Notizen aus Polen (9)

POLEN. (hpd) Bemerkenswertes in Polen aus säkularer Sicht (Juni 2013). Die Legitimierung der polnischen Verfassung durch Gott, Forderungen der LGBT nach mehr Rechten, Angst vor einem Konzert von Sinead O'Connor, Streit an der Katholischen Universität Lublin um Gender sowie die Meinung von Deutschen über Polen.


Polnische Verfassung legitimiert durch Gott?

Die konservative Rechte in Polen unter Regie des Chefs der größten Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) Jaroslaw Kaczynski driftet immer weiter in die klerikale Ecke. Mitte Juni forderte Kaczynski unter dem Motto „Stopp der Verweltlichung“ eine starke Anlehnung der polnischen Verfassung an das Christentum – so soll die Verfassung mit den Worten „Im Namen des allmächtigen Gottes“ beginnen. Dies forderte laut Kaczynski auch der in Polen allseits verehrte Papst Johannes Paul II.; verschiedene um Einfluss kämpfende Eliten hätten einen starken Verweis auf das Christentum jedoch nicht zugelassen. Zudem sei die Situation für die Kirche in Polen die schwierigste seit dem Fall des Kommunismus 1989. Die „Befürworter des postkommunistischen Systems“ sei von äußeren (ausländischen) Kräften unterstützt.

Die Forderungen stellte Kaczynski im Rahmen eines katholischen Kongresses auf dem Klarenberg (Jasna Góra) in Tschenstochau. Klarenberg ist einer der bekanntesten katholischen Wallfahrtsorte in Polen – in der Klosterkirche befindet sich das bekannte Bild der Schwarzen Madonna. Veranstaltet wurde der Kongress von einer Gruppe PiS-Abgeordneter, die sich gegen die Verweltlichung der Gesellschaft einsetzen. An der Veranstaltung nahmen ca. 600 Menschen teil, drunter führende klerikale Politiker sowie Vertreter aus Kultur und Gesellschaft. (Quelle 1), (Quelle 2), (Quelle 3), (Quelle 4) und (Quelle 5). (Alle Polnisch)

LGBT fordern mehr Rechte

Mitte Juni demonstrierten LGBT auf dem Christopher Street Day (in Polen Gleichheitsparade genannt) für mehr Rechte und gegen Diskriminierung. Nach Angaben der Veranstalter nahmen ca. achttausend Personen teil – das diesjährige Motto war "Verschiedene Gleichberechtigte". Die seit 2001 jährlich stattfindende Veranstaltung verlief ohne Zwischenfälle; dafür sorgte ein hohes Polizeiaufgebot.

Eine besondere Forderung war dieses Jahr die Schaffung von rechtlich geregelten eingetragenen Lebenspartnerschaften für hetero- und homosexuelle Menschen. Dadurch soll unter anderem das tägliche Zusammenleben sowie das Vererben erleichtert werden. Doch auch Forderungen für mehr Partizipation von generell ausgeschlossenen Personen äußerten Teilnehmer der Demonstration. So soll unter anderem Barrierefreiheit im öffentlichen Raum bestehen, damit behinderte Menschen sich ohne Hindernisse fortbewegen können. Eine kleine Gruppe von ca. 50 Personen versammelte sich vor der russischen Botschaft, um gegen Homophobie zu demonstrieren.

Begleitet wurde der Christopher Street Day von führenden Politikern aus dem linken Parteienspektrum. Darunter waren Janusz Palikot, der Begründer der linksliberalen Palikot-Bewegung, sowie Ryszard Kalisz, einer der bekanntesten Politiker Polens und ehemaliges Mitglied des Bundes der Demokratischen Linken (SLD). Eine Gegendemonstration mit unter hundert Teilnehmern versammelte sich in der Nähe der Route des CSD.

Doch die Parade hatte für einige Teilnehmer ein Nachspiel. Der Parlamentarier der Palikot-Bewegung Robert Biedron wurde nach der Demonstration von vermutlich zwei Männern zusammengeschlagen. Auch zwei andere Teilnehmer wurden durch tätliche Angriffe verletzt, zeigten die Täter jedoch nicht an. (Quelle 1), (Quelle 2), (Quelle 3), (Quelle 4), (Quelle 5) und (Quelle 6).  (Alle Polnisch)

Papstbeleidigung unverzeihlich?

Polen sind größtenteils freundliche Menschen mit viel Humor und Lebensfreude. Ein Thema gibt es jedoch, bei dem sie überhaupt keinen Spaß verstehen: Johannes Paul II. wird beim deutschen Nachbarn verehrt wie ein Heiliger. Eine Beleidigung des „polnischen Papstes“ stößt daher auf allgemeine Ablehnung. Das bekam die weltweit bekannte Sängerin Sinead O'Connor Mitte Juni zu spüren. Der klerikale Aktivist Ryszard Nowak versuchte das am 22. Juni in Breslau stattfindende Konzert von O’Conner zu verhindern.

Da die Sängerin in den 1990er Jahren in einer amerikanischen Fernsehsendung das Bild des Papstes zerrissen hatte und dabei Papstfeindliche Parolen von sich gab, war Nowaks Sorge groß, dass die Sängerin erneut den verstorbenen Papst beleidigen könnte.

Erfolg hatte der religiöse Vorkämpfer nicht. Das Konzert fand wie geplant statt – Zwischenfälle wurden nicht gemeldet. Eine Demonstration wurde kurzzeitig abgesagt, die Gegner der Sängerin haben nach eigenen Aussagen Angst um ihre Sicherheit gehabt. Die Sängerin kam aber nicht drum herum, einen kleinen Skandal auszulösen – auf der Szene erschien sie verkleidet als katholischer Geistlicher. (Quelle 1), (Quelle 2), (Quelle 3), (Quelle 4) und (Quelle 5). (Alle Polnisch)

Uni streitet um Gender

In der Katholischen Universität Lublin (KUL) brach Mitte Juni ein Streit um einen neuen Studiengang aus. Unter dem Titel „Texte der Kultur und Animation des Netzes“ sollen Studenten auf den Einsatz in den neuen Medien vorbereitet werden, wobei ein sozialwissenschaftlicher Hintergrund die Wirkungsrichtung vorgibt. Damit ist das Betätigungsfeld der Absolventen breit gefächert – darunter fallen Werbeagenturen, kulturelle Einrichtungen, Internetunternehmen sowie generell Medien.

Die Aufmerksamkeit klerikaler Gruppierungen erregte eine Veranstaltung im dritten Studienjahr mit dem Namen „Gender: Feminismus, queer studies, mens’s studies“. Die größte Kritik fällt auf die Auseinandersetzung mit Gender, eine von vielen Katholiken abgelehnte Denkrichtung. Zurückgewiesen wird die Konstruktion des Geschlechts aus der Gesellschaft und Kultur heraus – demnach ist diese Kategorie variabel und kann verändert werden. Das steht entgegen katholischen Denktraditionen, in denen das Geschlecht sich durch Tradition und Biologie herausgebildet hat und ein unveränderliches Familienbild mit tendenziell stereotypen Rollen fordert.

Darüber hinaus wird die Veranstaltung von einer Institution mitorganisiert, die dem linken Lager um den Verlag Krytyka Polityczna nahe steht. In den Streit hat sich sogar ein Bischof eingeschaltet, der mit der Bitte um Erläuterung des Sachverhaltes an die Universitätsleitung schrieb. KUL-Rektor Antoni Debinski antwortete in einem Zeitungsinterview, eine Universität habe sich mit allen Entwicklungen der Gegenwartskultur zu beschäftigen. Diese geschehe in einem katholischen Charakter, daher werde der Studiengang auch nicht aus dem Lehrprogramm der Universität genommen. (Quelle 1), (Quelle 2), (Quelle 3), (Quelle 4), (Quelle 5), (Quelle 6) und (Quelle 7). (Alle Polnisch)

Was denken Polen über Deutsche?

Einwohner benachbarter Staaten haben oft eine ausgeprägte Meinung über den Nachbarn, die jedoch meistens auf Stereotypen aufbaut sind, die nicht aus dem eigenen Erfahrungsschatz heraus entstanden. Doch die Neugier gegenüber dem Anderen ist oftmals sehr groß. Die Polen interessieren sich insbesondere für Deutschland, den wirtschaftlich stärksten Nachbarn, mit dem die intensivsten wirtschaftliche Verflechtung besteht und mit sie dem eine bewegte Vergangenheit verbindet.

Daher hat Ende Juni auch eine Umfrage in Deutschland für ein breites mediales Echo in Polen gesorgt. Die Umfrage wurde von TNS EMNID durchgeführt und in einem Bericht der Bertelsmann-Stiftung (Titel: Im Osten was Neues? Das Bild Polens und Russlands in Deutschland 2013) veröffentlicht. Sie kommt zu einem eher überraschenden Ergebnis. Das Bild der Polen in Deutschland ist relativ positiv – so bewerten ca. 70 Prozent der Deutschen die Beziehung der beiden Länder zueinander positiv; 2008 waren das nur 46 Prozent. Im Vergleich dazu werden die Beziehungen zu Russland nur von 47 Prozent der Befragten positiv eingeschätzt. Ferner denkt nur ein sehr kleiner Prozentsatz der Befragten über Polen als Diebe oder Autodiebe.

Darüber hinaus zeigen die befragen Deutschen eine hohe Akzeptanz gegenüber Polen im gesellschaftlichen Zusammenleben. Fast 80 Prozent würden einen Polen als Arbeitskollegen oder als Nachbarn akzeptieren, ca. 60 Prozent als Einwohner des eigenen Landes oder als Freund und über 50 Prozent als Vorgesetzten. Bei der Bewertung der persönlichen Eigenschaften schätzten 75 Prozent der Befragten polnische Bürger als religiös, fast 60 Prozent als freundlich und fast 50 Prozent als unternehmerisch ein.

Die Länderstudie wird von Bertelsmann seit dem Beginn der 2000er Jahre in regelmäßigen Abständen durchgeführt – in der aktuellen Studie wurden zum vierten Mal tausend Deutsche befragt, die nicht jünger als 14 Jahre alt sind. (Quelle 1), (Quelle 2), (Quelle 3) (bis hierher Polnisch) und (Quelle 4). (Deutsch)

Lukas Plewnia

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