Dirk Laucke inszeniert "Die Freiheit in Abrede" am Theater Oberhausen

Darf man einen Religionsfunktionär "Arschloch" nennen?

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Dirk Laucke inszeniert "Die Freiheit in Abrede" mit (v.l.n.r.) Clemens Dönicke, Ayana Goldstein und Christian Bayer.
Die Freiheit in Abrede

Um den Stand der Meinungsfreiheit geht es Theater- und Hörspielautor Dirk Laucke in seinem neuen Stück "Die Freiheit in Abrede". Besonders interessiert ihn, wie es um die Meinungsfreiheit bestellt ist, wenn das Thema "Religion" verhandelt wird. Lauckes "radiophone Show" wurde am vergangenen Freitag am Theater Oberhausen unter der Regie des Autors uraufgeführt.

Die Bühne: Ein höchst gekonnt geschmacklos eingerichteter Studentenbuden-Partykeller. Auf den zusammengewürfelten Möbelstücken und in den billigen Regalen finden sich neben Aktenordnern, alten Pizzaschachteln und Würstchendosen Lavalampe, Kuckucksuhr und Trommeläffchen. Fast könnte man meinen, eine Zeitreise in die frühen 1980er Jahre angetreten zu haben – doch der aufgeklappte Laptop auf dem wuchtigen "Eiche Rustikal"-Schreibtisch verrät, dass man sich nach wie vor in der Gegenwart befindet. Nicht nur der Laptop. Auch Autor und Regisseur Dirk Laucke, der als Erster die Bühne betritt und das Publikum darüber aufklärt, was es an diesem Abend auf der Bühne zu erwarten hat: Eine radiophone Show zum gegenwärtigen Stand der Meinungsfreiheit.

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Autor, Regisseur und Tonmensch Dirk Laucke auf der Bühne. (© Isabel Machado Rios)

Was darunter zu verstehen ist, wird schnell klar, als Ludi (Clemens Dönicke), Jörg (Christian Bayer) und Mina (Ayana Goldstein) die Bühne betreten, nach Anweisung Texte in Mikrofone sprechen und sich als Geräuschemacher betätigen. Unterlegt werden die Texte mit Klangflächen und ergänzt werden sie um O-Töne – live eingespielt vom Laptop durch Dirk Laucke, der auf der Bühne die Rolle des Regisseurs und Tonmenschen "Toni" spielt. Ein Live-Hörspiel. Genauer: Eine Live-Hörspiel-Probe. Oder noch genauer: Ein als aus den Fugen geratende Live-Hörspiel-Probe inszeniertes Bühnen-Stück. Denn was koordiniert zu beginnen scheint, wird immer stärker durch vermeintlich spontane Bemerkungen der Schauspieler unterbrochen, die beginnen, abseits des Mikrofons ihre eigene Meinung zu den gesprochenen Texten, den eingespielten O-Tönen und überhaupt zum Verlauf des gesamten Stücks kundzutun. 

Langsam kristallisieren sich hierbei die Charaktere der Rollen heraus, durch deren Unterschiedlichkeit die Diskussion auf der Bühne befeuert wird: Gutmenschin Mina – gehüllt in einen Pulli mit Afrika-Karte – steht der Afd-nahe An-Deutschland-Denker Ludi gegenüber, der – ganz nebenbei – an einem Würstchen aus deutschen Landen knabbert. Ergänzt wird die Meinungsvielfalt auf der Bühne durch den intellektuellen Klugscheißer Jörg – mit Stoffhose, Nicki-Pulli und Hemdkragen uniformiert wie ein spießig-verklemmter Oberstufenschüler und stets bemüht, auf die Tatsachen hinzuweisen.

Thematisch beginnt Lauckes Bühnenshow mit der Lage der Meinungsfreiheit in der Türkei, wo es mit selbiger bekanntlich nicht zum Besten steht. Unzählige Kritiker Erdogans wurden dort in den vergangenen Monaten inhaftiert. Unter ihnen der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel, dem das Stück gewidmet ist. Doch ein genauerer Blick auf Dinge, die die Meinungsfreiheit einschränken, verrät, dass die Meinungsfreiheit nicht nur in der Türkei Grenzen hat. Auch in Deutschland gilt das per Grundgesetz verbriefte Recht auf Meinungsfreiheit nicht uneingeschränkt. Es findet seine Schranken "in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre".

Laucke versucht nachzuspüren, wo genau diese Schranken eigentlich verortet sind, und stellt fest, dass es besonders häufig Probleme gibt, wenn Religion im Spiel ist. Und das mitunter an unerwarteten Stellen, wie beispielsweise nach dem Attentat auf die Redaktion der französischen Satirezeitschift Charlie Hebdo. Als der PEN-Club der Zeitschrift, die trotz Morddrohungen regelmäßig auch Mohammed-Karikaturen veröffentlichte, nach dem Attentat einen Preis für Meinungsfreiheit und besonderen Mut verleihen wollte, kündigten einige Intellektuelle an, die Preisverleihung zu boykottieren. Der Grund: In Charlie Hebdos Karikaturen sahen sie eine rassistische und islamophobe Provokation. Nicht wer sich durch die Meinungsfreiheit so gestört fühlt, dass er deshalb mordet, wäre demnach moralisch zu verurteilen, sondern derjenige, der Meinungs-, Kunst-, und Pressefreiheit dahin treibt, wo sie hingehört – da, wo es wehtut. Verkehrte Welt. Oder in den Worten Lauckes: "Man kann auch schön intellektuell jemandem aufs Grab pissen".

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(v.l.n.r.) An-Deutschland-Denker Ludi (Clemens Dönicke), Klugscheißer Jörg (Christian Bayer) und Gutmenschin Mina (Ayana Goldstein). (© Isabel Machado Rios)

Doch sind Christen eigentlich genauso schnell beleidigt wie Muslime? Dieser Frage geht Laucke in Szene 4 seines Stücks nach. Sie trägt den Titel "Es ist ein Kreuz mit den Arschlöchern". Interviewt hat er hierfür Matthias Krause alias Skydaddy vom Ketzerpodcast. Krause hatte den Berliner Erzbischof Heiner Koch öffentlich als Arschloch bezeichnet, weil er in der Diskussion, ob auf dem rekonstruierten Berliner Stadtschloss ein Kreuz prangen soll oder nicht, behauptet hatte, der Staat würde sich durch das Weglassen von Kreuzen den Atheismus zu eigen machen. Den katholischen Bischof Overbeck hatte Krause sogar angezeigt, nachdem dieser in einer Rede verkündet hatte, dass es ohne Religion kein Menschsein geben könne - womit er kurzerhand allen Atheisten den Menschenstatus abgesprochen hatte. Per Klick am Laptop werden dem Publikum sowohl das Statement von Bischof Overbeck als auch Lauckes Interview mit Matthias Krause vorgespielt. Krause stellt darin seine goldene Regel vor, dass er nie ohne Begründung jemanden als Arschloch bezeichnet – und dass er es auch nur dann tut, wenn ein gewisses Maß an Arschlochhaftigkeit überschritten wurde.

Dürfen Religionskritiker die Meinungsfreiheit nutzen, um Religionen und ihre Funktionäre – mitunter auch massiv – zu kritisieren? Und was halten die Anhänger dieser Religionen davon? Eine gute Möglichkeit, das herauszufinden, stellte das spektakuläre Pop-Oratorium "Luther" dar, das im Rahmen des Reformationsjubiläums 2017 in der Berliner Mercedes Benz Arena aufgeführt und in voller Länge vom ZDF ausgestrahlt wurde. Vor der Arena wiesen Religionskritiker der Giordano-Bruno-Stiftung mit einer überlebensgroßen nackten Luther-Figur darauf hin, dass der gefeierte Reformator ein glühender Antisemit und Frauenfeind war. Laucke war bei dem Ereignis dabei und schnitt mit seinem Reportagegerät die Äußerungen der Religionskritiker ebenso mit wie jene der christlichen Oratoriums-Besucher. Das Ergebnis: Letztere fühlten sich durch den nackten Luther der Kritiker oft persönlich beleidigt.

Vom Antisemitismus Luthers führt Lauckes Bühnenshow nahtlos hinüber zu modernen antisemitischen Äußerungen. Weil es so gut zum Reformationsjubiläum passt, konkret zu jenen eines Gastes des diesjährigen Evangelischen Kirchentags. Dort diskutierte im Mai Bundesinnenminister de Maizière mit dem ägyptischen Imam Ahmad Mohammad al-Tayyeb, einem der wichtigsten sunnitischen Islamgelehrten, über "Toleranz im Angesicht des Terrors". Dass Al-Tayyeb in der islamischen Welt für antisemitische Äußerungen bekannt ist, die jenen von Luther gleichen, wurde vom Kirchentag dezent verschwiegen.

Laucke spielt entsprechende Mitschnitte von al-Tayyeb ein, doch die Diskussion über muslimischen Antisemitismus führt auf der Bühne zur Eskalation. Gutmenschin Mina wirft Autor Laucke vor, dass das Stück langsam in die AfD-Ecke rücke. Beleidigt geht der Autor daraufhin mit dem Schrei "Scheiß Hippies!" ab. Betretenes Schweigen auf der Bühne. Doch der Autor kommt zurück. Er hat sich gefangen und tritt jetzt selbst ans Mikro, um noch einmal in Ruhe zu erklären, worum es eigentlich geht. Nämlich um die Frage, wer wann warum reden darf. Doch die Stimmung ist nicht mehr zu retten. Gutmenschin Mina wirft polemisch ein, dass es doch in Wahrheit bloß darum gehe, was fette, weiße, alte Männer denken, wer wann warum reden darf. Deutschland-Freund Ludi fühlt sich angesprochen und mutmaßt, dass es bestimmt gleich noch mehr obligatorisches AfD-Bashing gebe. Überhaupt, was ist mit der Meinungsfreiheit der Rechten? Und was mit jener der Linken – man denke nur an die G20-Proteste, bei denen sich die staatliche Exekutive nicht gerade mit Ruhm bekleckerte. Wütend verlassen beide die Bühne.

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Der Streit auf der Bühne eskaliert. (© Isabel Machado Rios)

Trotz aller lustigen Momente ist es ein verstörend realistisches Stück, das hier auf der Bühne des Theaters Oberhausen zur Uraufführung kommt. Verstörend realistisch von der vergammelten Pizzaschachtel im Regal über die schematische Verteilung der (übrigens von allen Darstellern grandios verkörperten) Rollen bei zentralen Gegenwartsdiskussionen bis zum unweigerlichen Eklat mit anschließender Gesprächsverweigerung.

Auf der Bühne zurück bleiben am Ende allein der Klugscheißer und sein Autor. Nach einem verlegenen Moment der Stille stellt Klugscheißer Jörg Autor Laucke die beliebte Frage, was denn das Stück nun zu bedeuten habe. Doch der Autor wehrt ab: "Ich sag gar nichts mehr!".

Dass der Rest wirklich Schweigen ist, ist nicht zu hoffen. Denn Dirk Laucke hat offenbar einiges zum aktuellen Zustand unserer Gesellschaft zu sagen. Auf seine nächsten Theaterstücke und Hörspiele darf man bereits jetzt gespannt sein.

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Die berühmte Frage: Was will uns der Autor damit sagen? (© Isabel Machado Rios)


Die Freiheit in Abrede

Konzept und Regie: Dirk Laucke; Ausstattung: Simone Wildt; Dramaturgie: Patricia Nickel-Dönicke; Mit: Christian Bayer (Jörg), Clemens Dönicke (Ludi), Ayana Goldstein (Mina) und Dirk Laucke (Toni).

Theater Oberhausen Spielzeit 2017/2018.