Besonders der Berliner Zoo profitierte von der Zoobegeisterung der Nazis. Ministerpräsident Hermann Göring hatte sich persönlich dafür starkgemacht, dass der Zoo 1935 eine reich bemessene Geländeschenkung aus preußischem Staatsbesitz erhielt, auf der, angrenzend an die bestehenden Anlagen, ein eigenständiger "Deutscher Zoo" eingerichtet wurde. In künstlich geschaffenen Felsgehegen wurden Bären, Wölfe, Luchse und andere "deutsche" Tiere gehalten. An einigen der Gehege wurden zur Verdeutlichung des Deutschtums der darin gezeigten Tiere eigens kleine Hakenkreuze angebracht.

Der seit 1932 in Nachfolge seiner Vaters amtierende Zoodirektor Lutz Heck war bereits seit 1933 offizielles "Fördermitglied der SS" gewesen. 1937 trat er der NSDAP bei und stieg in führende Parteifunktionen auf. Unter seiner Ägide wurden jüdische Aktionäre des Zoos gezwungen, ihre Anteile zu Spottpreisen zu verkaufen. Ab 1939 wurde Juden der Zutritt zum Zoo verboten.

Nach dem Krieg tauchte Heck unter. Kurz nach seinem Tod 1983 wurde zu seinen Ehren eine Bronzebüste im Zoo aufgestellt, die erst Jahrzehnte später – auf massiven öffentlichen Druck hin – mit einem Hinweis zu seiner führenden Rolle innerhalb des NS-Regimes versehen wurde. Eine Ehrenbüste von Hecks Vater und Amtsvorgänger Ludwig Heck, verantwortlich für die menschenverachtenden "Völkerschauen" im Berliner Zoo und wie sein Sohn bekennender Nazi – Heck sen. war maßgeblich an der Entwicklung der NS-Rassenlehre beteiligt gewesen –, steht bis heute unkommentiert im Zoo herum. (Eine seit Mitte der 1950er nach Ludwig Heck benannte Grundschule in Berlin-Mariendorf wurde – ebenfalls erst nach massivem Druck von außen – 2018 umbenannt.)

Nach dem Krieg

Während des Zweiten Weltkrieges wurde der Berliner Zoo zu größten Teilen zerstört, weniger als hundert Tiere überlebten die Bombenangriffe auf die Stadt. Schon unmittelbar nach Kriegsende wurde mit der Wiederherstellung der zerstörten Anlagen begonnen, viele der historischen Tierhäuser wurden originalgetreu nachgebaut.

Das rekonstruierte Antilopenhaus von 1872, Foto: Archiv Great Ape Project
Das rekonstruierte Antilopenhaus von 1872, Foto: ©Archiv Great Ape Project

Auch wenn von vielen der historischen Bauten nur noch Photos existieren – vor dem Krieg hatte es ein "Straußenhaus" in Gestalt eines ägyptischen Pharaonengrabes gegeben oder eine "Elefantenpagode" im Stil eines südindischen Hindu-Tempels –, so vermitteln die rekonstruierten Tierhäuser doch einen guten Eindruck davon, wie in den Gründerjahren der europäischen Zoos das Unterhaltungsbedürfnis des gutbürgerlichen Publikums bedient wurde: Weitgehend originalgetreu wiederhergestellt wurde etwa das ursprünglich im Jahre 1872 erbaute und einen orientalischen Sultanspalast aus "1001 Nacht" darstellende "Antilopenhaus".

Trostlose Raubtierhaltung, Foto: Archiv Great Ape Project
Trostlose Raubtierhaltung, Foto: © Archiv Great Ape Project

Die wiedererstellten "historischen" Prunkbauten können gleichwohl nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Gros der im Berliner Zoo vorgehaltenen Tiere in grotesk kleine Käfige eingesperrt ist. Kaum eines der Innengehege entspricht den Vorgaben, die "moderne" Zoos für sich reklamieren. Das Affenhaus beispielsweise, ein trister Betonkomplex aus den 1950er Jahren, beherbergt, ineinander übergehend, ein sogenanntes "Niederaffenhaus", ein "Tropenhaus" sowie ein "Menschenaffenhaus". Niederaffen- und Tropenhaus weisen zusammen 22 Einzelkäfige auf, von denen sieben weniger als vier Quadratmeter groß sind. In diesen Kleinkäfigen werden verschiedene Neuweltaffen wie Weißbüscheläffchen, Seidenäffchen, Schwarzrückentamarine usw. gehalten. In etwas größeren, teils verfliesten, teils verklinkerten Käfigen sind Languren, Siamangs, Hulmane, Mandrille, Meerkatzen, Brüllaffen usw. untergebracht.

In vollverfliestem Betonbunker, Foto: Archiv Great Ape Project
In vollverfliestem Betonbunker, Foto: © Archiv Great Ape Project

Das sogenannte Menschenaffenhaus wurde im Laufe der Jahre mehrfach umgebaut und modernisiert, dennoch erweckt die Mehrheit der Gehege den Eindruck, als sei seit den 1950ern noch nie etwas an ihnen verändert worden. Nur drei der neun Einzelkäfige erlauben einen Blick ins Freie, ansonsten sind sie von nackten bzw. verfliesten Betonwänden und zum Besuchergang hin von Panzerglasscheiben umgeben. Die derzeit fünf vorgehaltenen Gorillas verfügen über zwei separate Innengehege: ein kleineres mit einer Grundfläche von etwa 30qm ist, ganz im zoologischen Selbstverständnis der 1950er, vollverfliest und mit Edelstahlklettergerüsten ausgestattet (hier wird Gorilla-Seniorin FATOU, die seit 60 Jahren (!) im Berliner Zoo lebt, in Einzelhaft gehalten); ein 2009 umgestaltetes etwas weiträumigeres Gehege weist gelben Wand- und grünen Bodenanstrich auf, was den Besuchern wohl Urwaldatmosphäre vorgaukeln soll. Für die darin untergebrachte vierköpfige Gorillafamilie hat sich bis auf die etwas größere Grundfläche, eine kleine Rindenmulchinsel und die Installation von ein paar Totholzstämmen anstelle der Stahlrohrgerüste nicht viel geändert. Nicht anders stellt sich die Unterbringung der Schimpansen und Bonobos dar. Den Orang-Utans stehen vier nebeneinanderliegende Käfigeinheiten alten Zuschnitts zur Verfügung: die rundum verfliesten Käfige weisen nackte Betonböden auf. Weder in den alten noch in den neugestalteten Gehegen gibt es nennenswerte Rückzugs- oder Versteckmöglichkeiten. Die ab 2008 neuangelegten Außengehege – vorher gab es überhaupt nichts dergleichen – entsprechen gerade einmal zooüblichem Minimalstandard.

Aktuelle Situation

Mit derzeit rund 20.000 Tieren aus 1.300 Arten – noch vor Kurzem sollen es sogar 25.000 Tiere aus 1.500 Arten gewesen sein – rühmt sich der Zoo Berlin, der "tierbestand- und artenreichste Zoo der Welt" zu sein. (Der Durchschnitt deutscher Zoos liegt bei 2.500 Tieren in 250 Arten.) Trotz Umsatzerlösen im zweistelligen Millionenbereich und erheblichem Spenden- und Nachlassaufkommen wird der nach wie vor als Aktiengesellschaft firmierende Zoo jährlich mit Millionenbeträgen aus Steuergeldern bezuschusst.

Flügelamputierter Pelikan, Foto: Archiv Great Ape Project
Flügelamputierter Pelikan, Foto:  © Archiv Great Ape Project

Der im Jahre 2014 neuangestellte Direktor des Zoos, Andreas Knieriem, zugleich zuständig für den Ostberliner Tierpark Friedrichsfelde, legte 2015 einen "Masterplan" zum Um- und Ausbau der beiden Einrichtungen vor, dessen Realisierung vorläufig veranschlagte – und von den entsprechenden Gremien anstandslos durchgewunkene – 92,36 Millionen Euro verschlingen wird; zu bezahlen in erster Linie aus öffentlichen Mitteln. Geplant ist eine konsequente Disneylandisierung der beiden Hauptstadtzoos nach dem Vorbild des Zoos Hannover, in dessen Umgestaltung zum "Erlebniszoo" Knieriem als stellvertretender Direktor satte 107 Millionen Euro versenkt hatte; samt unabsehbaren Folgekosten für massiven Pfusch am Bau, für den erwartungsgemäß niemand die Verantwortung übernahm.

Artgerechter Lebensraum?, Foto: Archiv Great Ape Project
Artgerechter Lebensraum?, Foto: © Archiv Great Ape Project

Die Investitionen werden sich aller Voraussicht nach nie amortisieren, am wenigsten angesichts des allenthalben abnehmenden Besucherzuspruchs, den der Zoo Berlin, wie alle anderen Zoos und zooähnlichen Einrichtungen auch, mit künstlich nach oben manipulierten Zahlen zu kaschieren sucht. Ganz abgesehen davon, dass die immer wieder vorgetragene Behauptung, Zoos seien wichtige Attraktionsfaktoren für eine Stadt oder Region, die über Umwegrentabilität – Stärkung von Einzelhandel, Hotel- und Gaststättengewerbe – die ihnen zuteilwerdende Subventionierung rechtfertigten, ist nachweislich falsch ist: Aus tourismuspolitischer Sicht machen Zoos, selbst wenn man die nach oben gepushten Zahlen der einzelnen Einrichtungen zugrundelegte, keinen Sinn. Dennoch werden sie von Kommunal- und Landespolitikern über das Argument der Umwegrentabilität mit Millionenbeträgen aus Steuergeldern gefördert.

Manipulierte Besucherzahlen

Zoos beschreiben sich als meistbesuchte Kultureinrichtungen überhaupt. Die Rede ist von 45 Millionen Besuchern pro Jahr allein in hiesigen Zoos. Tatsächlich haben diese Angaben einen geflissentlich übersehenen Haken: sie setzen Besuche mit Besuchern ineins. Viele Menschen besuchen ein und denselben Zoo per Dauerkarte mehrfach pro Jahr, manche kommen regelmäßig jede Woche (oder gar täglich!) und/oder suchen reihum verschiedene Zoos auf, so dass die Zahl zoobesuchender Menschen tatsächlich nur einen Bruchteil der Zahl registrierter Zoobesuche ausmacht.

Das weltberühmte Elefantentor, Foto: Archiv Great Ape Project
Das weltberühmte Elefantentor, Foto: © Archiv Great Ape Project

Der Zoo Berlin, der angeblich von mehr als 3,5 Millionen Menschen pro Jahr besucht wird, verkaufte im letzten Jahr rund 64.000 Dauerkarten. Bei vom Zoo selbst angenommenen 22 Besuchen pro Jahr und Karte – tatsächlich dürften es wesentlich mehr sein – bleiben gerade einmal 1,3 Millionen Besucher, die den Zoo teils mehrfach besucht haben. Hinzu kommt, dass etwa die Hälfte der Besucher sowohl den Zoo als auch das angeschlossene Aquarium besuchen, aber für beide Einrichtungen jeweils extra bezahlen müssen und deshalb auch doppelt gezählt werden. In anderen Worten: der Zoo Berlin wurde – konservativ berechnet – im Jahr 2018 von allenfalls 950.000 Menschen besucht, die teils mehrfach kamen und teils auch das Aquarium besuchten. Sie wurden bei jedem ihrer Besuche als unterschiedliche Besucher gezählt. Zoos bedienen sich durchwegs dieses Tricks, um mit astronomischen Besucherzahlen ihre gesellschaftliche Bedeutung und Akzeptanz zu unterstreichen. Tatsächlich nimmt die Akzeptanz der Zoos nachgerade galoppierend ab: immer weniger Menschen empfinden Vergnügen daran, hinter Panzerglas und Eisengitter eingesperrte Wildtiere zu besichtigen.