Selten hat wohl eine Neuregelung im Bereich der Unterrichtspflicht religiöse wie religionsfreie Gruppen ähnlich entrüstet. Die walisische Bildungsministerin Kirsty Williams jedoch hat genau das erreicht. In Zukunft wird nicht nur sexuelle Aufklärung verpflichtend, sondern auch der Religionsunterricht.
Bereits zu Beginn des Jahres 2019 begannen die Planungen für eine Änderung der Regelungen für den Religions-, aber auch den Sexualkundeunterricht. Nun ist es amtlich. Ab 2022 soll ein neuer Lehrplan gelten. Dieser umfasst sowohl "Religious Education (RE)" (Religiöse Erziehung) als auch "Relationships and Sexuality Education (RSE)" (Beziehungs- und Sexualitätserziehung), vorher "Sex and Relationships Education" (Sex- und Beziehungserziehung) verpflichtend. Eine Abmeldung ist nicht möglich. Wer ein Kind von diesen Fächern befreien wollte, müsste es zuhause unterrichten.
Religiöse Gruppierungen ist der Unterricht zu Beziehungen und Sexualität ein Dorn im Auge. Obwohl der Fokus auf der Ehe samt Fortpflanzung liegt, sollen auch andere Formen der Beziehung, Werte, Rechte, Kultur, Sexualität, Geschlecht, Gewalt und Sicherheit, Körper und Entwicklung sowie Gesundheit behandelt werden. Was Organisationen und Verbände, die sich um Menschen mit HIV oder AIDS kümmern und aktuell einen Anstieg der Neuinfektionen in Irland beklagen und LGBTQIA+-Gruppen erfreut, da es jungen, zum Beispiel homosexuellen, Menschen auch zeigt, nicht falsch oder allein zu sein, lehnen religiöse Gruppe als vermeintliche Sexualisierung von Kindern und Jugendlichen ab.
Da im neuen Gesetzespaket jedoch nicht nur die Aufklärung über Beziehungen, Körper und Sexualutät eine Rolle spielt, sondern auch die Teilnahme am Religionsunterricht zur Pflicht wird, sind religionsfreie Eltern ebenfalls betroffen. Für sie ist es nicht mehr möglich, ihre Kinder vom Religionsunterricht abzumelden. Bisher war das, obwohl über 90 Prozent der Schulen in kirchlicher Hand sind, noch möglich. Walisische Humanisten sehen im Zwang zur religiösen Indoktrination von Kindern und Jugendlichen einen Gesetzesverstoß. Dass sie damit womöglich recht haben, zeigt ein Urteil aus England. Eltern sahen dort durch die religiöse Indoktrination in der Schule ihr Recht auf Glaubensfreiheit verletzt. Der Oberste Gerichtshof in London gab ihnen Recht.
Ein Testlauf für den neuen Unterricht soll bald beginnen. Dabei sollen in den ersten sechs Jahren, der "Primary School", verschiedene Formen von Beziehungen besprochen und in der weiterführenden Schule, der "Secondary School", die Sexualität behandelt werden. Die Ergebnisse des Testlaufs könnten in die von Ministerin Williams geplante behutsame Einführung des Pflichtunterrichts noch Änderungen einbringen.
10 Kommentare
Kommentare
Stefan Dewald am Permanenter Link
Die armen Religionslehrer!
Konrad Schiemert am Permanenter Link
Der neue Lehrplan sieht nach einem faulen Kompromiss zwischen RSE- und RE-Unterstützer aus. Hoffentlich wird die RE-Pflicht abgeschafft oder der RE mindestens in Religionskunde (Religionsgeschichte) umgedeutet.
Thorsten am Permanenter Link
Education heißt auch Bildung, und Aufklärung über Religion ist genauso wichtig wie Aufklärung über Sexualität.
Bedenklich ist, dass "über 90 Prozent der Schulen in kirchlicher Hand sind". Aber auch hier sollte vor einer Urteilsbegründung genauer hingeschaut werden.
Martin Mair am Permanenter Link
Zuerst sollte mensch in der Schule auch einmal etwas tiefer gehendes von der Aufklärung erfahren. Einen Philosophieunterricht gibt es nach wir vor so gut wie nirgends!
Und auch Marxist*innen könnten einen Marxismusunterricht verlangen!
CnndrBrbr am Permanenter Link
Wie sieht denn der Religionsunterricht für Atheisten aus? Freistunde?
Konrad Schiemert am Permanenter Link
Man könnte ganz neutral Religionskunde und Religionsgeschichte unterrichten.
René am Permanenter Link
>> Wie sieht denn der Religionsunterricht für Atheisten aus? Freistunde?
Im Prinzip ja. Deine Frage wirkt infragestellend. Warum?
Martin Mair am Permanenter Link
Das wird mensch wohl bis zum Europäischen Gerichtshof gehen müssen!
Aus der Ausübungsfreiheit folgt ferner die negative Freiheit, eine Religion nicht auszuüben. Der Staat darf die Ausübung religiöser Gebräuche oder die Einbeziehung in eine Religionsgemeinschaft nicht erzwingen. Die negative Religionsgemeinschaft umfasst das Recht, nicht zur religiös bekräftigten Eidesformel verpflichtet zu sein. Ferner besteht keine Pflicht zur Teilnahme an religiösen Veranstaltungen oder Unterweisungen. Aus diesem Grund muss auch die Befreiung vom Religionsunterricht in der Schule möglich sein. [in Fussnote Verweis auf EGMR 9.10.2007, Zengin vs. Türkei, Nr. 1448/04, Z 76] Nach Rechtsprechung des EGMR umfasst die negative Religionsfreiheit das Recht, nicht verpflichtet zu sein, den eigenen Glauben oder die eigene Überzeugung offen zu legen oder Angaben zu machen, aus denen auf die Überzeugung in Glaubensfragen geschlossen werden kann. Einen Anspruch darauf, nicht mit religösen Symbolen oder Inhalten konfrontiert zu werden, garantiert die Relgionsfreiheit jedoch nicht, und zwar auch nicht innerhalb der stattlichen Schulen."
Grabenwarter Pabel: Europäische Mebnschenrechtskonvention. 6. Auflage. § 22 RZ 116 (Pflichtlektüre, kostet nur 40 Euro!)
Helmut Lambert am Permanenter Link
Ich hatte auch an die Europäische Menschenrechtskonvention gedacht...Aber gilt die nach dem Brexit noch?
A.S. am Permanenter Link
Religionsunterricht als Koppelprodukt zur Sexualaufklärung - ein cleverer Trick der Religiösen.