Zehn Stunden mit "Luther" vor der Mercedes-Benz-Arena in Berlin

Der nackte Luther stand draußen vor der Tür

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Vor und nach der Vorstellung wurden die Besucher der Mercedes-Benz-Arena mit einem gänzlich anderen Luther-Bild konfrontiert
Der Nackte Luther vor der Mercedes-Benz-Arena

In Berlin wurde das "Luther Pop-Oratorium" aufgeführt. Vor der Tür wurden die Gäste unter anderem auch von der Kunstaktion "Der nackte Luther" empfangen. Evelin Frerk schrieb für den hpd einen Bericht über diesen Tag.

Die Figur ist jung, erst 2017 entstanden und trägt den Namen "Luther“. Die Figur führt 500 Jahre zurück zu dem Namensgeber der Luther-Dekade, die jetzt zu Ende gegangen ist. Das ist genau der Martin Luther, von dem der Philosoph Karl Jaspers sagte "Was Hitler getan, hat Luther geraten, mit Ausnahme der direkten Tötung durch Gaskammern." 1

Aufklärung ist das Anliegen der Aktionsgruppe, die sich um Initiator David Farago gründete.

Am 23. Mai 2017 zeigten sich die Aktionsgruppe erstmals in Berlin, zog mit dem "nackten Luther" über den Potsdamer Platz, in das Regierungsviertel und zum Brandenburger Tor, am 24. Mai dann zur Eröffnung des "Deutschen Evangelischen Kirchentags 2017". Am 25. Mai 2017 wurde der "Luther" gestoppt. Der Zugang zum öffentlichen Gelände der Messe Berlin, angemietet an diesem Tag vom DEKT wurde trotz behördlicher Genehmigung verweigert, die Sachaufklärung eingestellt.

Aktuell ist der "Luther" rund um den Reformationstag 2017 in Augsburg, Berlin und Wittenberg und jetzt in Zürich unterwegs. Dort begleitet er bis zum 5. 11. 2017 das Denkfest der Schweizer Freidenker-Vereinigung.

"Luther" trifft "Luther Pop-Oratorium"

Anlass, wieder nach Berlin zu kommen, war die Aufführung des "Luther Pop-Oratoriums" in der Mercedes-Benz-Arena. Veranstalter sind die "Stiftung Creative Kirche" in Kooperation mit der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) sowie weitere Partner. Avisiert war der Chor, besetzt mit 4.000 Stimmen und 11.000 Besucher, zuzüglich natürlich all jener, die zur Aufführung gehörten, die Künstler, Sänger, Symphonie-Orchester und Rockband, die Dirigenten, Regisseure, Platzanweiser, wartende Omnibus- und Taxenfahrer, Security, Beleuchter etc. auch Politiker – Hermann Gröhe, amtierender Gesundheitsminister, zählte zu den Gästen – "Pop-Ovatoriums-Pate" Dr. Eckart von Hirschhausen sowie Dieter Falk, der Komponist, waren dabei.

Berlin, Benz-Platz 10:00, der Aufbau beginnt

Um 11:00 steht der "nackte Luther" auf der Achse der Bahnstation Warschauer Strasse zur Mercedes-Benz-Arena. Behördlich genehmigt, war der Standplatz auf "öffentlichem Gelände", d. h. dem Gehweg vor der Arena. "Luther" und die Aufklärer sind mit Broschüren und Flyern bereit. Wenn schon "draußen vor der Tür, dann war dies ein idealer Standort.

Der "nackte Luther" empfing die Besucher, seine ausgebreiteten Arme öffnen den Mantel und zu lesen ist das Zitat von Karl Jaspers, 1962: "Luthers Ratschläge gegen die Juden ... ... hat Hitler genau ausgeführt". Unter ihm der Sockel mit der Inschrift: "Die nackte Wahrheit über Martin Luther". Häufig kommt ein freundlich zustimmenden Nicken. Andere bleiben stehen. Überrascht, verstohlene Blicke, Verärgerung, Lachen – das Spektrum ist breit. "Luther" wird zum Fotoobjekt und ein Besucher, mit einer Eintrittskarte in der Hand, meint, so etwas müsse verboten sein.

Eine Warteschlange bildet sich auf dem Benz-Platz vor dem Gepäck-Depot. Taschen, Rucksäcke, Gepäck größer als 29,7 x 21 Zentimetern (DIN-A-4) ist hier abzugeben und wird aufbewahrt. Der Bedarf dazu besteht. Aufgelockert meist fröhlich, stehen hier Familien, ebenso Einzelpersonen, Gruppen an. Wartend an "Luthers" Rückseite. "'Zitiert aus: Von den Juden und ihren Lügen’, Martin Luther. 1543" ist in deutlich lesbaren Buchstaben auf den Sockel geschrieben. Den auf die Abgabe ihres Gepäcks Wartenden bleibt nichts erspart. Denn der Mantel von "Luther" führt sieben Zitate der Hauptfigur des Pop-Oratoriums auf:

Sieben Maßnahmen gegen die Juden:

  1. Verbrennt Ihre Synagogen
  2. Zerstört ihre Häuser
  3. Wegnahme ihrer religiösen Bücher
  4. Lehrverbot für Rabbiner
  5. Aufhebung der Wegefreiheit
  6. Zwangsenteignung
  7. Zwangsarbeit

Eine Großveranstaltung mit 15.000 Menschen bedeutet auch, die Gäste ruhig und mit Sicherheit in der Arena zu platzieren. Dabei bedarf es besonderer Gelassenheit auf Seiten von Veranstalter und Teilnehmern. Stehen die einen noch in der Warteschlange der Gepäck-Deposite, haben andere ihre Plätze in der Arena eingenommen oder erfreuen sich der Gastronomie oder den Informations-Angeboten zu Büchern oder kirchlichen Institutionen, z. B. Christoffel-Blindenmission (CBM). Andere Veranstaltungs-Besucher nehmen noch einen Atemzug oder eine Zigarette auf der offenen Galerie der Arena und geht der Blick nach unten auf den Benz-Platz, bringt sich wieder der "nackte Luther", in Erinnerung und fordert Aufklärung ein.

"Luther" steht bis zum Beginn der Aufführung perfekt, für die einen, die sich auf draußen umschauen, für den, der kommt und geht und für die anderen, die noch zur Veranstaltung eilen. Die Luther-Figur steht mittendrin.

Die Veranstaltung mit dem "nackten Luther" vor der Tür

Der erste Akt wurde euphorisch beklatscht. In der Arena ruft das Klingelzeichen zurück zum Oratorium. Die Außengalerie leert sich, die Pausen-Gäste kehren auf ihre Plätze und zu ihrem "Luther" zurück. Für sie war es in Berlin an diesem Tag die letzte Möglichkeit, sich mit einem persönlichen Blick auf den "Luther" da draußen vor der Tür, der eingeladen hatte, in Martin Luther nicht nur den Volkshelden zu sehen, sondern auch an seinen Judenhass zu erinnern.

Bis der "Luther" und das verbliebene Aufklärungs-Material im Sprinter verstaut sind, hat ein Teil der Aktionsgruppe mehr als zehn Stunden vor den Toren der Mercedes-Benz Arena gestanden, bei Kälte und fast konstanten Regen.

Nach seinem Resümee gefragt beginnt David Farago mit dem ersten Tag dieser Tour: "Beispielsweise Augsburg, ja, das war ein guter Tag mit sehr vielen Gesprächen. Das Informations-Material war gefragt und ging gut weg. Hier in Berlin hatten wir Gespräche, konnten aufklären, so, wie wir es uns gewünscht haben."

"Überall überrascht es mich immer wieder, dass es Menschen gibt, die überhaupt nichts von Luthers sogenannter 'dunklen Seite' wissen. Bedford-Strohm weiß natürlich darum, will diese sogenannten 'dunklen Flecken' von der Öffentlichkeit fern halten und weicht zur Diskussion auf Fachkreise aus. Aufklärung von Seiten der Kirche wird zu dem gefeierten Luther nicht angeboten. Es unterschiedliche Auffassungen. Ich bin für Aufklärung."

In Gesprächen, wird ihm immer wieder entgegen gehalten, "jeder Mensch habe dunkle Seiten, so auch Luther. Manche vergleichen Luthers Judenhass mit Falschparken. Dabei hat er (Anm. Luther) in seinem Parade-Buch (Anm. "Von den Juden und ihren Lügen") seine Gedanken zur Vernichtung der Juden genau beschrieben. Die wenigsten wissen aber davon."

Was der Luther damals verlangt hat, davon wollen die Leute heute nichts wissen. Es wird so dargestellt, als wäre an ihm alles richtig, eben Luther, der Held. Gleiches Verständnis zeigte der in diesem Jahr beworbene, unter dem Titel "Katharina Luther" von der ARD ausgestrahlte Film.

"Häufig höre ich in den Gesprächen, na, ja, die Zeit war eben anders ... und, Luther war doch nicht der einzige. Dann kommen Zwingli und Melanchthon ins Gespräch. Das Zitat von Karl Jaspers wurde heute sogar von einem Pastoren angezweifelt und das, obwohl die Quelle benannt ist."

"Was mich aber richtig ärgert", fährt Farago fort, "mehr als eine viertel Milliarden Steuergelder sind in die Luther-Dekade 2017 geflossen. Die Verantwortlichen haben das Geld genommen. Einen Aufschrei der Bevölkerung gab es nicht, auch die politische Prominenz blieb verhalten. Das alles gehört zur Aufklärung, wie wir sie uns vorstellen. Das ist der Grund hier zu stehen. Nicht selten endet ein Gespräch ganz einfach mit einem Danke schön an uns für die Arbeit, die wir leisten. Das macht mir Mut."

Foto: © Evelin Frerk
Foto: © Evelin Frerk


  1. Karl Jaspers: Philosophie und Welt, München 1958, S. 162 ↩︎