Kommentar

Reli ist out!

Immer mehr Menschen wenden den Kirchen in Deutschland den Rücken zu. Auch der christliche Glaube hat ein Imageproblem. Haben die Kirchen damit überhaupt noch eine Aussicht auf Hoffnung? Ein Kommentar.

Leere Bänke in den Gottesdiensten, Priestermangel und überalterte Gemeinden – die Zahl der kirchlich organisierten Christen in Deutschland nimmt stetig ab. Waren in den 1950er Jahren noch über 95 Prozent der Deutschen Mitglied in einer Kirche, sind es heute weniger als 60 Prozent. Schon jetzt gibt es mehr Konfessionsfreie als Katholiken oder Protestanten – und es wird nicht mehr lange dauern, bis sie die absolute Mehrheit in der Gesellschaft stellen.

Auch die jüngsten Zahlen weisen daurauf hin, dass die Entchristianisierung der deutschen Gesellschaft voranschreitet. Im Juli veröffentlichte die Deutsche Bischofskonferenz die Daten ihrer diesjährigen Statistik. Das Ergebnis: Mehr als 216.000 Menschen verließen 2018 die katholische Kirche, was einem Anstieg um knapp 29 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Die evangelische Kirche hat es sogar noch härter getroffen. Wie die EKD bekannt gab, entschieden sich 220.000 Protestanten für die Konfessionsfreiheit. 

Neben den Kirchenaustritten sind es vor allem der demografische Wandel und abnehmende Taufzahlen, die zum drastischen Mitgliederschwund beitragen. Insgesamt haben die Kirchen damit rund 704.000 Mitglieder im vergangenen Jahr verloren – und es gibt keine Anzeichen, dass sich an diesem Trend in nächster Zeit etwas ändern wird. Im Gegenteil: Laut einer Studie des Forschungszentrums Generationenverträge an der Universität Freiburg könnte sich die Zahl der Kirchenmitglieder bis zum Jahr 2060 auf 22,7 Millionen halbieren.

Zunehmende Entfremdung bedeutet weniger Macht

Der zunehmende Mitgliederschwund bedeutet für die Kirchen einen erheblichen Macht- und Statusverlust in der deutschen Gesellschaft. Schon jetzt sind die Auswirkungen etwa im Bildungssektor bemerkbar: Immer mehr Kinder besuchen das Schulfach Ethik statt den konfessionell gebunden Religionsunterricht. Wie die Deutsche Bischofskonferenz bestätigt, liegt diese Entwicklung vor allem an der Zunahme der konfessionslosen Schülerinnen und Schüler. Die Missionierung der Kinderköpfe wird damit zu einer wachsenden Herausforderung.

Dabei steht es insgesamt schlecht um das Image der Kirchen und der christlichen Religion. Bei einer Allensbach-Umfrage gaben bloß 15 Prozent der Deutschen an, dass Religiosität "in" sei. Ganze 58 Prozent hielten "religiös oder gläubig zu sein" für "out". So verwundert es auch kaum, dass der Anteil der praktizierenden Christen, die mindestens einmal im Monat einen Gottestdienst besuchen, auf 12 Prozent gesunken ist.

Die Kirche ist nicht mehr zu retten

Es deutet viel darauf hin, dass die Kirchen ein Auslaufmodell sind, von dem sich immer mehr Menschen in Deutschland entfremden. Ihre anachronistischen Positionen und Strukturen passen nämlich schlicht nicht mehr ins 21. Jahrhundert und haben mit der alltäglichen Lebenswirklichkeit – besonders junger Menschen – nichts mehr zu tun. Stattdessen führen die zahlreichen Missbrauchsskandale, der fehlende Aufklärungswille und die scheinheilige Arroganz der Kirchen zu berechtiger Empörung und Wut. 

Zugleich darf bezweifelt werden, dass der Exodus durch eine Öffnung verhindert werden könnte. Vor vier Jahren kommentierte der hpd: "Mit jeder Verweltlichung, jeder Modernisierung und jeder Anpassung an den 'modernen Zeitgeist' verlieren die Kirchen an Bindungskraft. Denn wozu braucht es eine Kirche, die bloß mit religiösem Dialekt predigt, ohne religiöse Inhalte zu vermitteln? Mit zunehmender theologischer Substanzlosigkeit schwindet die Bedeutung der Kirchen. Denn ihre Funktion als Inseln traditionsgebundener Geborgenheit in einem Meer unübersichtlicher Vielfalt geht damit verloren. Damit stehen die Kirchen verstärkt in Konkurrenz mit anderen Institutionen, welche nachvollziehbare Organisationsstrukturen und Inhalte vertreten." 

Die daraus resultierende Einschätzung, dass die Kirche nicht mehr zu retten ist, scheint mit jedem neuen Jahr bestätigt zu werden.