Jacques Tillys Aufruf zur Verteidigung des "liberalen Traums"

"Der IS braucht keinen Grund, um uns zu töten!"

tilly.png

Drei muslimische Prediger sehen nichts, sagen nichts, hören nichts.

tilly2.png

Bootsflüchtlinge 2015

tilly3.png

Charlie Hebdo, Satire kann man nicht töten, 2015

tilly4.png

Ricarda Hinz, Jacques Tilly, Oberbürgermeister Thomas Geisel bei der Verleihung des Jan-Wellem-Rings der Stadt Düsseldorf.

DÜSSELDORF. (hpd) Der Zeichner und Karnevalswagenbauer Jacques Tilly (Mitglied des Kuratoriums der Giordano-Bruno-Stiftung) wurde am vergangenen Donnerstag für seine kulturellen Verdienste mit dem Jan-Wellem-Ring der Stadt Düsseldorf ausgezeichnet. In seiner Dankesrede rief Tilly, der im vergangenen Jahr u.a. durch seinen "Charlie-Hebdo-Wagen" für Schlagzeilen sorgte, dazu auf, die offene Gesellschaft mit noch mehr Mut, Menschlichkeit und Humor zu verteidigen. Wir dokumentieren nachfolgend Auszüge aus dieser Rede, die, wie gbs-Sprecher Michael Schmidt-Salomon erklärte, "die Haltung der Giordano-Bruno-Stiftung zur Debatte um Islamismus und Fremdenfeindlichkeit auf den Punkt brachte und die fundamentalen Unterschiede verdeutlichte, die zwischen rationaler Aufklärung und reaktionärer Propaganda bestehen".

(…) Das seit Monaten omnipräsente Flüchtlingsthema hat zu einer extremen Polarisierung geführt. Wir müssen erleben, wie sich breite Teile der Gesellschaft vom demokratischen Konsens verabschieden. Im Umfeld von AfD und Pegida wird offen das "System” infrage gestellt, die Medien werden als "Lügenpresse" diffamiert, paranoide Weltbilder und Verschwörungstheorien vergiften das gesellschaftliche Klima, ganze Bevölkerungsteile katapultieren sich selbst in ein wahnwitziges Paralleluniversum ohne jeden Realitätsbezug. 

Sehr anschaulich bewies das vor wenigen Tagen die AfD-Politikerin Beatrix von Storch, als sie davon faselte, dass unsere Kanzlerin demnächst nach Südamerika ins Exil vertrieben werden wird, genau wie das Ehepaar Honecker. Und der große Held dieser Freunde der wahren Meinungs- und Pressefreiheit ist – ausgerechnet – der russische Autokrat Wladimir Putin. 

Dagegen wäre prinzipiell nichts einzuwenden. Eine konstruktive Streitkultur ist das Lebenselixier jedes demokratischen Willensbildungsprozesses. Schlimm ist aber, mit welchem Hass, mit welchem Mangel an Maß, Besonnenheit und Menschlichkeit dieser Kampf geführt wird. Die Lynchstimmung, die den Medien und der Politik gerade in großen Teilen des deutschen Ostens entgegenschlägt, ist alarmierend. Vor wenigen Monaten konnte man diese Leute noch als Spinner belächeln. Doch die Silvesternacht in Köln und die damit einhergehenden kläglichen Vertuschungsversuche haben jetzt mitgeholfen, aus einer Minderheitenposition ein schnell wachsendes Massenphänomen zu machen. Die AfD liegt in aktuellen Umfragen bundesweit bei unglaublichen 13 Prozent.

Was wir in Deutschland beobachten, ist aber nur Ausdruck eines internationalen Phänomens. Osteuropa putinisiert sich gerade, Polen missachtet seine eigene Verfassung, der arabische Frühling endet in Bürgerkrieg und Militärherrschaft, in den USA zerstört eine völlig durchgeknallte politische Rechte jede vernünftige Diskussion, Teile der islamischen Welt mutieren zu einem gewalttätigen Fundamentalismus und dominieren immer mehr Landstriche, wie jetzt auch in Libyen und anderen Staaten vor allem Nordafrikas. 

Wir alle spüren, dass gerade im letzten Jahr irgendetwas ins Rutschen gekommen ist. Uns beschleicht ein ziemlich mulmiges Gefühl, wenn wir uns vorzustellen versuchen, wohin das noch alles führen kann. Doch was genau ist eigentlich los? Was passiert gerade? Wie kann man diese Entwicklung begreifen, auf einen einfachen Nenner bringen? 

Auch wenn diese kleine Dankesrede jetzt Züge eines politischen Vortrags anzunehmen droht, erlauben Sie mir, hier das Erklärungsmodell vorzustellen, das der Historiker Philipp Blom jüngst ins Spiel gebracht hat. Es hat mir jedenfalls sehr geholfen, ein größeres Maß an Verständnis und Orientierung zu erlangen. Philipp Blom wurde Ende letzten Jahres vom "Düsseldorfer Aufklärungsdienst" (DA) eingeladen und hat in der Jazzschmiede einen hervorragenden Vortrag gehalten. (Da hatte unsere Lokalpresse, die natürlich auch geladen war, wieder eine hochrangige Düsseldorfer Aufklärungsdienst-Veranstaltung schlicht verschlafen.)

Blom unterscheidet ganz einfach Menschen, Gruppierungen oder ganze Gesellschaften dahingehend, dass sie entweder den autoritären Traum oder den liberalen Traum träumen. Zwischen dem autoritären und dem liberalen Gesellschaftsmodell verläuft die Konfliktlinie des weltweiten Kulturkampfes, den wir gerade erleben.

Der autoritäre Traum ist überfordert von den Zumutungen der Moderne. Er idealisiert vormoderne Gesellschaftsformen, in denen dem Einzelnen seine Rolle zugeteilt wird. Es gilt ein für alle verbindlicher, klarer Kanon traditioneller Werte. 

Ganz unterschiedliche Akteure, so Blom, träumen diesen Traum: Pegida und AfD, Putin, Orban, Kaczinsky, Anders Breivig, Hindunationalisten, der unsägliche Donald Trump, die Tea Party, radikale US-Evangelikale, der Front National, Erdogan, die klerikalfaschistischen Regime in Saudi Arabien und im Iran, und, last not least, die Massenmörder des IS. Sie alle verbindet der gemeinsame Hass auf den liberalen Traum. Für den haben sie nur Hohn und Verachtung übrig.