Warum die Angriffe auf die LGTBI-Bewegung wissenschaftlich absurd sind

Der religiöse (Anti-) Gender-Wahn

Auch nach Prof. Volker Sommer, Professor für Evolutionäre Anthropologie am University College London, gibt es "gute Gründe zu der Annahme, dass auch das unter Menschen weit verbreitet homosexuelle Verhalten mit indirekten Vorteilen für die Fortpflanzung verbunden ist. Die lange Generationsdauer und die Komplexität des Verhaltens und der Kulturen bei Homo sapiens machen es jedoch extrem schwer, diese hypothetischen Mechanismen nachzuweisen. Das ist allerdings kein prinzipielles Argument gegen ihre Existenz. Wer aber nicht danach fragt, wird eine eventuell vorhandene Antwort auch nicht erhalten. Homosexualität beim Menschen ist jedenfalls nicht «widernatürlich»".   

Klerikale Leimrute: Gendertheorie angreifen, politische Ziele der LGBTI Bewegung treffen

In den vergangenen Jahren haben prominente Vertreter der "Gender Studies" geschlechtstypische Verhaltensmuster und Präferenzen ausschließlich auf gesellschaftliche Faktoren zurückgeführt. Ein kausaler Zusammenhang zwischen dem biologischen Geschlecht, z.B. von genetischen und hormonellen Faktoren auf geschlechtstypische Verhaltensweisen, wird von "kulturalistischen" Formen der Gendertheorie negiert. 

Zweifellos sind solche Behauptungen falsch. Wissenschaftlich fundierte Kritik hieran ist nicht nur berechtigt, sondern auch im ureigenen Interesse der LGBTI – Bewegung: Es ist eine durchschaubare und leider auch oftmals erfolgreiche Strategie klerikal-konservativer Strömungen, unhaltbare Thesen von kulturalistischen Gendertheoretikern als unwissenschaftlich anzugreifen, um damit aber letztlich politische Forderungen der LGBTI-Bewegung zu diskreditieren, die mit diesen Formen der Gendertheorie herzlich wenig zu tun haben. So enthält z.B. der Homepageauftritt der "Demo für Alle" mehrere Videos, in welchen die besagte kulturalistische Form der Gendertheorie kritisiert wird. Doch um das Anstoßen einer wissenschaftlichen Debatte über die Determinanten geschlechtstypischen Verhaltens geht es dieser Aktion nun wahrlich nicht: es geht darum, die Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare ebenso zu verhindern wie die frühzeitige Information von Kindern darüber, dass es faktisch ein breites Spektrum von heterosexuellen und eben auch "queeren" Lebensentwürfen gibt. 

LGBTI und Gendertheorie 

Es soll hier nicht in Abrede gestellt werden, dass viele Gendertheoretiker sich für die politischen Ziele der LGBT-Bewegung vehement eingesetzt und verdient gemacht haben. Dennoch wäre es falsch, die LGBTI-Bewegung und ihre politischen Forderungen mit Gendertheoretikern – insbesondere den Anhängern der kulturalistischen/antibiologischen Ausprägung – zu verwechseln: Jahrzehntelang waren z.B. viele AnhängerInnen feministischer "Geschlecht als soziales Konstrukt"-Theorien Transsexuellen gegenüber feindlich eingestellt, da diese sich vermeintlicherweise den patriarchalen Rollenbildern unterwarfen, anstatt dagegen aufzubegehren. Transsexuelle wiederum waren wenig erbaut über diesen Vorwurf und wehrten sich gegen diese Uminterpretation der eigenen Anliegen. Die Vorstellung kulturalistischer Gendertheoretiker, geschlechtliche Identität könne man einem Kind beliebig zuweisen, hat wohl kaum einer Gruppe so geschadet wie den Intersexuellen. Viele intersexuelle Kinder wurden basierend auf dieser Fehlannahme und oft mit verheerenden Folgen[] chirurgisch an das operativ leichter herzustellende Geschlecht angeglichen, ohne abzuwarten, welchem Geschlecht diese Kinder sich einmal selbst zugehörig fühlen würden. 

Während Intersexuelle ein Ende von geschlechtsangleichenden Operationen fordern, die im Kindesalter vor der Zustimmungsfähigkeit der Betroffenen vorgenommen werden, fordern Transsexuelle den Abbau rechtlicher Hürden für die Durchführung gewünschter geschlechtsangleichender Operationen. Homosexuelle fordern gleiche Rechte in allen Lebenslagen, die denen von heterosexuellen Menschen entsprechen. Wenn die heterogene LGBTI-Bewegung überhaupt etwas eint, dann sicher nicht der Glaube an eine spezifische, erwiesenermaßen falsche Form der Gendertheorie, die gerade im LGBTI-Bereich genug Schaden angerichtet hat. 

Wenn die LGBTI Bewegung etwas eint, dann die Forderung, über den eigenen Körper, die eigene Sexualität und das eigne Leben selbstbestimmt verfügen zu können. Dieses Ziel ist nicht an die Richtigkeit irgendeiner Gendertheorie gebunden und wird in keiner Weise bedroht von einer aufgeklärten Sicht auf die Natur des Menschen.   

LGBTI und Biologie 

Im Hinblick auf die Unvereinbarkeit mit dem, was die Biologie zu Geschlechterfragen zu sagen hat, stehen sich kulturalistische Formen der Gendertheorie und christlich-religiöse Vorstellungen vom "Schöpfungsplan" Gottes für den Menschen bzw. Mann und Frau in nichts nach. Würden Schüler im Biologieunterricht angemessen über die evolutionsbiologischen Grundlagen der Zweigeschlechtlichkeit, über die Vielfalt der in der Natur beobachtbaren direkten und indirekter Reproduktionsstrategien im Allgemeinen und den Bedeutungsgehalt des beobachtbaren Geschlechtsdimorphismus beim Menschen im Speziellen informiert, würde von der Vorstellung, allein die lebenslange und rein monogame Ehe zwischen Mann und Frau, wie sie die Kirchen im Blick haben, entspräche der "natürlichen Schöpfungsordnung" des Menschen, genau so wenig übrig bleiben wie von der besagten Form der Gendertheorie. 

Selbstverständlich lässt sich aus biologischen Tatsachen keine Norm ableiten. Aus der Häufigkeit eines in der Natur beobachtbaren Verhaltens folgt in ethischer Hinsicht gar nichts. Der Versuch aber, ausgerechnet mittels der Biologie die christliche Sexuallehre gegen einen politischen Gegner verteidigen zu wollen, ist dann doch in einem Maße absurd, dass hier eine zugespitzte Darstellung einiger biologischer Aspekte genügen soll. 

Wir brauchen in der Tat ein "uneingeschränktes Ja zum Wissenschaftsprinzip in Schule, Unterricht und Lehrerbildung". Die Lehrpläne müssen endlich auch Erkenntnisse der Evolutionsbiologie bezüglich wesentlicher Aspekte menschlichen Sozialverhaltens einschließlich derer bezüglich Geschlechterfragen beinhalten. Bereits an den Grundschulen sollte eine kindgemäße Einführung in die Mechanismen der Evolution erfolgen. 

Den dadurch womöglich bedingten Tod kulturalistischer Formen der Gendertheorie wird ein nicht unerheblicher Teil der LGBTI-Bewegung begrüßen. Christliche Vorstellungen von der natürlichen Schöpfungsordnung bezüglich Mann, Frau und einer auf Fortpflanzung reduzierten Sexualität werden die Konfrontation mit so viel Realität allerdings genauso wenig überleben.