UNO

Kirche setzt Kinder “hohem Risiko” aus

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Vatikan St. Peter, Foto: Allie Caulfield (CC BY 2.0)

WIEN. (hpd) Das Kinderrechtskomitee der UNO erhebt schwere Vorwürfe gegen die katholische Kirche. Bis heute habe der Heilige Stuhl das Ausmaß an Kindesmissbrauch und struktureller Gewalt an Kindern nicht anerkannt und setze Kinder bis heute einem “hohen Risiko” aus.

 

Dutzende Pfarrer, die sich an Kindern vergangen haben, sind nach wie vor im Dienst, kritisiert das Kinderrechtskomitee der UNO. Und sie haben nach wie vor Kontakt zu Kindern. Die Kirche setze so “Kinder in vielen Ländern einem hohen Risiko von sexuellem Missbrauch aus”.

Es sind deutliche Worte, die das Kinderrechtskomitee der UNO in seinem Bericht an den Heiligen Stuhl richtet. Deutlich vor allem, wenn man die diplomatisch-juristische Sprache bedenkt, in der das 16-seitige Dokument geschrieben ist. Dieses Risiko, so das Komitee, sei Ergebnis der jahrzehntelangen Praxis, bekannte Kinderschänder von Pfarre zu Pfarre zu versetzen.

Während die Experten lobend erwähnen, dass der Vatikan Ende 2013 eine Kommission angekündigt hat, die die Fälle untersuchen soll, kommen sie zum Schluss, dass sich die katholische Kirche dem Problem bis heute nicht gestellt hat. „Das Komitee ist sehr besorgt, dass der Heilige Stuhl das Ausmaß der Verbrechen nicht anerkannt hat und nicht die notwendigen Maßnahmen gesetzt hat, um die Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch anzusprechen und Kinder zu schützen.“

Vatikan weigerte sich, alle Akten zu übergeben

Ein Problem, das bis heute zu bestehen scheint. Die UNO-Experten kritisieren, dass sich die Glaubenskongregation geweigert hat, ihr alle Akten der Kongregation über Kindesmissbrauch zu übergeben.

Die Maßnahmen der Vergangenheit hätten dazu geführt, dass der Missbrauch fortgesetzt wurde und die Täter straflos blieben. Dazu zählt laut Komitee die strenge Auslegung des Beichtgeheimnisses. Wenn Geistliche mutmaßliche Kinderschänder angezeigt hätten, seien sie häufig exkommuniziert worden.

Kirche zu Entschädigungszahlungen aufgefordert

Auch an der Aufarbeitung im Nachhinein hapert es, wie der Fall der Kinder in den so genannten Magdalenenheimen in Irland zeigt. Der Bericht fordert den Heiligen Stuhl nicht nur zu einer genauen Untersuchung auf.
Gefordert wird auch, dass “vollständige Entschädigung an die Opfer und ihre Familien gezahlt wird. Entweder durch die Orden (die die Mädchenheime betrieben, Anm.) oder durch den Heiligen Stuhl, der oberste Instanz der Kirche ist und rechtlich verantwortlich für seine Untergebenen in katholischen Orden, die unter seiner Autorität stehen.”

Erstmals völkerrechtliche Verantwortung für Heiligen Stuhl

Die harte Kritik richtet sich direkt an den Papst. Er ist als so genannter Heiliger Stuhl ein eigenständiges völkerrechtliches Subjekt. Und dieses völkerrechtliche Subjekt hat die UN-Kinderrechtskonvention unterzeichnet und ratifiziert.

Mit dieser Unterschrift hat nach Auffassung des Expertenkomitees die Konvention nicht nur Gültigkeit im Vatikanstaat, dessen Oberhaupt der Papst ist. Sondern in allen Bereichen der katholischen Kirche, auf die der Papst direkten Zugriff hat. So etwa in den Orden, deren Mitglieder ihm persönlichen Gehorsam schwören.

Mit dieser Interpretation muss sich der Heilige Stuhl erstmals einer völkerrechtlichen Verantwortung stellen. Und mit ihm de facto die gesamte katholische Kirche – und ihre Lehre.

Heftige Rüge von Haltung zu Verhütungsmitteln und Homosexualität

So heißt es auf Seite 13 des Berichts: “Das Komitee ist ernsthaft besorgt über die negativen Folgen über die Position und die Praxis des Heiligen Stuhls, Jugendlichen den Zugang zu Verhütungsmitteln und zu sexueller Aufklärung zu verweigern.” Eine Rüge, die sich ausdrücklich nicht nur auf vatikanisches Staatsgebiet bezieht. Sondern etwa auch auf katholische Schulen.

Die UN-Experten legen dem Heiligen Stuhl als Kirchenoberhaupt unmissverständlich nahe, eine Reihe katholischer Dogmen zu ändern. Um die Kinderrechte zu schützen, die der Heilige Stuhl mitunterzeichnet hat, sollen etwa Kinder von Priestern erfahren dürfen, wer ihr Vater ist. Die katholische Kirche soll die Prügelstrafe unmissverständlich verurteilen. Mit ihrem Einfluss auf katholische Eltern könne die Kirche beitragen, die Kinder dieser Eltern vor häuslicher Gewalt zu schützen, heißt es.

Und der Heilige Stuhl möge doch seine Haltung zur Homosexualität überdenken und endlich anerkennen, dass es verschiedene Formen der Familien gebe.

Komitee fordert andere Haltung zu Abtreibung

Am schwersten zu schlucken hat man im Vatikan vermutlich an dieser Passage des Berichts: “Das Komitee ersucht den Heiligen Stuhl (dringend), seine Haltung zur Abtreibung zu überdenken, die ein offensichtliches Risiko für das Leben und die Gesundheit schwangerer Mädchen darstellt, und Canon 1398 dahingehend zu ergänzen, dass die Umstände genannt werden, unter denen Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch gestattet werden kann.”

Die Rüge bezieht sich auf ein neunjähriges Mädchen aus Brasilien, das sein Stiefvater vergewaltigt und geschwängert hatte. Der zuständige Bischof verurteilte den Arzt, der den folgenden Schwangerschaftsabbruch an dem Mädchen durchgeführt hatte, ebenso wie die Mutter der Neunjährigen, die dem Eingriff zugestimmt hatte.

Vatikan schäumt

Silvano Maria Tomasi, ständiger Beobachter des Heiligen Stuhls bei der UNO wird von Radio Vatikan mit den Worten zitiert: “Den Heiligen Stuhl aufzufordern, seine Lehren zu ändern, ist nicht verhandelbar.” Der Bericht sei “verzerrt, unfair und ideologisch voreingenommen”. Und der Bericht berücksichtige nicht die Maßnahmen die der Vatikanstaat und die nationalen Bischofskonferenzen zum Schutz von Minderjährigen gegen Missbrauch ergriffen hätten.

Opfervertreter erfreut

Erfreut zeigen sich Opfervertreter wie Sepp Rothwangl von der Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt. Gegenüber dem hpd beurteilt er es als Fortschritt, dass es einen solchen Bericht gibt: “Wie sollen je Verbrechen aufgearbeitet und abgestellt werden, wenn diese Arbeit der Verbrecherorganisation selbst überlassen wird? Genau aber das versucht die katholische Kirche mit dem Protest des Vatikans, wenn er sogar Eingriff in seine Lehre beklagt. Ist die Kirche schon soweit in diesem Sumpf verfangen, dass Kindesmisshandlung zu ihrer Lehre gehört? Was muss noch passieren, dass ‘aufrechte Christen’ erkennen, welcher Organisation sie angehören, und endlich aus ihr austreten.”