Bund für Geistesfreiheit München

Ende der historischen Staatsleistungen an Kirchen gefordert

Allein in Bayern haben die katholische und evangelische Kirche im Jahr 2019 knapp 100 Millionen Euro ohne Zweckbindung erhalten. Darauf wies der Bund für Geistesfreiheit München (bfg München) in einer gestern veröffentlichten Pressemitteilung hin.

Die beiden großen Kirchen haben in Deutschland seit 1949 18,4 Milliarden Euro an sogenannten historischen Staatsleistungen erhalten, in Bayern sind es fast 4 Milliarden Euro. 2019 zahlte der Freistaat an die katholische und evangelische Kirche knapp 100 Millionen Euro, für ganz Deutschland beliefen sich die Zuwendungen auf insgesamt 548 Millionen. Das belegen die Recherchen der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union.

Bei den historischen Staatsleistungen geht es nicht um Zahlungen des Staates, die zum Beispiel für den Betrieb von Kindergärten, Krankenhäusern, Pflege- und Seniorenheimen an Caritas oder Diakonie geleistet werden, sondern sie stehen den Kirchen ohne Zweckbindung zur freien Verfügung. So verwendet beispielsweise die katholische Kirche in Bayern einen Großteil der Gelder für das Personal der bayerischen Erzdiözesen – einschließlich der Jahresrenten für Erzbischöfe und Bischöfe –, für die Besoldung der Seelsorgegeistlichen sowie für Pensionen. "Bezahlt wird das alles von den Steuerzahlern, auch von den konfessionsfreien, obwohl die katholische und evangelische Kirche im Jahr 2018 in Deutschland allein über die Kirchensteuer 12,6 Milliarden Euro eingenommen haben", kritisiert Michael Wladarsch, Vorsitzender des bfg München.

Die historischen Staatsleistungen gehen auf die Säkularisation zur Zeit der napoleonischen Kriege Anfang des 19. Jahrhunderts zurück. Durch den "Reichsdeputationshauptschluss" von 1803 wurden die geistlichen Territorien und Kirchengüter des "Heiligen Römischen Reichs" säkularisiert, das heißt, sie wurden der Hoheit der größeren weltlichen Landesfürsten unterstellt. Neben Preußen, Württemberg oder Baden profitierte davon vor allem auch das damalige Kurfürstentum Bayern. So hatte sich dessen Territorium bis 1815 unter anderem um geistliche Territorien wie die Fürstbistümer Passau, Eichstätt, Augsburg, Freising, Bamberg und Würzburg erweitert. Bayern hatte aber nicht nur territoriale Zugewinne, auch innerhalb des Kurfürstentums wurden fast alle Klöster aufgelöst und der Grundbesitz auf den Staat übertragen.

Der bfg München ist Mitglied im bundesweiten BAStA-Bündnis (Bündnis altrechtliche Staatsleistungen abschaffen).

Im Reichsdeputationshauptschluss wurde auch festgestellt, dass fortan die neuen Landesherren Aufgaben der Kirchen zu übernehmen bzw. zu bezahlen haben, zum Beispiel die Gehälter der Bischöfe, Vikare, Pfarrer etc., Verwaltungs- und Unterrichtskosten, aber auch die Pensionen für die ehemaligen geistlichen Landesherren, die ihrer Ämter verlustig gegangen waren. Genauer ausgeführt wurden die Leistungen dann durch Verträge bzw. Konkordate zwischen den Kirchen und den deutschen Einzelstaaten, in Bayern zum Beispiel 1817 und 1924.

Schon im Reichsdeputationshauptschluss war die Möglichkeit der Ablösung der jährlichen Zahlungen durch eine Einmalzahlung angeführt. Seit Inkrafttreten der Weimarer Verfassung (WRV) am 11. August 1919 besteht in Artikel 138 sogar ein Verfassungsauftrag zur endgültigen Beendigung sämtlicher historischer Staatsleistungen durch eine einmalige Ablösung. Dieses Ablösegebot in Artikel 138 WRV wurde im Grundgesetz vom 23. Mai 1949 mit Artikel 140 übernommen. Dort heißt es: "Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf."

Die Erfüllung dieses Verfassungsauftrags steht nunmehr seit über 100 Jahren aus. "Eine Ablösung der Staatsleistungen bzw. ein Ende der Zahlungen ist dringend geboten. Selbst wenn man die Meinung vertritt, dass es sich bei den Staatsleistungen noch immer um Entschädigungszahlungen aufgrund der Inbesitznahme geistlicher Territorien und der Einziehung von Kirchengütern handelt, nach über 200 Jahren sind diese Verpflichtungen längst und um ein Mehrfaches abgegolten. Die Politik muss hier endlich tätig werden und die Zahlungen beenden," fordert Michael Wladarsch.

Jedoch sah sich bisher keine Bundesregierung seit 1949 veranlasst, das in Artikel 140 des Grundgesetzes bzw. Artikel 138 WRV geforderte "Grundsätzegesetz" auf den Weg zu bringen, auf dessen Basis die Länder dann die Staatsleistungen endgültig ablösen können. "Man kann das nur als eklatanten Verfassungsbruch zugunsten der Kirchen bezeichnen. Zudem macht die Tatenlosigkeit der Bundesregierung es den Landesregierungen leicht, die Verantwortung dafür Berlin zuzuschieben. Doch auch die Länder könnten beispielsweise über den Bundesrat einen Gesetzentwurf für ein Bundesgesetz einbringen. Und zu guter Letzt stünde es auch den Kirchen gut zu Gesicht, auf eine weitere Auszahlung auf Kosten der Steuerzahler von sich aus zu verzichten, die aber halten weiter ungeniert die Hand auf", sagt Michael Wladarsch.

Da von der Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts hauptsächlich die katholische Kirche betroffen war, die evangelische Kirche aber deutschlandweit sogar mehr an historischen Staatsleistungen bekommt als die katholische, mussten zur Begründung der Zahlungen an die evangelischen Landeskirchen sogar die Vermögensverluste zur Zeit der Reformation (!) herhalten. "Mehr als fraglich ist, ob die Kirchen aufgrund der Säkularisation oder gar der Reformation heute überhaupt noch Anspruch auf Zahlungen haben. Haben sie doch ihre Besitztümer und Territorien bzw. Rechtstitel in feudalen Zeiten erworben – nicht selten waren sie dabei Nutznießer von 'Hexen'-Verfolgungen, Pogromen gegen Juden oder Andersgläubige. Dass der heutige Souverän, die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik, immer noch dafür zahlen soll, was vor 200 oder gar 500 Jahren 'Thron und Altar' unter sich ausgemacht haben, ist ein Skandal", stellt Michael Wladarsch fest.

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