Der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen gratulierte dem neuen Machthaber im Iran, Ebrahim Raisi, zu dessen "Wahl". Dagegen wurde weltweit Protest laut. Gemeinsam mit Mina Ahadi haben Menschenrechtler*innen einen Offenen Brief an Van der Bellen verfasst, den der hpd hier veröffentlicht.
Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
mit Entsetzen haben wir die von den Revolutionsgarden im Iran nahestehenden Medien verbreitete Nachricht Ihrer Glückwünsche an Ebrahim Raisi vernommen. Auch der Botschafter des islamischen Regimes Iran in Österreich twitterte über Ihre Glückwunschbotschaft.
Für uns ist es befremdlich und absolut unverständlich, wie Sie als Präsident eines europäischen Staates dieser Person, deren verbrecherische und blutige bisherige Geschichte hinlänglich bekannt ist, gratulieren können. Dabei ignorieren Sie die Proteste der Menschen im Iran und weltweit sowie die Proteste der iranischen Flüchtlinge und Einwanderer in Österreich.
- Wie können Sie bei einem Regierungssystem, in dem nur Männer für das Präsidentenamt kandidieren dürfen, eingegrenzt auch noch auf schiitische Männer, die Verbündete und langjährige Unterstützer dieses faschistisch-islamischen Regimes sind, von einer "Wahl" sprechen?
- Wie können Sie zu einer Wahl in einem System gratulieren, in dem Redefreiheit, Versammlungsfreiheit und die Parteienfreiheit nicht existieren? Zwei Drittel der Bevölkerung haben sich geweigert, an dieser Scheinwahl teilzunehmen. Vor der sogenannten Wahl hielten Hunderte von Menschen trotz Todesgefahr in verschiedenen Formen im Iran öffentliche Reden, in denen sie gegen das Regierungssystem und die Art und Weise der Organisation dieser "Wahlen" protestierten.
Es scheint uns kaum denkbar, dass Sie über die Person Raisis nicht informiert sind, sehr geehrter Herr Van der Bellen. Raisi beteiligt sich seit seinem 19. Lebensjahr an diesem repressiven und mörderischen Regime. Er war im Justizapparat tätig und als Staatsanwalt für Hinrichtungen und Ermordungen von Dissidenten verantwortlich. Insbesondere war er 1988 Mitglied des Todeskommitees und verurteilte Tausende von politischen Gefangenen – von denen viele bereits ihre früheren Haftstrafen verbüßt hatten und freigelassen werden sollten – durch eine politische Entscheidung des Regimes zum Tode. Er massakrierte Tausende, die danach in Massengräbern begraben wurden.
Herr Van der Bellen, haben Sie schon einmal von "Khavaran" gehört? Das ist der Ort, wo die Massengräber dieser jungen Menschen sind. Hier graben die Familien der Ermordeten mit bloßen Händen nachts den Boden um, um ihre Lieben zu identifizieren, unter den Drohungen des Regimes und im Widerstand gegen das Regime. Bis heute dürfen sie wegen der Repression des Regimes nicht einmal um ihre Angehörigen trauern oder Blumen auf die Massengräber in Khavaran niederlegen.
Unschwer können Sie erkennen, dass Raisi ein Verbrecher ist. Von 1988 bis heute bekleidete er außerdem leitende Positionen der Islamischen Republik Iran, unter anderem als Justizchef, verantwortlich für die Verhaftung, Folterung, Auspeitschung und Hinrichtung von Hunderten von Gefangenen, die keine anderen Verbrechen begangen haben als gegen Armut und Gesetzlosigkeit zu protestieren. Raisi lobte den Sommer 1988 als "eine der glorreichsten Errungenschaften des Systems". Als Justizchef gewährte er den Mördern von mehr als 1.500 jungen DemonstrantInnen Immunität. Diese Menschen wurden während des Massenaufstands 2019 getötet, Tausende weitere DemonstratInnen wurden inhaftiert, von denen viele heute noch im Gefängnis sitzen. Als Mitglied des Obersten Nationalen Sicherheitsrats war Raisi auch an der Entscheidung zum Abschuss eines ukrainischen Passagier-Flugzeugs am 8. Januar 2020 beteiligt, bei dem alle 176 Menschen an Bord getötet wurden. Letzte Woche lobte er in seiner ersten Pressekonferenz als Präsident seine blutige Bilanz unverhohlen als "Verteidigung der Menschenrechte".
Sie schreiben in Ihrer Glückwunsch-Adresse: "Ich wünsche Ihnen viel Erfolg in dieser wichtigen und herausfordernden Position. Wir hoffen, dass es Ihnen gelingt, die Hoffnungen und Sehnsüchte des iranischen Volkes nach Frieden zu verwirklichen, gute Beziehungen zwischen Iran und der Welt aufzubauen, insbesondere Spannungen zu deeskalieren und die Region zu stabilisieren, sowie gute wirtschaftliche Bedingungen und die Grundrechte der Freiheit zu gewährleisten."
Es ist offensichtlich, dass Raisi für das iranische Volk keine Hoffnung bedeutet, sondern Angst und Unterdrückung. Wir wissen aufgrund seiner bisherigen Bilanz von Verbrechen, Grausamkeit und Unbarmherzigkeit, dass er als Präsident Tod und Zerstörung bringen wird. Die iranische Bevölkerung weiß nach 42 Jahren Kampf gegen dieses barbarische und mörderische Regime genau, was ihr bevorsteht.
Der massive Streik der Ölarbeiter seit letzter Woche, die anhaltenden Proteste von Tausenden in Fabriken, Schulen, an Arbeitsplätzen und Universitäten und dazu die täglichen Proteste von Frauen, die von diesem Regime als Untermenschen angesehen werden, all dies ist die Reaktion der iranischen Bevölkerung auf diesen islamischen Verbrecher. Sie, sehr geehrter Herr Bundespräsident, wünschen Raisi viel Erfolg – wir dagegen werden Ihrem Büro in einigen Jahren seine Erfolgsstatistik mit weiteren Hinrichtungen, Folterungen und Amputationen zusenden können.
Sie bitten Raisi, die Beziehungen des Regimes mit der Welt sowie die Sicherheit in der Region auszubauen. Ein Regime, zu dessen Hauptsäulen die Feindlichkeit gegenüber dem Westen zählt und dessen Hauptparolen "Tod Amerika" und "Tod Israel" ist - ein solches Regime aufzufordern, gute Beziehungen mit der Welt aufzunehmen, kann wohl nicht ernst gemeint sein. Von einem Regime, das die Mittel des iranischen Volkes an organisierte islamische Terrorbanden in der Region verteilt und das selbst eine Ursache für Instabilität und Tötung von Menschen in Irak, Syrien, Libanon, Palästina usw. ist, zu erwarten, dass es Sicherheit in der Region herstellt, bedeutet im besten Fall, die Augen vor den Tatsachen zu verschließen.
Die Aufwertung des menschenverachtenden und verbrecherischen islamischen Regimes und seiner Protagonisten löst im Iran und in der Region eine Welle von Abscheu unter den zivilisierten, friedliebenden Bürgern aus und tritt alle aufklärerischen, humanitären und universellen Errungenschaften der westlichen Zivilisation, die Jahrhunderte lang hart
erkämpft wurden, mit Füßen. Stattdessen erwarten wir von Ihnen, dabei mitzuwirken, diese Verbrecher, die viele Privatkläger haben, zu verfolgen und wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht zu bringen.
Wir, die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner dieses Offenen Briefes, bitten Sie abschließend um eine offizielle Stellungnahme zum Inhalt unseres Briefes - und nicht zuletzt um eine Fundierung der österreichischen Politik gegenüber dem verbrecherischen iranischen Regime im Sinne der hier in diesem Brief aufgezeigten Gesichtspunkte.
Mina Ahadi, Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime, Köln
Nasrin Amirsedghi, Sprach-Dozentin, Berlin
Dr. Richard Herzinger, Publizist, Berlin
Dr. Stephan Grigat, Politikwissenschaftler, Universität Wien & Universität Passau
Paul Nellen, Dipl.-Pol., freier Autor & Journalist, Hamburg
Nina Scholz, Politikwissenschaftlerin, Wien
Heiko Heinisch, Historiker, Wien
Gerd Buurmann, Autor und Künstler, Köln
Ulrike Becker, Mideast Freedom Forum, Berlin
Seyran Ateş, Rechtsanwältin/Autorin, Berlin
Thierry Cherve, Literatur-Online-Magazin "Perlentaucher", Berlin
Dr. Heinz Gess, em. Prof. für Soziologie, Bielefeld
Arye Sharuz Shalicar, deutsch-persisch-israelischer Schriftsteller, Israel/Berlin
Dr. Elvira Grözinger, Literaturwissenschaftlerin, Publizistin und Vorsitzende der Scholars for Peace in the Middle East, SPME-Germany, Berlin
Dr. Michael Kreutz, Publizist, Bochum
Thomas Eppinger, Autor, Publizist, Wien
Sama Maani, Schriftsteller, Psychoanalytiker, Wien
Negar L. Roubani, Parlamentarische Mitarbeiterin bei Grüner Klub, Wien
Aygül Berîvan Aslan, Politikwissenschaftlerin, Juristin, Politikerin (Die Grünen), Wien
Hatice Sahin-Ilter, Dolmetscherin, Bezirksrätin, Wien
Gerhard Oberschlick, Publizist, Wien
Tidi von Tiedemann, Mediendesigner, KONTRASTFILM, Mainz
Erol Özkaraca, Rechtsanwalt, em. SPD-Abgeordneter, Berlin
Zara Riffler, freie Journalistin, Frankfurt
Simone Schwarz, Geschäftsführerin SAIDA International e.V., Leipzig
Klaus Blees, Kompetenzzentrum Islamismus der Aktion 3.Welt Saar e.V., Losheim am See
Rebecca Schönenbach, Frauen für Freiheit, Berlin
Ramona Wagner, Richard Dawkins Foundation, Westpfalz
Sima Mahzari, Soziologin und Frauenrechtlerin, Köln
Iman Leo Sefati, Reporter, Berlin
Golroch Jahangiri, Frauenrechtlerin, Berlin
Jahanshah Rashidian, unabhängiger aktivist Tv- Präsenation, Köln
Tonia Valiogli, em. national Sportlerin, USA
Shahnaz Moratab, The Association of families of flight PS752 victims, Frankfurt
Hourvash Pourkian, Vorstandsvorsitzende Kulturbrücke Hamburg e. V., Hamburg
Halina Bendowski, Agentin für Feminismus und Geschlechterdemokratie, Berlin
Shole Pakravan, Mutter von Reyhane Jabbari
Sacha Stawski, Vors. Honestly Concerned e.V. & ILI – I Like Israel e.V.
6 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Was sich dieser "Herr" van der Bellen da geleistet hat ist schier unglaublich.
Wer dies gutheisst oder durch derartige Gratulationsschreibe unterstützt, ist entweder ein
Gesinnungsfaschist oder Geisteskrank, anders ist dieses Schreiben nicht zu verstehen.
Angelika Wedekind am Permanenter Link
Schon unser deutscher Bundespräsident Steinmeier hatte dem Iran zum 40- jährigen Bestehen der iranischen Revolution gratuliert und nun gratuliert der östereichische Bundespräsident dem nächsten Faschisten.
A.S. am Permanenter Link
Dieser Brief sollte auch noch an zahlreiche andere Politiker verschickt werden, z.B. BP Steinmeier.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Das kann ich nur befürworten!! dieser Brief sollte Pflichtlektüre für ALLE Politiker werden.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Macht Diplomatie einem Regime gegenüber Sinn? Das ist die große Frage. Natürlich ist die Gratulation Van der Bellens Teil der diplomatischen Gepflogenheit.
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Doch beim Iran ist Hopfen und Malz verloren. Auch in Nordkorea, China, der Türkei, Russland, seinem Vasall Weißrussland und anderen. Es mangelt ja nicht an politischem Geschick oder an unausgereifter Diplomatie in diesen Ländern. Das mag bei manchem Demokratieanfänger in Afrika so sein.
Die Regimes der genannten Länder gehen ganz bewusst und in voller Kenntnis ihrer Gräueltaten so vor wie sie vorgehen. Sie verhöhnen Menschenrechte und Freiheit, saugen nur ihr Volk aus und lassen es sich und ihren Clans gutgehen. Eine Tür der Diplomatie (die - ihm Gutes unterstellend - Van der Bellen aufstoßen wollte) ist sinnlos, wenn ihr auf der anderen Seite eine festgefügte Granitmauer gegenübersteht...
Matthias am Permanenter Link
Da liese sich die Liste erweitern Mindestens noch Saudi-Arabien. Bald wohl wieder Afghanistan, sobald die Taliban gewonnen haben. Und die Liste liese sich ausbauen. Die KDVR hatte ja das Atomprogramm eingestellt.