Kirchenaustritt nach 46 Jahren

"Wir sehen uns in der Hölle"

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46 Jahre lang war der Journalist Christian Parth Mitglied der katholischen Kirche. Der Missbrauchsskandal brachte für ihn schließlich das Fass zum Überlaufen: Vor wenigen Tagen ist er ausgetreten. In einem Facebook-Post wendet er sich an die Glaubensinstitution und den Papst und erläutert seine Entscheidung. Fast 6.500 Personen haben in dem sozialen Netzwerk bisher darauf reagiert, 3.700 haben den Beitrag geteilt.

Liebe Katholische Kirche, lieber Heiliger Vater,
heute, nach 46 Jahren, bin ich aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten. Am Ende ging es ganz schnell. Raum zwei Gerichtskasse, 30 Euro in bar, rüber in Raum 47, Formular unterschrieben, amtlich ausgetreten. Da das Amtsgericht keine Erklärung verlangt, möchte ich dennoch gerne die Begründung nachliefern. Ihr sollt das ja auch verstehen.

Du, liebe katholische Kirche, hast mich getauft, kommuniert, firmiert, damals war das so üblich, es gehörte dazu. Damals aber kannte ich eure Geschichte noch nicht, die wurde uns in den meist zermürbenden Unterrichtsstunden der Hinleitung zu den Sakramenten nicht erzählt: Inquisition, Morde, Unterdrückung, Ablasshandel, Kreuzzüge. Auf Angst gebaute Moral. Vergangenheit, dachte ich später, als ich von all dem erfuhr. Das war dunkles Mittelalter. Das kann kein Maßstab für eine aktuelle Bewertung sein, hake ich mal ab.

Außerdem, und das war mir immer das Wichtigste, arbeiten in euren Gemeinden und Einrichtungen Menschen, die sich aufopfern, die Alte pflegen, die echte Seelsorge betreiben, die, wie Pfarrer Franz Meurer aus dem sozialen Brennpunkt in Köln-Höhenberg, die christliche Botschaft ganz pragmatisch und lebensnah an der Basis leben: Den Bedürftigen helfen, wo Hilfe gebraucht wird, ohne Vorurteile, ungeachtet der Konfession oder Religion. Da sein, wo jemand einsam ist, Lebensmittel verteilen, wo jemand hungrig ist, und zuhören, wenn jemand nicht mehr weiter weiß. Menschlich sein, wenn das Menschsein auch manchmal so schwer ist. All diese Menschen waren es mir wert, Kirchensteuer zu entrichten, Jahr für Jahr, Tausende Euro.

Dabei hast Du deinen Mitgliedern einen Verbleib in deinem Konstrukt immer verdammt schwer gemacht, gerade so, als würdest Du sie vergraulen wollen: Hetze gegen Homosexuelle, Kondomverbote, obwohl in manchen Ländern der HI-Virus fast epidemische Ausmaße angenommen hatte. Menschen, die in deinen Einrichtungen ungeachtet ihrer Eignung und Kompetenz nicht mehr arbeiten dürfen, weil sie geschieden sind und wieder geheiratet haben, Frauen, die keine Priester sein dürfen, die überhaupt in der Hierarchie kurz über der Grasnarbe rangieren, wie ein Mensch zweiter Klasse. Ein eigenes Kirchenrecht, das in mancher Hinsicht den Rechtsstaat ignoriert.

Aber kommen wir zum wichtigsten Punkt: Seit Jahrzehnten missbrauchen eure Priester Kinder und Jugendliche, weltweit. Menschen also, die man euch, den Dienern Christi, im guten Glauben anvertraut hat. Kann man eigentlich Schlimmeres tun? Lange Zeit ist es euch gelungen, das zu vertuschen. Aber jetzt ziehen die Opfer den Mantel Stück für Stück beiseite, den ihr so viele Jahre über diese Geschehnisse gelegt hattet. Doch wie ist eure Reaktion? Das Vertuschen geht weiter, der Unwille, die Vorfälle als das anzuerkennen, was sie sind: Schwere Verbrechen, für die man sich vor weltlichen Gerichten zu verantworten hat.

Wäre der Wille zur schonungslosen Aufklärung spürbar gewesen, ich wäre diesen Schritt vermutlich nicht gegangen. Doch euer viertägiger Krisengipfel im Vatikan geriet zur Farce. Ihr habt den Missbrauch an Kindern klein geredet, ihn verharmlost, ihn zu einem allgemeinen gesellschaftlichen Problem aller Kulturen verklärt, statt euch ohne jede Relativierung zur Schuld zu bekennen und die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen. Bis zu 5000 Euro Entschädigung pro Opfer sind euer Angebot der Wiedergutmachung für jahrelanges Martyrium, das nenne ich modernen Ablasshandel in eigener Sache.

Und Du, lieber Papst, der Du nach Ratzingers Rücktritt als Reformer gefeiert wurdest, als derjenige, der nach dem Vorbild des heiligen Franz von Assisi die Auswüchse der Gier geißelt und der die Kirche zurück zu Demut und Bescheidenheit führen will, was hast Du getan? Ja, wahrscheinlich hast Du es schwer inmitten dieses Intrigensumpfes im Vatikan, der ewiggestrigen Kurie und den Bischöfen und Kardinälen, für die der Beichtstuhl inzwischen vermutlich mehr Darkroom als Ort einer kathartischen, seelischen Befreiung ist. Und doch musst du dich bekennen zur Schuld, als Mensch, der sündigt, als Abbild Gottes, für den du und deine Kirche den Menschen haltet. Du bist Oberhaupt einer Kirche. Nach einem solchen Skandal ist Dein Kerngeschäft als Chef eines Unternehmens wie diesem nicht das Rausreden, um etwa den Aktienkurs vor dem Absturz und die Aktionäre vor dem Aufstand zu bewahren. Dein Kerngeschäft im globalen Kirchenbusiness ist die Moral und die duldet keine Ausflüchte, ganz gleich, wie groß der Widerstand in den eigenen Reihen ist.

Aber Du, lieber Pontifex, redest nicht allein vom Versagen der Kirche, dem Irrsinn des Zölibats, der Reformbedürftigkeit des ganzen verstaubten Apparats, nein, Du sprichst auch von Satan, der sich wie eine Krankheit bei euch eingenistet habe und der sein teuflisches Werk gleichsam im Herzen des Erzfeindes verrichtet. Mehr Mittelalter geht nicht, mehr Unwille zur Reform, zum Umdenken auch nicht. Und doch feierst Du dich für dieses bizarre Spektakel. "Für uns besteht die kopernikanische Revolution in der Erkenntnis, dass die missbrauchten Personen sich nicht um die Kirche drehen, sondern dass es die Kirche ist, die sich um sie dreht", sagte der australische Bischof Mark Coleridge nach dem Krisentreffen. Wenn das schon eine Revolution sein soll, eine kopernikanische dazu, dann müssen wir alle heilfroh sein und dem Herrgott jeden Tag dafür danken, dass Du, liebe katholische Kirche, eben nur eine Kirche bist.

Im Ersten Vatikanischen Konzil 1869/70 hast Du die Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes bei endgültigen Entscheidungen in Glaubens- und Sittenfragen zum Dogma erhoben. Im Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965), das auch der Modernisierung mancher Formulierung galt, hast Du das Dogma der Unfehlbarkeit zusätzlich auf die Bischöfe erweitert. Da wir ja unter Männern sind, sag ich mal ganz salopp: Die Eier muss man erstmal haben. Und dass ihr Eier habt, die weder der selbst auferlegte Zölibat noch eure Omertà zum Schweigen bringen können, habt ihr zum Leid anderer hinlänglich bewiesen. Das alles war zu viel für mich. Ich musste jetzt raus aus deinem Schoß. Das, liebe katholische Kirche, musst Du verstehen.

Die nette Dame aus Zimmer 47 sagte, ich solle die Bestätigung meines Austritts ein Leben lang aufbewahren, da es sein könne, dass die Stadt Köln mich im Falle eines Umzugs versehentlich wieder zum Mitglied der katholischen Kirche macht. Wer weiß, vielleicht hat sich bis dahin ja etwas geändert, vielleicht durch ein revolutionäres drittes Konzil. Allein, mir fehlt der Glaube.

Daher befreie ich mich nun aus den Fängen Satans und sage Salute. Wir sehen uns in der Hölle.