Interview

Katarina Barley: "Fritz Bauer war ein großer Aufklärer"

Vor kurzem jährte sich der 50. Todestag des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer, der sich wie kein anderer für eine juristische Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen einsetzte. Im Interview erklärt Justizministerin Katarina Barley, welche Rolle Bauer bei ihrer Arbeit spielt und wie es heute um die Aufklärung rechter Gewalt steht.   

hpd: Frau Barley, wann haben Sie sich zum ersten Mal mit Fritz Bauer auseinandergesetzt und welchen Einfluss hatte er auf Ihr Denken? 

Dr. Katarina Barley: Der Name Fritz Bauer begegnete mir während der Anfänge meines Studiums in Marburg. Mich faszinierte seine Biografie. Fritz Bauer war mit 26 Jahren jüngster Amtsrichter in der Weimarer Republik. Das war 1930, drei Jahre bevor die Nazis ihn entließen, ihn einsperrten und er später ins schwedische Exil flüchten müsste.  

Fritz Bauer war ein großer Aufklärer. Er war, so hat es der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kürzlich gesagt, eine der Schlüsselfiguren der jungen Demokratie, als Deutschland noch alles andere als eine Republik von Demokraten war. Mich beeindrucken auch die Überzeugungen Bauers, seine Beharrlichkeit. Dem Nachkriegsdeutschland, unter dessen Juristen es noch so viele Nazis gab, hielt er den Spiegel der historischen Schuld am Menschheitsverbrechen des Holocaust vor. 

Welche Rolle spielt Fritz Bauer bei ihrer täglichen Arbeit als Justizministerin? 

Wir haben einen starken Rechtsstaat. Aber wir erleben gerade, wie Angst und Hetze unsere rechtsstaatlichen Errungenschaften bedrohen. Auch bei uns in Deutschland hetzen Populisten gegen Minderheiten, schüren Ängste in der Gesellschaft, stellen Grundrechte infrage, und werben mit vermeintlich einfachen Lösungen, die nichts als hohle Phrasen sind. Wir erleben einen ungeheuren Hass in sozialen Medien, der sich auch in realer Gewalt Bahn bricht. Wir erleben neue Bedrohungen jüdischen Lebens in Deutschland. Gegen all das wäre auch Fritz Bauer aufgestanden. Humanität, Menschenwürde, Gleichheit vor dem Gesetz: Das sind Grundwerte, die von Menschen wie ihm mühsam erkämpft wurden. Natürlich prägen diese heute meine tägliche Arbeit als Bundesjustizministerin.

Fritz Bauer hatte mit seinem unbeirrbaren Aufklärungswillen einen wesentlichen Anteil daran, dass die NS-Verbrechen nicht einfach von der Nachkriegsgesellschaft verdrängt werden konnten. Wie steht es heute – angesichts der Terrorserie des NSU – um die Bereitschaft, über rechte Gewalt aufzuklären und diese zu verfolgen?  

Wir sehen, dass das Ende des NSU nicht das Ende von rechtem Terror in Deutschland war. Die vielen Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte in den vergangenen Jahren zeigen das in beschämender Weise. Wir sollten nie wieder den Fehler machen, die Gefährlichkeit rechter Gewalt zu unterschätzen oder rechtes Gedankengut zu verharmlosen. Wir haben gesehen, wohin das führen kann. Wir müssen überall dort hingehen, wo Menschen sind, die sich von Lügen, Ressentiments und Hass anstecken lassen könnten – auch dann, wenn es nicht leicht ist, ins Gespräch zu kommen. Wir dürfen nicht warten, bis sich Menschen radikalisiert haben. Und wir dürfen nicht wegsehen, wenn mit Verachtung und Verrohung unserer Sprache der Hass gesät wird, aus dem rechter Terror entsteht.

Welche Konsequenzen sollten Justiz und Sicherheitsbehörden aus dem NSU-Komplex ziehen? 

Die Verbrechen des NSU haben unseren Rechtsstaat erschüttert. Ich glaube, das Bewusstsein bei Polizei und Justiz ist heute schärfer und die Wachsamkeit größer. Der Generalbundesanwalt kann Ermittlungen schneller an sich ziehen. Rassistische und fremdenfeindliche Motive sind im Jahr 2015 endlich ausdrücklich als strafverschärfende Beweggründe in das Strafgesetzbuch aufgenommen worden. Das sind politische Konsequenzen. Doch klar ist auch, dass die Aufklärung nicht zu Ende ist. Der Generalbundesanwalt ermittelt deshalb weiter im Umfeld des NSU und verstärkt auch in anderen rechtsterroristischen Strukturen.

Bauer konfrontierte nicht nur die Deutschen mit ihrer NS-Vergangenheit, sondern setzte sich darüber hinaus für eine Humanisierung des Strafrechts ein. Sehen Sie diesbezüglich auch heute noch Handlungsbedarf? 

Fritz Bauer setzte wichtige Impulse für Humanität in der Justiz. Er hat Strafgefangenen aus sozialen Gründen Hafturlaub gewährt, schon bevor Freigang gesetzlich geregelt war. Er hat nicht nur die gesellschaftlichen Abgründe gesehen, die sich in Strafprozessen spiegeln. Er hat auch – so hat er es selbst gesagt – die existenzielle Not der Opfer und Zeugen gesehen. Mit dem Pakt für den Rechtsstaat stärken wir die Justiz durch viele neue Richterstellen, auch damit dies im Justizalltag seinen Stellenwert behält. Zugleich stärken wir den Opferschutz und die Beschuldigtenrechte.

Worüber würden Sie sich gerne mit Fritz Bauer unterhalten, wenn er heute noch leben würde?

Über unsere sozialdemokratische Antwort auf die Rückkehr des Autoritären und Nationalen in der Politik. Aber auch über all das, was wir gesellschaftlich erreicht haben und trotz dieser Widerstände weiter voranbringen werden: die europäische Einigung, die Offenheit unserer Gesellschaft. Zum Beispiel die Ehe für alle zeigt doch, welch weiten Weg wir gegangen sind. Darüber würde ich sehr gern mit ihm sprechen. Sein wacher, kritischer Blick wäre eine große Inspiration.