In Ägypten ist eine Studentin ermordet worden, weil sie den Heiratsantrag eines Mannes abgelehnt hatte. Der Scheich und Professor an der Fakultät für Islamische Studien der Al-Azhar-Universität Mabrouk Attia empfahl daraufhin allen Frauen des Landes, eine Kopfbedeckung zu tragen, um nicht Gefahr zu laufen, umgebracht zu werden. Wenn Frauen Jeans statt eines Abaya-Umhangs trügen, dürften sich diese ihm zufolge nicht wundern, wenn sie von Männern bedrängt würden. Diese Aussagen lösten heftige Kritik aus, da sie Frauen, die massives Leid durchleben, verhöhnen und Femizide verharmlosen. Zudem wurde Attia mehrfach von Menschen angezeigt, die seine Worte als Aufruf zur Gewalt an Frauen auffassen.
Der Hijab ist eine innerhalb der muslimischen Community weit verbreitete Form der Kopfbedeckung, die ausschließlich für Frauen vorgesehen ist. Anders als bei Burka oder Niqab wird dabei nicht das Gesicht abgedeckt, sondern lediglich die Haare, die Ohren sowie der Hals- und der Brustbereich, je nachdem wie leger der Umgang damit interpretiert wird ganz oder teilweise. Ob Frauen gemäß den islamischen Statuten überhaupt dazu verpflichtet sind, ihren Kopf zu bedecken, ist Gegenstand intensiver Kontroversen innerhalb der Umma. Einige Länder, in denen der Islam die vorherrschende Religion ist, gehen allerdings sogar so weit, dass sie Frauen und auch Mädchen sanktionieren, wenn diese sich nicht entsprechend den Vorstellungen der Geistlichen verhalten. Ein Schulverweis, eine Inhaftierung oder Peitschenhiebe sind einige der Bestrafungen, die laut religiöser (in der Regel männlicher) Führer:innen betreffender Staaten gerechtfertigt sind.
Ägypten ist eines der Länder, in welchem der Islam für die meisten Bürger:innen eine zentrale Rolle spielt. Ehrenmorde und Femizide im Allgemeinen kommen dort sehr häufig vor. Nicht selten sogar unter Billigung von Teilen der religiösen Obrigkeit. Üblicherweise werden solche Vorfälle nicht von einer breiten Öffentlichkeit in Ägypten diskutiert. Doch der Mord an der Studentin Naira Aschraf und die anschließende Überwältigung des Täters wurde von einer Überwachungskamera und auf mehreren Handyvideos festgehalten sowie in den Sozialen Medien verbreitet. Zu sehen ist dabei, wie mit einem Messer auf offener Straße auf die Studentin eingestochen und ihr am Ende die Kehle durchgeschnitten wird. Ob der Brutalität und der Hemmungslosigkeit, eine solch abscheuliche Tat in der Öffentlichkeit zu vollführen, und aufgrund der Tatsache, dass sie auf Video zu sehen ist, schaffte es dieser Frauenmord ausnahmsweise, von vielen Menschen debattiert zu werden. Die Forderung nach umfangreicherem und besserem Schutz von Frauen steht nun im Raum.
Doch es gibt auch andere Stimmen. Der in Ägypten vor allem durch seine frühere Tätigkeit als TV-Moderator bekannte Professor Mabrouk Attia beging in einer Livesendung regelrechte Täter:innen-Opfer-Umkehr, indem er Frauen riet, sich am besten vollständig zu bedecken, wenn diese nicht getötet werden wollten. Außerdem könnten Männer nichts dafür, wenn sie durch eine freizügige Kleidungswahl von Frauen ihren Versuchungen nicht widerstehen könnten. Für diese Aussagen erntete er von progressiveren Teilen der ägyptischen Gesellschaft allerdings scharfe Kritik. Der staatliche Frauenrat erklärte sogar, dass sich Attia seiner Ansicht nach strafbar gemacht habe, da er mit seinen Worten zur Gewalt und zum Mord an Frauen aufgerufen habe. Die Al-Azhar-Universität hat sich mittlerweile von seiner Aussage distanziert.
Auch institutionelles Versagen wird von Frauenrechtler:innen angeprangert, etwa als zu lasch empfundene Gesetzesverschärfungen in den Jahren zuvor oder die häufige Untätigkeit der Polizeibehörden, wenn Frauen Anzeige erstatten. Seit 2021 ist sogar ein eindeutiger Trend erkennbar, wonach die Gewalt gegen Frauen weiter zunimmt. Und was zu Hause passiert, wird, so der Vorwurf, von Polizei und Politik überhaupt nicht betrachtet. Die Frauenrechtlerin Habiba Adelaal hebt jedoch positiv hervor, dass die Tat auch viele Tage danach noch immer im Fokus der öffentlichen Debatte steht.
Wie wichtig gesellschaftliche Empörung sein kann, zeigt dieser Fall sehr eindrücklich: Durch die vehemente Kritik zog sich Attia mittlerweile aus der Öffentlichkeit zurück und hat sich von der Universität beurlauben lassen. Dadurch wirkt zumindest ein reichweitenstarker Hassprediger weniger auf die Gesellschaft ein. Dass nun allerdings zeitnah auch politische und rechtliche Änderungen folgen werden, bezweifelt unter anderem die Frauenaktivistin Lobna Darwish, die seit Jahren eine Reihe von strukturellen Missständen in Ägypten kritisiert, die ihrer Ansicht nach ebenfalls mehr Aufmerksamkeit verdient hätten.
9 Kommentare
Kommentare
Roland Fakler am Permanenter Link
Das ist das Ergebnis, wenn ein Professor mit den Hoden denkt statt mit dem Hirn.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Was für ein Land, was für eine Religion, was für Politiker, es ist entsetzlich wie tief im
finstersten Mittelalter ein Staat wie Ägypten steckt und das im Zeitalter der Aufklärung
SG aus E am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Baierlein, warum regen Sie und die anderen sich so auf?
Dass die Umstehenden den Täter zu spät ergriffen? – (Ich find’s trotzdem mutig.)
Dass dieser Hyper-Macho von Professor aufgrund des öffentlichen Drucks Urlaub nehmen "musste"? – (Typischer Fall von 'Cancel Culture', oder was?)
Dass die Al-Azhar-Universität in ihrer Bewertung vergessen hat zu erwähnen, dass Mord im Islam grundsätzlich nicht erlaubt ist? – (Oder haben Sie da andere Informationen?)
Dass der Täter zum Tode verurteilt wurde? – (Auch wenn ich gegen die Todesstrafe bin: Mord ist ganz gewiss keine "nichtige Kleinigkeit"!)
Der Artikel zeigt doch das Gegenteil von dem, was Sie und die anderen behaupten: Die ägyptische Öffentlichkeit reagiert empört über die Auslassungen jenes Professors. Und den Mord missbilligt sie sowieso. Man sollte halt mehr als nur die Überschrift lesen.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Es geht eigentlich darum, wie die Stellung der Frauen in diesem Land wahrgenommen wird. Das eine derartige " Hinrichtung " in der Öffentlichkeit auf Widerstand stößt ist doch
SG aus E am Permanenter Link
Im vorliegenden Fall tötete ein Mann, ein Stalker, dessen Heiratsantrag zuvor von der Begehrten abgewiesen wurde, die Frau, die ihn nicht haben wollte.
Wer, wie Sie es tun, vom fehlgedeuteten (1) Einzelfall aufs Allgemeine schließt, muss – angesichts des in Deutschland verengten Meinungskorridors – stets vorsichtig sein, dass er sich nicht dem Vorwurf des Orientalismus (2) aussetzt.
Femizide geschahen und geschehen weltweit (3). Ob sie in islamischen Ländern verbreiteter sind als anderswo und ob ihre Zahl im neuzeitlichen Westeuropa abgenommen hat, kann man gerne genauer untersuchen – z.B. ausgehend von: (4). Für sachdienliche Hinweise bin ich stets dankbar.
Jedenfalls sehe ich die Reaktionen der ägyptischen Zivilgesellschaft auf die Äußerungen des Professors Attia eher positiv: Ägypten ist eben nicht „mittelalterlich“ – im Gegenteil, da ist einiges in Bewegung (5).
—
(1) Es war kein Ehrenmord.
(2) (nach Edward Said): https://de.wikipedia.org/wiki/Orientalismus
(3) https://de.wikipedia.org/wiki/Femizid
(4) https://www.unodc.org/documents/data-and-analysis/gsh/Booklet_5.pdf (S. 20 unten)
(5) Abgesehen davon, tun Sie dem Mittelalter Unrecht; so finster, wie Sie meinen, war es nie – schon gar nicht in Ägypten und den anderen islamischen Ländern.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Wollen Sie abstreiten, dass in Islamischen Ländern Frauen unterdrückt werden?
und dass derenGesetzgebung die Scharia ein Menschenunwürdiges Machwerk ist und mit Demokratie nicht das geringste zu tun hat.
Islamische Konfession dort die Menschen, Freiheit gibt es nur ohne Konfessionen.
Dazu meine übliche Buchempfehlung, <Abschied vom ABSOLUTEN> von Thomas Ebersberg.
A.S. am Permanenter Link
Religiöser Terror hat viele Formen: Abtreibungs-Verbot, Selbsttötungsverbot, Assistenz-Verbot bei Selbsttötung, strafrechtlich oder per religiös motivierter Selbstjustiz sanktionierte Kleidungsvorschriften, Essensvors
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Wie kann dieser Wahnsinn beendet werden?
Erst wenn die überwiegende Bevölkerung der Erde erkannt hat, dass wir alle NUR diese eine Erde haben und alles zu deren Erhalt nötige tun müssen, wird eventuell jegliche Konfession obsolet, da keine von all diesen uns weiter bringt, sondern nur hemmt.
Dies kann nicht von oben diktiert werden, sondern muss sich in den Köpfen der Menschen realisieren.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Was hat ein Mord mit "Ehre" zu tun, Mord ist das Niederträchtigste und Ehrloseste das
es gibt und nur Menschen mit einer äusserst Niedrigen Intelligenz und Hemmschwelle