Was 5G mit dem Hirn einer Verschwörungstheoretikerin macht

Verschwörungstheoretiker beglücken den Autor regelmäßig mit Mails, in denen sie ihrer Wut auf Politiker, Wirtschaftskapitäne und Journalisten freien Lauf lassen. Ihre Hassbotschaften geben einen Einblick in die geistigen Abgründe dieser Szene.

Ich frage mich jeweils, was mit den Menschen passiert sein muss, dass sie sich überall und zu allen Zeiten umzingelt fühlen von bösen Mächten und eine Paranoia entwickelten.

Ein Beispiel aus dem Lager der 5G-Kritiker: "Der Leuthard hat sich einmal mehr verplappert und steht öffentlich dazu, dass man das tödliche 5G einführen will, was kein Mensch braucht", schrieb kürzlich eine Frau.

"Der Leuthard" ist kein Tippfehler. Radikale Verschwörungstheoretiker behaupten, die ehemalige Bundesrätin Doris Leuthard sei ein Mann. Sie machen selbst bei der Geschlechterfrage eine Verschwörung aus. Weiter heißt es im Mail: "Da fehlen einem wirklich die Worte, über diese Frechheit dieser Freimaurer/Bilderberger/Satanisten."

Wer sich für 5G ausspricht, wird flugs in den vermeintlichen internationalen Zirkel der verdeckt agierenden dunklen Mächte geschubst, der die geheime Weltregierung bilden soll.

Deshalb warnt die Verschwörungstheoretikerin: "WACHT ENDLICH AUF und unternehmt etwas gegen dieses abartige Pack. […] Denkt mal drüber nach, wer dazu noch in der Lage ist bzw. dessen Hirn noch nicht so indoktriniert und vergiftet ist, wie bei mindestens 90 % der Bevölkerung, welche zusätzlich täglich die verlogenen Massenpropaganda-Medien konsumieren."

In diesem Stil geht es munter weiter: "Warum müssen überall Masten aufgestellt werden – nur so nebenbei –, wenn unsere Erde doch eine Kugel sein soll mit Satelliten im Weltall, das nicht existiert. Wem dieser Widerspruch immer noch nicht auffällt, dem kann ich auch nicht mehr helfen."

Dann kommt es knüppeldick: "Damit es klappt mit der Agenda 2025 – 5,3 Millionen Menschen sollen eliminiert werden, passt – es braucht dazu nicht mal einen Krieg, das macht man heimlich – widerliches, elendiges Dreckspack." 5,3 Millionen Menschen betreffen allein die Schweiz. Die Tage der Mehrheit der Schweizer sind nach der Lesart dieser Frau also gezählt.

Was hier als Katastrophe skizziert wird, ist eigentlich eine Sehnsucht der Verschwörungstheoretiker: Die Massen, die den Mächtigen und den Fake-News-Medien auf den Leim kriechen, sollen verrecken.

Schließlich wird das verschwörungstheoretische Konstrukt – wen wundert’s – religiös und antisemitisch angereichert: "Wie Gottes Wort prophezeit, in der Endzeit kommt die Wahrheit ans Tageslicht. […] Sie werden alles verlieren, diese Satanisten, Zionisten, Freimaurer, Jesuiten, Bilderberger und wie sie sich auch immer nennen, Gott der Allmächtige hat nach wie vor alles im Griff."

Das Internet ermöglicht eine weltweite Verbreitung von Verschwörungsideen

Verschwörungstheorien sind kein neues Phänomen. Schon bei der Mondlandung vor 50 Jahren behaupteten Exponenten der Szene, die Bilder seien in einem Fotostudio inszeniert worden.

Damals wurden die Verschwörungstheoretiker mitleidig belächelt. Inzwischen haben sie mit dem Internet eine potente Plattform zur Verfügung, um ihre abstrusen Ideen in die ganze Welt hinauszuschicken. Und dies sehr erfolgreich. Aus den kleinen Zirkeln ist eine internationale Szene geworden.

Der Virus scheint ansteckend zu sein. Die Zahl der Leute, die sich hintergangen, ausgenutzt und unterprivilegiert fühlen und sich mitreißen lassen, wächst laufend. Diese Verschwörungstheoretiker sind nicht fähig, absurde Ideen wie "die Erde ist eine Scheibe", als Fake News zu entlarven.

Fast die Hälfte der Deutschen glaubt an Verschwörungstheorien

Die deutsche Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) hat in einer Studie aufgezeigt, dass Verschwörungstheorien in Deutschland erschreckend weit verbreitet sind. Danach glauben 45,7 Prozent an geheime Organisationen, die großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben.

Ein Drittel ist der Meinung, Politiker und andere Führungspersönlichkeiten seien nur Marionetten anderer Mächte. 24,2 Prozent sind überzeugt, Medien und Politik steckten unter einer Decke.

Männer (43,9 Prozent) glauben eher an Verschwörungstheorien als Frauen (33,9 Prozent). Personen mit niedrigerem und mittlerem Bildungsniveau sind empfänglicher für Verschwörungstheorien als solche mit einem hohen Bildungsniveau. Der Glaube an Verschwörungstheorien lässt sich mit einer sektenhaften Verblendung vergleichen.

Heute verkörpern die Verschwörungstheoretiker mit ihren rassistischen, antisemitischen, populistischen und rechtsradikalen Ideen weitgehend selbst die dunklen Mächte, die sie bekämpfen wollen.

Übernahme mit freundlicher Genehmigung von watson.ch.

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