Interview mit dem neuen GWUP-Vorsitzenden André Sebastiani

"Die GWUP, die wir bauen, soll für alle da sein!"

Am vergangenen Wochenende wurde in der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) ein neuer Vorstand gewählt. Dem ging ein langer und häufig auch unsauberer "Wahlkampf" voran, der auch nach der Wahl nichts an Schärfe eingebüßt hat. Nico Büttner sprach mit dem neuen GWUP-Vorsitzenden André Sebastiani darüber, wie die GWUP zukünftig gestaltet werden soll und ob es Möglichkeiten gibt, die tiefen Gräben wieder zu schließen.

Nico Büttner: André, dein Team und du haben am vergangenen Samstag die Wahlen zum GWUP-Vorstand für sich entscheiden können. Was sind deine ersten Gedanken?

André Sebastiani: Wir freuen uns sehr, dass die Mitglieder uns mehrheitlich ihr Vertrauen geschenkt und unser programmatisches Angebot gewählt haben. Wir haben uns große Mühe gegeben, die Vision einer einladenden, inklusiven, toleranten und wertschätzenden GWUP zu skizzieren, die nicht nur bestimmte Teilgruppen unserer Gesellschaft anspricht, sondern für alle soziokulturellen Milieus attraktiv ist.

Zudem haben wir uns darauf verpflichtet, einen absolut konsequenten wissenschaftlichen Skeptizismus zu praktizieren. Das ist schließlich der Kern dessen, was die GWUP ausmacht – unsere Raison d’Être gewissermaßen. Dazu gehört, dass wir uns sowohl menschlich und respektvoll, aber eben auch offen, ehrlich und ohne Denkverbote mit Aussagen aus allen Bereichen befassen, in denen Fehlinformationen und Irrglaube kursieren könnten. Wir wollen, dass kritisches Denken und wissenschaftliche Erkenntnisse produktiv eingesetzt werden können, um unsere Gesellschaft voranzubringen.

Was sind eure ersten Pläne für die GWUP?

Wir haben ein ambitioniertes 100-Tage-Programm vorgelegt, das wir jetzt in die Tat umsetzen möchten. Besonders entscheidend ist es meines Erachtens, dass wir ein breites Angebot schaffen, um die GWUP in ihrer ganzen Vielfalt zu zeigen. Das beinhaltet auch den Versuch, neue Gruppen anzusprechen, die bisher in unserem Verein unterrepräsentiert sind.

Kannst du einige Punkte aus dem 100-Tage-Programm schildern?

Gerne. Wir wollen zum Beispiel eine Engagement-Initiative starten. Bisher wurde unseren Mitgliedern nur ein geringer Teil des skeptischen Engagements gezeigt. Die Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf vergleichsweise wenige Personen und Formate. Die GWUP hat aber viele wirklich tolle Engagierte, die Großartiges leisten. Diese wollen wir sichtbarer machen. Wir denken außerdem, dass wir damit auch Begeisterung für neues Engagement wecken können. Dafür braucht es offene, verlässliche und vor allem vertrauensvolle Kommunikation. Für uns hat es ebenfalls hohe Priorität, in den Verein hineinzuhorchen. Die GWUP hat über 2.000 Mitglieder. Die meisten davon kenne ich leider nicht persönlich. Ich fühle mich ihnen gegenüber aber verpflichtet, weil sie unseren Verein unterstützen und es überhaupt erst möglich machen, dass es die GWUP gibt. Ich möchte besser verstehen, wofür sie sich interessieren, was sie sich von ihrer GWUP wünschen und wie wir besser werden können.

Wie kann man sich das konkret vorstellen? Wie horcht man in einen Verein hinein?

Auf viele verschiedene Arten. Wir wollen aber besonders systematische und möglichst repräsentative Umfragen unter unseren Mitgliedern durchführen. In der digitalen Welt ist das sehr einfach zu realisieren – man muss es nur machen! In der Vergangenheit wurde das weitgehend anders gemacht. Da hat man einfach mit denjenigen gesprochen, die man zufällig kannte oder die am häufigsten und lautesten ihre Meinung gesagt haben. Als Skeptiker würden wir aber jede Studie kritisieren, die mit einer solchen Methode vorgeht, denn hier können eklatante Verzerrungen im Meinungsbild entstehen. Deswegen sollten wir als Grundlage für die thematische Ausrichtung der GWUP und die Schwerpunkte, die wir setzen, anders vorgehen. Wir sollten alle Mitglieder fragen, was sie interessiert und was sie sich wünschen. Auch das werden wir zeitnah tun.

"Wir sollten alle Mitglieder fragen, was sie interessiert und was sie sich wünschen."

Über die thematische Ausrichtung der GWUP wurde auch vor den Vorstandswahlen kontrovers gestritten. Kannst du deine Sicht dazu kurz schildern?

Eine Gruppe wollte bestimmte Themen – insbesondere solche mit hoher gesellschaftlicher Relevanz – nicht in der GWUP diskutieren. In der Aussprache auf der Mitgliederversammlung war das auch ein zentraler Diskussionspunkt. Ein Mitglied des Teams von Holm Hümmler, das sich genau wie mein Team um die Vorstandsämter bewarb, bezeichnete bestimmte Themen explizit als "off topic". Eine zweite Gruppe, für die mein Team und ich maßgeblich gesprochen haben, wünscht sich einen anderen Ansatz. Diese Mitglieder wollen, dass wir kritisches Denken einsetzen, um Fehlinformationen, Mythen, Esoterik und Para- beziehungsweise Pseudowissenschaften auch bei neuen Themen zu entlarven – und auch, wenn diese gerade politisch kontrovers diskutiert werden.

Aber du räumst ein, dass das Themenspektrum der GWUP Grenzen hat?

Natürlich. Aber es ist nicht ganz klar, wo diese Grenzen liegen. Deswegen sollten wir nicht nur klassische Themen besprechen, sondern auch regelmäßig diskutieren, wo neue Themen liegen könnten und wo wir als Skeptiker einen Beitrag zu wichtigen Debatten in unserer Gesellschaft leisten können.

Ein Beispiel, das uns allen noch präsent ist, ist die Corona-Pandemie. Hier war unsere Gesellschaft mit einer völlig neuen Herausforderung konfrontiert. Es kursierten Verschwörungserzählungen, man bekam pseudowissenschaftliche Ratschläge, extreme politische Parteien nutzten die Lage, um Stimmung zu machen und zu mobilisieren. Hier haben Engagierte in der GWUP meines Erachtens Großartiges geleistet. Bernd Harder hat zum Beispiel für den Blog der GWUP Mythen dokumentiert, Nikil Mukerji, der heute das "Zentrum für Wissenschaft und kritisches Denken" der GWUP leitet, hat Vorschläge für einen rationalen Umgang mit der Pandemie ausgearbeitet, wieder andere haben Studien zerpflückt.

In dieser Zeit waren sich auch nicht immer alle einig – das war vollkommen in Ordnung! Das Engagement von GWUP-Mitgliedern war vielfältig und thematisch divers. Dem Diskurs hat das genutzt! Hätten wir uns in dieser Situation darüber gestritten, wer was wozu sagen darf und ob wir nicht einfach bei unseren klassischen Themen bleiben sollten, hätten wir als Skeptiker in der Corona-Zeit keinen relevanten Beitrag leisten können.

Dennoch gibt es Mitglieder, die sich offenbar wünschen, dass man im Wesentlichen bei den klassischen Themen bleibt – Wünschelruten, Homöopathie, Astrologie etc. Wie willst du diese Mitglieder nun mitnehmen?

Ich denke, hier gibt es immer noch Missverständnisse, die wir aufarbeiten müssen. Bedauerlicherweise ist bei manchen Mitgliedern der Eindruck entstanden, dass sich die GWUP unter meinem Vorsitz in einen monothematischen Verein verwandeln könnte, in dem nur noch politische Themen diskutiert werden. Dafür stand ich nie – tatsächlich ist das genaue Gegenteil der Fall. Meine Vision ist eine thematisch breite GWUP, in der für alle skeptisch Interessierten etwas dabei ist und Themen, die auf viel Interesse stoßen, respektvoll, aber ergebnisoffen diskutiert werden können. Ich denke, dass sich viele Bedenken in Luft auflösen werden, wenn klar wird, dass wir das wirklich auch so umsetzen werden.

"Meine Vision ist eine thematisch breite GWUP, in der für alle skeptisch Interessierten etwas dabei ist und Themen, die auf viel Interesse stoßen, respektvoll, aber ergebnisoffen diskutiert werden können."

Also erstmal gute Arbeit abliefern und dann weitersehen?

Genau: Taten statt bloße Worte! Das wussten ja bereits die antiken Stoiker. Mein Team möchte zunächst 100 Tage arbeiten und dann einen ersten Zwischenbericht abliefern. Wenn sich dann bereits viel Positives getan hat, wird das für sich sprechen.

Abschließend noch eine Frage, die mich als junges Neu-Mitglied der GWUP besonders interessiert: Was willst du für junge Menschen tun? Wie möchtest du in dieser Gruppe für den wissenschaftlichen Skeptizismus werben?

Über diese Frage freue ich mich als gelernter Grundschullehrer besonders. Und es gibt besonders hier viele Ideen und Ansatzpunkte. Ein pädagogischer Gemeinplatz besagt ja, dass man Menschen dort abholen muss, wo sie sind. Kollaborationen mit Content-Produzenten, die ein junges Publikum haben, sind also naheliegend. Es liegt auch auf der Hand, dass wir junge GWUP-Mitglieder besser miteinander vernetzen und sichtbarer machen sollten – und zwar innerhalb der GWUP genauso wie außerhalb. Analog zu den Jugendorganisationen von politischen Parteien würde ich mir eine Skeptiker-Jugendorganisation wünschen, die eigene Akzente setzt. Außerhalb des Vereins kann man ebenfalls viel tun: Felix Widmaier, der an der Universität Göttingen studiert, hat bereits die erste skeptische Hochschulgruppe gegründet. Nikil Mukerji und Andreas Brachmann haben an der LMU München eine interdisziplinäre Seminarreihe, die Studierenden skeptische Themen näherbringt. Wir sollten zudem ganz grundlegend ins Bildungssystem hineinwirken und hier Angebote schaffen. Ein Projekt, das ich vor kurzem initiiert habe und das mir besonders wichtig ist, wird Lehrkräfte in kritischem Denken schulen und Impulse liefern, wie man es im Unterricht vermitteln kann.

Es gibt also viel zu tun, viele neue Ideen und großen Tatendrang. Ich bin gespannt, wie es weitergeht.

Ich auch. Und wer sich dafür interessiert, den möchte ich einladen, das als Neumitglied aus nächster Nähe zu beobachten. Wir hatten in den vergangenen Tagen bereits viele neue Mitgliedsanträge – vermutlich mehr als jemals zuvor in so kurzer Zeit. Doch es ist immer noch genug Platz da. Alle, die mit Engagement, Diskussionsfreudigkeit, Neugier und gegenseitigem Respekt die skeptische Sache voranbringen möchten, sind herzlich eingeladen. Die GWUP, die wir bauen, soll für alle da sein!

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