DÜSSELDORF. (hpd) Der Zeichner und Karnevalswagenbauer Jacques Tilly (Mitglied des Kuratoriums der Giordano-Bruno-Stiftung) wurde am vergangenen Donnerstag für seine kulturellen Verdienste mit dem Jan-Wellem-Ring der Stadt Düsseldorf ausgezeichnet. In seiner Dankesrede rief Tilly, der im vergangenen Jahr u.a. durch seinen "Charlie-Hebdo-Wagen" für Schlagzeilen sorgte, dazu auf, die offene Gesellschaft mit noch mehr Mut, Menschlichkeit und Humor zu verteidigen. Wir dokumentieren nachfolgend Auszüge aus dieser Rede, die, wie gbs-Sprecher Michael Schmidt-Salomon erklärte, "die Haltung der Giordano-Bruno-Stiftung zur Debatte um Islamismus und Fremdenfeindlichkeit auf den Punkt brachte und die fundamentalen Unterschiede verdeutlichte, die zwischen rationaler Aufklärung und reaktionärer Propaganda bestehen".
(…) Das seit Monaten omnipräsente Flüchtlingsthema hat zu einer extremen Polarisierung geführt. Wir müssen erleben, wie sich breite Teile der Gesellschaft vom demokratischen Konsens verabschieden. Im Umfeld von AfD und Pegida wird offen das "System” infrage gestellt, die Medien werden als "Lügenpresse" diffamiert, paranoide Weltbilder und Verschwörungstheorien vergiften das gesellschaftliche Klima, ganze Bevölkerungsteile katapultieren sich selbst in ein wahnwitziges Paralleluniversum ohne jeden Realitätsbezug.
Sehr anschaulich bewies das vor wenigen Tagen die AfD-Politikerin Beatrix von Storch, als sie davon faselte, dass unsere Kanzlerin demnächst nach Südamerika ins Exil vertrieben werden wird, genau wie das Ehepaar Honecker. Und der große Held dieser Freunde der wahren Meinungs- und Pressefreiheit ist – ausgerechnet – der russische Autokrat Wladimir Putin.
Dagegen wäre prinzipiell nichts einzuwenden. Eine konstruktive Streitkultur ist das Lebenselixier jedes demokratischen Willensbildungsprozesses. Schlimm ist aber, mit welchem Hass, mit welchem Mangel an Maß, Besonnenheit und Menschlichkeit dieser Kampf geführt wird. Die Lynchstimmung, die den Medien und der Politik gerade in großen Teilen des deutschen Ostens entgegenschlägt, ist alarmierend. Vor wenigen Monaten konnte man diese Leute noch als Spinner belächeln. Doch die Silvesternacht in Köln und die damit einhergehenden kläglichen Vertuschungsversuche haben jetzt mitgeholfen, aus einer Minderheitenposition ein schnell wachsendes Massenphänomen zu machen. Die AfD liegt in aktuellen Umfragen bundesweit bei unglaublichen 13 Prozent.
Was wir in Deutschland beobachten, ist aber nur Ausdruck eines internationalen Phänomens. Osteuropa putinisiert sich gerade, Polen missachtet seine eigene Verfassung, der arabische Frühling endet in Bürgerkrieg und Militärherrschaft, in den USA zerstört eine völlig durchgeknallte politische Rechte jede vernünftige Diskussion, Teile der islamischen Welt mutieren zu einem gewalttätigen Fundamentalismus und dominieren immer mehr Landstriche, wie jetzt auch in Libyen und anderen Staaten vor allem Nordafrikas.
Wir alle spüren, dass gerade im letzten Jahr irgendetwas ins Rutschen gekommen ist. Uns beschleicht ein ziemlich mulmiges Gefühl, wenn wir uns vorzustellen versuchen, wohin das noch alles führen kann. Doch was genau ist eigentlich los? Was passiert gerade? Wie kann man diese Entwicklung begreifen, auf einen einfachen Nenner bringen?
Auch wenn diese kleine Dankesrede jetzt Züge eines politischen Vortrags anzunehmen droht, erlauben Sie mir, hier das Erklärungsmodell vorzustellen, das der Historiker Philipp Blom jüngst ins Spiel gebracht hat. Es hat mir jedenfalls sehr geholfen, ein größeres Maß an Verständnis und Orientierung zu erlangen. Philipp Blom wurde Ende letzten Jahres vom "Düsseldorfer Aufklärungsdienst" (DA) eingeladen und hat in der Jazzschmiede einen hervorragenden Vortrag gehalten. (Da hatte unsere Lokalpresse, die natürlich auch geladen war, wieder eine hochrangige Düsseldorfer Aufklärungsdienst-Veranstaltung schlicht verschlafen.)
Blom unterscheidet ganz einfach Menschen, Gruppierungen oder ganze Gesellschaften dahingehend, dass sie entweder den autoritären Traum oder den liberalen Traum träumen. Zwischen dem autoritären und dem liberalen Gesellschaftsmodell verläuft die Konfliktlinie des weltweiten Kulturkampfes, den wir gerade erleben.
Der autoritäre Traum ist überfordert von den Zumutungen der Moderne. Er idealisiert vormoderne Gesellschaftsformen, in denen dem Einzelnen seine Rolle zugeteilt wird. Es gilt ein für alle verbindlicher, klarer Kanon traditioneller Werte.
Ganz unterschiedliche Akteure, so Blom, träumen diesen Traum: Pegida und AfD, Putin, Orban, Kaczinsky, Anders Breivig, Hindunationalisten, der unsägliche Donald Trump, die Tea Party, radikale US-Evangelikale, der Front National, Erdogan, die klerikalfaschistischen Regime in Saudi Arabien und im Iran, und, last not least, die Massenmörder des IS. Sie alle verbindet der gemeinsame Hass auf den liberalen Traum. Für den haben sie nur Hohn und Verachtung übrig.
7 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Das ist eine ganz hervorragende Rede, die weit über dem Niveau deutscher Politik steht. Danke, Jacques Tilly!
Freiheit tut weh - die Schmerzen ertrage ich gern!
Freiheit ist wunderbar - das genieße ich guten Gewissens...
hans wunsch am Permanenter Link
jaa ..gut .. nur noch ergänzend ...
das GEWISSEN ist keine absolute , keine
verlässliche größe ... es wird in früher
wissend, daß das dann später schwer
zu korrigieren ist ...
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Völlig richtig!
Und nicht wenige Insassen von Justizvollzugsanstalten brauchen irgendwann die beschützende Zelle, die ihre Freiheit einschränkt, ihnen aber auch Halt und Sicherheit gibt. Vielleicht fühlen die sich wie ein Drahtseilartist, der ohne Netz und doppelten Boden über den Abgrund balanciert. Dabei spürt der selbstsichere, so erzogene Mensch zwar den Wind der Freiheit um die Nase, das prickelnde Gefühl, alles zu können, doch der der Freiheit Entwöhnte oder der sie nie nutzen Dürfende wird nur angstvoll in den Abgrund starren und keinen Schritt gehen.
In Freiheit aufzuwachsen heißt, die eigenen Grenzen kennenlernen zu dürfen - und nicht die der Eltern blind zu übernehmen. Nur so kommt man weiter - wenn auch risikobehafteter...
Walter Otte am Permanenter Link
Zweimal einen herzlichen Glückwunsch an Jacques Tilly: einmal wegen der Verleihung des Preises der Stadt Düsseldorf für seine großartigen Leistungen.
J. Tilly hat, vielleicht unbeabsichtigt, eine Debatte über Humanismus angesichts Fremdenhass und Terror, mit einem fulminanten Beitrag, an dem sich alle weiteren Beiträge messen lassen müssen, eröffnet. Diese Debatte muss öffentlich geführt werden. Dabei wird sich (notwendigerweise) die Spreu vom Weizen trennen. Der hpd sollte eine solche Debatte alsbald organisieren.
Mit großer Freude habe ich auch die Erklärung von MSS zur Kenntnis genommen, dass die Rede von Jacques Tilly die Position der gbs in dieser Angelegenheit auf den Punkt gebracht habe. Das ist gut so.
Zustimmen möchte ich dem Vorschlag von Sascha Zirnstein, eine (weitere) kritische Islamkonferenz der aktuellen Thematik zu widmen. Dort sollten aber die führenden Islamreformer/innen (zumindest Deutschlands) zu Wort kommen. Nur dann wird die Debatte gesellschaftlich fruchtbar sein. Eine solche Debatte zu organisieren, wäre ein historischer Schritt auf dem Weg zu einer Reform des Islam - hin zu einem liberalen humanistischen Islam. Eine solche Entwicklung des Islam würde der gesamten Gesellschaft nützen.
hans wunsch am Permanenter Link
so sage ich es kindern ... sei einfach ein mensch , der anderen
freude macht ... dann brauchst du doch kein überwesen ..und
keine überwesenerklärer ...
Hans Trutnau am Permanenter Link
Vortrefflich, Jacques; danke!
Jann Wübbenhorst am Permanenter Link
"Freiheit aushalten!" hieß 1988 ein Bühnenprogramm des Kabarettisten Richard Rogler.
Glückwunsch an Jaques Tilly für den Preis und diese großartige Rede!