Podiumsdiskussion "Letzte Hilfe! Ärzte aus dem In- und Ausland diskutieren über Suizidhilfe"

"Sie sind zynisch, Herr Sitte!"

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Im Gespräch mit dem Publikum
Im Gespräch mit dem Publikum

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Dr. Erika Preisig, Basel
Dr. Erika Preisig, Basel

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Peg Sandeen, Oregon
Peg Sandeen, Oregon

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Thomas Sitte, Hamburg
Thomas Sitte, Hamburg

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Elke Baezner, die Präsidentin der DGHS, sprang für die Simultan-Übersetzung Französisch-Deutsch ein
Elke Baezner, die Präsidentin der DGHS, sprang für die Simultan-Übersetzung Französisch-Deutsch ein

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Dr. Carlo Bock, Luxemburg
Dr. Carlo Bock, Luxemburg

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Prof. Dr. Dr. h. c. Dieter Birnbacher
Prof. Dr. Dr. h. c. Dieter Birnbacher

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Dr. Francois Damas, Liege
Dr. Francois Damas, Liege

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Podium
Podium

BERLIN. (hpd/dghs) Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) hatte am vergangenen Samstag internationale Gäste aus den USA, Belgien, Luxemburg und aus der Schweiz auf dem Podium. In der URANIA wurde über die "Letzte Hilfe" diskutiert.

Die Veranstaltung war gut besucht: 130 Interessierte waren zu der DGHS-Podiumsdiskussion in der Berliner Urania mit dem Titel "Letzte Hilfe! Ärzte aus dem In- und Ausland diskutieren über Suizidhilfe" gekommen. Nicht nur das Podium war international besetzt. Auch einige Zuhörer kamen von weither: Als Teilnehmer der Jahrestagung des europäischen Dachverbandes “Right-to-die-Europe” waren sie an dem Wochenende Gäste der DGHS, die das alle zwei Jahre in wechselnden Städten stattfindende Event ausgerichtet hatte.

Nach der Begrüßung durch Moderator und DGHS-Vizepräsident Dr. Dr. h. c. Dieter Birnbacher stellten die fünf Podiumsteilnehmer ihre Kurzstatements vor: Erfahrungen und Verfahrensweisen bezüglich der Suizidhilfe in anderen Ländern war das Thema.

Dr. Carlo Bock, Onkologe, Vorsitzender der Nationalkommission zur Bewertung und Überwachung des Euthanasiegesetzes und Mitglied des Wissenschaftsrates des Ministeriums für Gesundheit und Sozialwesen in Luxemburg, erläuterte dem Publikum die drei Gesetze aus Luxemburg, das Palliativgesetz, das Sterbehilfegesetz und das Gesetz über die Recht und Pflichten des Patienten. Alles gründe sich auf das Autonomieprinzip, Toleranzprinzip und das Prinzip des Wohlwollens. "Ich selbst habe praktische Erfahrungen mit Sterbehilfe", konstatierte er. Dies sei aber keine "Lizenz zum Töten", sondern "Hilfe zur Selbsterlösung".

François Damas, Arzt und Vorsitzender der Ethikkommission des Krankenhauses La Citadelle in Liège sowie Mitglied der belgischen Bundeskommission zur Sterbehilfe aus Belgien, erläuterte, wie klar geregelt das Sterben in Belgien sei – durch das dreigliedrige juristische Regelwerk mit Patientenrechtegesetz, Palliativgesetz und Sterbehilfegesetz. "Bei uns gibt es keinen Zwang zum Weiterleben. Die wichtigste Aufgabe des Arztes ist es, den Patienten nicht leiden zu lassen", konstatierte er. Die Sterbehilfe in Belgien werde übrigens nur von zwei Prozent der Sterbenden genutzt, so Damas.

Die aus dem US-Bundesstaat Oregon angereiste Peg Sandeen, Ph. D., Geschäftsführerin des "Death with Dignity Centre", schilderte, wie das seit 1997 geltende Gesetz ("Oregon Death with Dignity Act") die Verhältnisse in Oregon positiv verändert habe. Die Möglichkeit, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen, werde von vielen unterstützt. Gegner sei vor allem die katholische Kirche. Allerdings sei das Gesetz sehr eng gefasst: Es dürfen nur Ärzte helfen. Der Patient muss sich an viele Vorgaben halten, sonst wird der Arzt bestraft.

Dr. Erika Preisig, Hausärztin, Sterbehelferin und Vereinspräsidentin von Lifecircle/Eternal Spirit aus der Schweiz, erläuterte, dass in der Schweiz aktive Sterbehilfe verboten sei. Der assistierte Freitod sei nur legal, wenn der Patient eingewilligt habe, urteilsfähig sei und das todbringende Medikament selbst einnehme. Nach 20 Jahren Palliativmedizin musste sie sich durch die Leidensgeschichte ihres Vaters, der mehrfach Suizidversuche hinter sich hatte, mit Sterbehilfe auseinandersetzen. Palliativmedizin reiche in bestimmten Situationen nicht aus, etwa wenn der Patient Sekret in der Lunge habe und wisse, dass er daran ersticken werde.

Den Contra-Part gegenüber den vier Podiumsgästen nahm Thomas Sitte, Palliativmediziner und Vorsitzender der PalliativStiftung, ein. Für ihn ist die Sedierung des Patienten das A und O: "Ich darf das Leiden lindern, wenn jemand leidet. Ich kann ihn lange schlafen lassen. Wenn er wach wird und weiterschlafen will, kann er dies, bis er tot ist." Der Patient könne – und das ist nicht überall so in der Welt – entscheiden, ob er künstlich ernährt werden wolle, "schlafen" (damit bezeichnete er immer die terminale Sedierung) wolle, beides oder auch nicht, so Sitte.

Weiter ging es mit der Frage des Moderators, ob assistierter Suizid überhaupt notwendig sei, was bis auf Thomas Sitte alle klar bejahten. François Damas gab zu bedenken, dass Palliativmedizin nicht immer ausreiche. Bei ständigem Leiden, sei es physisch und/oder psychisch, könne der Patient in Luxemburg die letzte Lebensphase abkürzen, so Dr. Bock. Die Amerikanerin Peg Sandeen erläuterte, dass es in Oregon eine sehr gute Palliativmedizin gebe, aber dennoch 95 Prozent der Patienten, die diese erhalten hätten, den ärztlich assistierten Suizid in Anspruch nehmen wollen. Frau Dr. Preisig schilderte hoffnungslose Fälle von Patienten, Tetraplegiker, Menschen mit Schmerzen rund um die Uhr oder die wissen, dass sie ersticken werden. Diese Menschen hätten in der Regel Palliativmedizin ausprobiert, aber dennoch den Wunsch, selbstbestimmt zu sterben. Der Palliativmediziner hielt dem entgegen, dass Tetraplegiker doch prima "schlafen" könnten. "Manche wollen für eine Weile ausgeknipst werden. Und dann geht es wieder weiter", so bezeichnete er die Situation. Man muss sich das so vorstellen, als ob der Patient sich einfach für ein Rund-um-Wohlfühl-Paket entscheiden müsse. Dr. Carlo Bock aus Luxemburg wies darauf hin, dass ein Tod in zehn Minuten ein anderer sei als der über viele Tage und Wochen. Daher sei er von der Notwendigkeit des ärztlich assistierten Suizids überzeugt. "Als Präsident unserer staatlichen Kontrollkommission kann ich Ihnen sagen, dass dies ein guter Tod ist. Es ist ein großer Unterschied, ob man sediert in Pampers liegt oder bei vollem Bewusstsein und in Würde stirbt."

Weiter ging es um den gern von Gegnern der Suizidhilfe verwendeten Begriff des "Slippery slope" (übersetzt: Dammbruch). Dr. Erika Preisig wies diese Sorge von sich. Ihr Argument: Sie habe eine Dame in einem Pflegeheim in den Tod begleitet. Es hätten rund 20 Heimbewohner mitbekommen, dass diese sich regelrecht auf den Tod gefreut habe. Zuvor war sie beim Friseur gewesen, hätte sich hübsch angezogen und noch ein letztes Mahl mit ihren Liebsten genommen. Keiner der Heimbewohner habe bei ihr angerufen, um denselben Tod zu wählen. Dr. Carlo Bock aus Luxemburg wies ebenfalls diese Vorwürfe zurück mit dem Verweis, dass es in den Niederlanden, Luxemburg und Belgien zwar einen Anstieg der Zahlen gegeben habe. Dies liege aber daran, dass es gesellschaftlich akzeptierter sei, Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen. Palliativmediziner Thomas Sitte hingegen äußerte die Ansicht, dass es den "Slippery Slope"-Effekt gegeben hätte, wenn er den assistierten Suizid immer angeboten hätte. Er biete jedoch lieber Alternativen dazu an. Frau Dr. Preisig gab zu bedenken, dass sich in Deutschland kaum ein Arzt wegen der drohenden Konsequenzen, wie Approbationsentzug, traue, Suizidhilfe zu leisten. Woraufhin Thomas Sitte äußerte: "Das ist Quatsch. Es gibt doch Herrn Arnold und noch fünf andere Ärzte."

Viele Ärzte würden sich – zu Unrecht – einfach nicht trauen. Das Publikum äußerte sich empört über diese Äußerung Sittes: "Herr Sitte, Sie sind zynisch!", hieß es. Es gab Stimmen aus dem Publikum, die betonten, dass der Pflegesektor gewinnorientiert arbeite. Beklagt wurde auch, dass viele Ärzte sich gegenseitig "helfen" würden, aber der gemeine Bürger nicht dieses Privileg habe.

Abschließend äußerten alle Podiumsteilnehmer bis auf Thomas Sitte die Sorge darüber, dass in Deutschland die relativ liberale rechtliche Situation bald abgeschafft werden würde. Dr. Erika Preisig nannte das daraus resultierende Dilemma beim Namen: "Es kann doch nicht sein, dass die Schweiz die Lösung des Problems ist. Wir müssen Verantwortung übernehmen." Mit "es bleibt spannend" schloss der Moderator die Runde.