Martin Stein als "Freier Geist" 2021 gewürdigt

Bibiliophile Allzweckwaffe mit der notwendigen Portion Eloquenz und Boshaftigkeit

Am 14. November hat der Bund für Geistesfreiheit Regensburg dem Autor, Publizisten und Unikum Martin Stein als Freien Geist 2021 gewürdigt. Erwin Schmid, der Vorsitzende vom Bund für Geistesfreiheit Regensburg überreichte Martin Stein diese Urkunde mit den Worten: "Er lässt sich in keinen Rahmen pressen!"

Martin Stein erhält den Preis insbesondere für seine Übersetzung von "The Quotable Atheist" des US-amerikanischen Journalisten Jack Hubermann, die er 2012 in seinem Kartaus-Verlag unter dem Titel "Der zitable Atheist" herausgebracht hat. Wir dokumentieren hier die Laudatio, die Stefan Aigner, Freier Geist 2020, zu diesem Anlass auf Martin Stein gehalten hat:

Ich habe lange überlegt, wie ich mit einer Laudatio auf Martin Stein beginnen soll. Im Grunde kann das nur mit einer Frage sein:

Wer ist der Arsch?

Das ist ein Zitat.

Es stammt aus dem ersten Text, den Martin Stein für mich bei regensburg-digital geschrieben hat. Das war 2015. Und diese erste Zusammenarbeit war in jedweder Hinsicht ein Gewinn. Für regensburg-digital, weil ich Martin als zumindest unregelmäßigen Autor gewinnen konnte, der unsere Leserschaft begeistert.

Und für mich persönlich, weil aus einer bis dahin engen Bekanntschaft zunehmend eine gute Freundschaft geworden ist. Und auch wenn man nicht mit ihm befreundet ist, ist Martin Stein mit seiner brillant-witzigen Rhetorik, seiner humorigen Art, seiner Bildung und der notwendigen Portion Hybris und Hedonismus ein bereichernder Gesprächspartner, jemand, mit dem man gerne etwas trinken geht und ein großzügiger Gastgeber. Außerdem ein Vorbild dafür, dass man im Leben seinen Leidenschaften folgen sollte.

Aber wer ist er überhaupt? Biografische Details sind nur wenig bekannt. Der Mann ist diskret, was sein Privatleben betrifft.

Er ist wohl irgendwann nach dem Studium in Regensburg hängen geblieben – wie so viele. Und was man zumindest hören kann: Martin Stein ist Oberbayer. Genauer gesagt kommt er aus Übersee am Chiemsee. Ich hab das lange nur aus der Radiowerbung gekannt. Für mich war das immer ein großes Trachtenmodengeschäft mit angeschlossener Ortschaft. Später bin ich mal mit dem Zug dran vorbeigefahren und hab' festgestellt, dass das im Großen und Ganzen tatsächlich stimmt.

Er selbst hat mal erzählt, dass er in einem sehr katholischen Haushalt aufgewachsen ist. Wo der Dorfpfarrer regelmäßig zu Besuch gekommen ist, aus dem 1860 München-Glas Bier getrunken und über Gott und die Welt geschimpft hat. Eine gesunde Basis für ein atheistisches Leben hat der Martin das mal genannt.

Wie es sich für ein solches Leben gehört, hat er auch ausführlich die Bibel gelesen – im Gegensatz zu seinem dortigen Umfeld übrigens. Seine Mutter hat es auch mal probiert und wieder aufgehört mit den Worten: "Da fällst ja vom Glauben ab." Martin Stein hat weitergelesen. Mit Erfolg. Er ist heute ein überzeugter und rhetorisch beschlagener Ungläubiger mit der notwendigen Portion Sarkasmus.

Ich stell mich in der Folge jetzt auch immer wieder auf die Schultern eines Riesen, weil ich ihn häufiger zitieren werde. Das schmückt diese Laudatio und es fällt nicht wirklich auf, dass vieles gar nicht von mir stammt.

Martin Stein kann sich in seinen Texten ohne weiteres sprachliche Derbheiten leisten. So wie oben. "Wer ist der Arsch." Das schreibt man ja auch nicht regelmäßig in irgendwelche Veröffentlichungen. Aber er kann sich das locker leisten. Weil diese Derbheiten immer an der passenden Stelle zu finden sind. Weil sie eingebettet sind in viel Wissen, Witz und Eloquenz. Er hat dabei keine Angst vor schwierigen oder kontroversen Themen. Und er lässt sich dann auch nicht so weiteres in irgendein Lager verorten. Das ist etwas, was besonders schwierig ist in einer Zeit, in der sich viele Menschen in ihrer eigenen Blase bewegen und die Angehörigen der einen Blase die anderen gar nicht mehr erreichen können.

Das ist zum Beispiel bei Corona so, wo er sich tatsächlich die Zeit genommen hat, die lügnerische Argumentation des Regensburger Psychologie-Professors Christof Kuhbandner auseinanderzunehmen, der im Grunde genommen die Pandemie seit April letztes Jahr immer wieder abgesagt hat. Das hat er gemacht mit Argumenten und der notwendigen Portion Boshaftigkeit. Insofern wird dieser kleine Auszug seinem episch langen, aber beileibe nicht langweiligem Text nicht ganz gerecht:

Die Äußerungen des Profs passen aber in den modernen Konsens des allgemeinen Zweifels. Pharmakonzerne sind Brutstätten des Bösen, hinter diesem und jenem steckt bestimmt dieser und jener, und man darf die Zügel des Handelns nicht den Eliten überlassen, den Spezialisten, also in diesem Fall den Medizinern. Moderne ist ja überhaupt irgendwie dubios, und welcher Zahnarzt kann denn heutzutage überhaupt noch ein Pferd beschlagen? Man braucht doch zu allem immer mindestens einen ganzheitlichen Ansatz. Insofern kann es doch nicht schaden, auch eine pädagogisch-psychologische Instanz wie den Professor Kuhbandner zu Wort kommen zu lassen. Trotz des wissenschaftlichen Outfits und der professoralen Fußnotenkompetenz sind die Beiträge Kuhbandners aber nicht anders einzuordnen als beispielsweise die von Günni von der Tankstelle.

Oder meine.

Es ist hier wie da nichts anderes als das gesellschafts- und bildungsübergreifende Mimimi der Einzelperson, die gern auch was zu sagen haben würde, pandemisch gesehen, aber auch bei den Rundfunkbeiträgen und der Russland-Politik und so. Gut, dass dem nicht so ist. Kuhbander will aber. Menno.

Und dieses Virtue Signalling, also das unbedingte Betonen, dass man schon auf der oft genug vermeintlich guten Seite stand, ist ihm fremd.

Vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch an die Debatte um das Donaulied. Ein, das meinen zumindest manche, bayerisches Kulturgut, ein Bierzeltlied, in dem eine Vergewaltigung besungen wird. Eine Passauer Studentin hat eine Petition gestartet, damit dieses Lied künftig nicht mehr bei der Maidult im Bierzelt gesungen wird. Einen Aufschrei hat es da zum Teil gegeben. Und Anfeindungen. So a la "Die Linken und Studenten wollen uns das Donaulied verbieten". Und dann kommt Martin Stein daher, so quasi der Prototyp des alten weißen Cis-Mannes und schreibt da was drüber. Ich zitier einfach mal, um klar zu machen, was ich meine:

Ich bin nicht besonders heilig, an sich. Semi-heilig, allerhöchstens, und auch das nur zeitlich begrenzt, aber meistens nicht mal das. Mit meinem Sündenkonto wurden bislang höchstens hohe kirchliche Würdenträger heiliggesprochen, und da hab ich mich karrieremäßig falsch orientiert. Politisch korrekt bin ich auch eher selten. Unter den Vertretern der reinen Lehre, egal welcher, fühle ich mich als durchschnittlich Viertelheiliger nicht besonders wohl, und generell bin ich kein Mensch für die Orthodoxie.

Eigentlich bin ich wirklich so ein Fossil aus lang vergangenen Zeiten. Ich gendere nicht. Beim Nachdenken über schützenswerte Minderheiten finde ich an sich hauptsächlich mich selber unterrepräsentiert. Und meinetwegen kann jemand seine Gießkanne heiraten, aber er soll bitteschön nicht von mir verlangen, dass ich die korrekte Terminologie drauf habe.

Trotzdem finde ich es ziemlich übel, dass man drüber diskutieren muss, ob man ein Lied, in dem die Vergewaltigung einer schlafenden Frau besungen wird, in Bierzelten singen soll.

Zum langsam Mitschreiben: Nein, soll man nicht. Man haut auch keinen Bedienungen mehr auf den Arsch. Man putzt sich nach dem großen Geschäft den Hintern ab. Auch wenn Corona vorbei ist, sollte man das Händewaschen trotzdem nicht völlig einstellen. Und bei den allermeisten Menschen ist es überaus sinnvoll, dass sie sich vollständig bekleidet in der Öffentlichkeit bewegen.

(…)

Aber muss man immer alles verbieten? Eigentlich nicht. Hätte aber auch mal ein Festwirt sagen können, dass er so einen Mist unter seinem Zeltdach nicht hören will. Und die Sache wäre erledigt. Ich glaube nicht, dass er deshalb auch nur eine Maß Festbier weniger ausgeschenkt hätte. Und wenn man es schon spielen und singen muss, dann halt in der entschärften Version. In Gottes Namen, die ist immer noch primitiv genug, um allen unterirdischen Ansprüchen Genüge zu tun. Und wenn sich sogar Mickie Krause bemüßigt fühlt, da einen Text in dezent geglätteter Form aufzuführen … das ist ja, als würde John Rambo irgendwann im Film sagen, also, Leute, schön langsam wird mir das hier zu blutig.

Man merkt hoffentlich: Martin Stein kann das mit dem trockenen Humor. Der ist so trocken wie ein guter Martini, den man bis zum Mai letztes Jahr von ihm noch in der Wunderbar bekommen hat. Die Wunderbar wollte er als jahrelanger Stammgast retten, als der vormalige Pächter pleite gegangen ist. Und im Grunde genommen wäre ihm das auch gelungen. Aber letztes Jahr ist sie dann doch endgültig gestorben. Nicht an, aber auf jeden Fall mit Corona. Er hat selbst darüber geschrieben, nur mal ein Auszug:

Es ist ja schon so, dass die Kapitulation an sich keinen besonders guten Ruf hat. Einen ziemlich schlechten sogar. Kapitulation und Vokuhilas und Phil Collins – alles gleichermaßen unbeliebt; wenn man das alles nicht ok findet, dann macht man schon mal viel richtig im Leben.

Nun ist das vielleicht auch ein bisschen ungerecht. Möglicherweise leidet die Kapitulation auch nur unter schlechtem Image, und eine gute Marketingkampagne könnte da einiges wieder richten. Es ist ja immer bloß von denen die Rede, die trotz dutzendfacher Niederschläge im Leben am Ende doch noch Millionär werden. Das ist natürlich der interessantere Filmstoff, aber statistisch an sich nicht zu rechtfertigen.

Die allermeisten Tellerwäscher bleiben Tellerwäscher. Wenn Napoleon damals einfach auf Elba hocken geblieben wäre, hätte es halt einen Abba-Song weniger gegeben. Und, ganz ehrlich: nachdem der zweite Todesstern kaputt war, hätte man auf dem Scheiterhaufen des Anakin Skywalker auch gleich die Drehbücher sämtlicher Pre- und Sequels mit verbrennen sollen.

Das war nun eine mächtige Vorwärtsverteidigung, um auf den simplen Umstand hinzuführen, dass ich meine Bar aufgebe. Ende, aus, vorbei. Die Wunderbar in Regensburg gibt es seit 1988, und ich mache das Licht aus. Das ist nicht schön, aber es hilft nix.

Zum Glück bekommt man so einen Martini seitdem bei ihm daheim – so wie viele andere gute Cocktails.

Wäre Martin ein Cocktail, dann wahrscheinlich ein Naked & Famous. Wer möchte das nicht sein? Nackt und berühmt. Zweiteres ist Martin sowieso, ersteres zumindest gelegentlich. Er selbst hat diesen Drink in einer Art Hommage einmal als den perfekten Stilbruch bezeichnet. Und das ist Martin auch. Ein tätowierter, trinkfester Oberbayer, gleichzeitig eloquent und belesen, feinsinnig, charmant und leidenschaftlich. Wo griagst denn sowas heute noch?

Sprache und Cocktails. Das sind zwei große Leidenschaften von Martin Stein, auf die man näher eingehen kann, ohne indiskret zu werden. Mittlerweile hat er beides erfolgreich verbinden können. Mit Charles Schumann ist er per du, wird überschwänglich begrüßt und bekommt jederzeit ohne Reservierung einen Platz, wenn er in dessen Bar kommt. Für das Fachmagazin Mixology reist er regelmäßig durch die Weltgeschichte, um die erlesensten Bars zu besuchen und zu bewerten – Berlin, Rom und Athen sind nur drei Stationen, die er erfolgreich getestet und beschrieben hat. So ein Privileg bekommt man aber auch nur, wenn man sich erstens auskennt und weiß, worüber man schreibt. Und zweitens, wenn man schreiben kann. Und wie. Ich zitiere jetzt mal nur aus der Ankündigung eines seiner Texte durch den Herausgeber der Mixology.

Da hätte ich fast vergessen, dass dieser unglaubliche Artikel, den unsere bibliophile Allzweckwaffe a.k.a. Martin Stein im Sommer für die Mixo-Sonderausgabe gemacht hat, nun auch online steht. Damals lautete die Planung des Artikels ungefähr so: "Mir sind fünf Seiten im Heft weggebrochen, Du hast doch da die Sache mit dem Buch vorgeschlagen." – "Ja, freilich, da könn'mer was machen. Wann brauchs't es?" – "In vier Tagen." – "Ja gut…"

Drei Tage später hatte ich diesen Brecher von einem Text, der alles hat. Erkenntnis, Faktensicherheit, Festigkeit in der historischen Recherche, aber ebenso herrliche Fotografie und Martins wunderbare Erzählkunst. Wie aus einem Lückenfüller etwas Einzigartiges wurde. Jetzt auch auf jedem Bildschirm.

Bei dem Artikel, aus dem ich jetzt nicht eigens zitiere, ging es übrigens um den Münchner Fritz Waninger und die American Bar unter den Nazis. Das ist auch ein schönes Beispiel, das zeigt, dass es Martin Stein auch gelingt, nicht nur zu unterhalten oder dem Hedonismus das Wort zu reden, sondern wichtigen Themen die entsprechende Verpackung zu geben, um sie unters Volk zu bringen. Vielleicht nur ganz kurz das:

Die 50 Standardgetränke des Fritz Waninger sind das einzige schriftlich bekannte Zeugnis einer zumindest noch rudimentär vorhandenen Cocktailkultur im NS-Deutschland. Natürlich ist angesichts des Horrors dieser Zeit, der tatsächlich für 1000 Jahre ausgereicht hätte, der Verlust des Barwesens bloß eine Marginalie. Aber dennoch ist dieser Fritz Waninger, auch wenn er bloß eine Randnotiz bleibt, ein kleiner Silberstreif in diesem Seitenkapitel der Geschichte. Und eines scheint sich doch herauszukristallisieren: Die Abwesenheit des Cocktails ist ein deutliches Signal für die Herrschaft der Barbaren.

Freilich klappt es nicht immer, seine Arbeit so punktgenau und perfekt zu erledigen wie dem obigen Artikel. Zur Zeit arbeitet Martin Stein gerade an der Übersetzung von "Imbibe!", laut denen, die das Buch von David Wondrich kennen, ein Meisterwerk zur Geschichte der Barkultur. Vor zwei Jahren hat sich Martin Stein die Rechte daran gesichert. Dann stockte es mit der Übersetzung. Und was macht man dann? Man schreibt einen Artikel genau darüber, dass man es nicht so wirklich auf die Reihe bekommt. Weil sogar das einfach lesenswert ist. Zitat:

Das chinesische Zeichen für Krise ist mitnichten dasselbe wie für Chance, sondern nur dasselbe wie für Hühnchen à la General Tso. Auf dieser Basis muss man arbeiten.

Dass die Pandemie das öffentliche Leben lahmlegt, ist sattsam und leidvoll bekannt, aber die Entschleunigung bis hin ins Grenzkomatöse schlägt auch privat unerbittlich zu. Man steht auf, irgendwann, ohne Wecker, macht sich einen Kaffee, beginnt damit, die Spülmaschine auszuräumen, und schon ist Mittwoch. Und so verging die Zeit, die auf Erden uns gegeben war. Gerade Zeit sollte man jetzt doch eigentlich genug haben. Endlich mal das Türscharnier ölen, das seit 2014 quietscht. Gut, morgen vielleicht. Also, morgen auf die To-Do-Liste setzen. Hektik bringt jetzt ja auch nichts.

Oder vielleicht endlich die Übersetzung von "Imbibe!" fertigmachen? Der Gesetzgeber will es ganz offensichtlich so, indem er mir eigentlich eh alles außer dem Schreibtisch verbietet. Und dennoch ist sogar der Impfstoff schneller als ich. Bitter.

Bei allem Hang zum moralischen Flagellantentum gibt es aber schon noch so zwei, drei gute Gründe, das Projekt nicht mit aller Vehemenz voranzutreiben. Zum einen waren auch bei mir die Turbulenzen des Alltags vielfältig, und das hat es nicht ganz leicht gemacht, fröhlich den Wanderstock zu greifen und die nächste Passhöhe anzugehen. Und zum anderen: In was für Umstände soll ich denn dieses Buch gerade hineingebären? Dieses mein Kind, in gewisser Hinsicht, das doch schöner werden wird als alle Kinder zuvor, und das damit leben müsste, dass sich keiner für seine Schönheit interessiert, weil jeder mit den hässlichen Details des alltäglichen Überlebens beschäftigt ist? Und außerdem würde ich auch gerne mit dem Buch im Gepäck durch ein paar der wunderschönen Bars dieses Landes ziehen und es vorstellen. Nur… nun, Sie wissen ja. Das Virus hat meine gesamte Zielgruppe in die Isolation geschickt. Wer interessiert sich denn jetzt noch für das Buch, angesichts der viel drängenderen Probleme? Und, falls man sich dafür interessiert – könnte man es sich überhaupt noch leisten?

Und damit komme ich zu dem sicher nicht einzigen, aber doch wesentlichem Grund, warum der Bund für Geistesfreiheit sich entschieden hat, Martin Stein als Freier Geist des Jahres 2021 zu ehren. Nicht nur für seine unkonventionelle Art zu leben, seine brillante Rhetorik, seinen Humor, dafür, dass er mal eine Bar hatte, in Regensburg Konzerte organisiert – den Nino aus Wien würde ich ohne ihn nicht kennen – oder dafür, dass er anderen als Vorbild dienen kann, wie es sich zu leben lohnt und dass man das Leben positiv und mit Humor nehmen kann. Er hat außerdem ein Buch herausgebracht: "Der zitable Atheist".

Es ist nicht das einzige Buch, bei dem Martin Stein dafür gesorgt hat, es einer breiteren, vor allem der deutschen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Anfang der 2000er hat er einen eigenen Verlag gegründet, den Kartaus-Verlag. Benannt nach dem Regensburger Bezirksklinikum. Der Name war provisorisch. "Ich hab ihn genommen, weil ich es für übertrieben gehalten hätte, einen Verlag auf neun Quadratmetern nach mir zu benennen", hat Martin mal bei einem Vortrag gesagt. Und der Name Karthaus ist am Ende auch geblieben.

Anlass war, dass der US-amerikanische Schriftsteller Richard Brautigan zu der Zeit nicht mehr in deutscher Sprache verlegt wurde. Und dass es Martin Stein hier weniger ums Geld ging als um das Anliegen, Brautigan nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, zeigt allein schon die Tatsache, dass das Finanzamt seinen Verlag irgendwann nur als Hobby und nicht als Geschäft eingestuft hat. Schade, wenn mit Leidenschaften, die ausschließlich positive Auswirkungen auf andere haben, so umgegangen wird. Wenn man es Überzeugungstätern wie Martin Stein dadurch schwer macht.

Ein knappes Dutzend Bücher hat sein Kartaus-Verlag im Programm. Sechs von Brautigan, eines von seiner Tochter. Und 2012 ist "Der zitable Atheist" erschienen. Untertitel: "Munition für Ungläubige, Politjunkies, Quälgeister und überhaupt alle, die eh zur Hölle fahren werden." Eine Sammlung von über 1.000 Zitaten, gut 300 Seiten, die der US-amerikanische Journalist Jack Huberman unter dem Titel "The Quotable Atheist" zusammengestellt hat. Dass man dieses unterhaltsame Nachschlagewerk jetzt auf Deutsch lesen kann und sich damit einer nach wie vor sehr katholischen Stadt wie Regensburg nicht mehr ganz so allein fühlt, verdanken wir Martin Stein.

Es ist nämlich eben leider nicht so, wie es Martin mal in einem Vortrag anlässlich des Katholikentags 2014 gefordert hat, nämlich dass es doch der Höflichkeit geschuldet wäre, wenn diejenigen, die sowieso die Ewigkeit für sich haben, also die Katholiken, etwas weniger Platz für sich beanspruchen würden. Die wuseln zu Tausenden und Abertausenden da draußen rum und versuchen, den Diskurs zu bestimmen. Mit der Übersetzung von "Der zitable Atheist" hat Martin einem zumindest eine Art Bewaffnung an die Hand gegeben. Oder wenigstens etwas Trost, wenn man es gerade gar nicht mehr aushält. Vielleicht nur zwei Zitate, denn im Grunde sollte man dieses Buch einfach als Nachschlagewerk zuhause haben. Und wer mehr hören will, der kann das Ganze bei Youtube suchen. Dort gibt es eine kleine Lesung von Martin Stein aus dem Jahr 2014.

"Wenn es einen Gott gäbe, hätte ich immer noch beide Eier." Lance Armstrong

"In der Rückschau war die Berichterstattung dieses Magazins auf grauenhafte Weise einseitig. Weshalb waren wir so zurückhaltend bei der Behauptung, dass die Dinosaurier vor 6.000 Jahren gelebt haben? Oder dass eine verheerende Flut den Grand Canyon geformt hat? Wir als Redakteure haben kein Recht, uns von den Beweisbergen breitschlagen zu lassen. Ebenso sollten wir nicht dem einfachen Trugschluss unterliegen, dass Wissenschaftler ihr Feld besser verstünden als sagen wir mal US-Senatoren oder Bestseller-Autoren. Tatsächlich sollten wir, wenn Politiker oder Interessensgruppen Dinge behaupten, welche unwahr oder irreführend erscheinen, unserer journalistischen Pflicht gemäß diese ohne Kommentar oder Widerspruch zitieren. Ein anderes Handeln wäre elitär und in dieser Folge falsch." Scientific American

Das Martin Stein mit seiner Übersetzung uns ganz nebenbei noch das Wörtchen "zitabel" geschenkt hat – es steht bisher nicht im Duden – ist vor alledem noch umso bemerkenswerter.

Zurück zur Ausgangsfrage. "Wer ist der Arsch?"

Martin Stein hat sie einer Glosse über das Denkmal von Bischof Johann Michael von Sailer gestellt, das unser damaliger Kulturreferent Klemens Unger, der ja – siehe Domplatz – ein Faible für Denkmalwanderungen hatte, aus dem Grünstreifen beim Bahnhof auf den Emmeramsplatz versetzen hat lassen. Dort versperrt der Herr von Sailer seitdem sechs Parkplätze. Martin Stein hat das – Atheist hin, Atheist her – sehr begrüßt. Als Bildungs- und Gedenkmaßnahme sozusagen. Zitat:

Und so steht er nun; sein kantiges und dennoch gütiges Gesicht blickt versonnen in die Ferne, seine rechte Hand verweist etwas überheblich auf den leeren Raum unter sich (die weißen Parkmarkierungen wurden schwarz übermalt, was deren Sichtbarkeit nicht im Geringsten mindert, sondern eher etwas von dem Versuch hat, Veganerdurchfall mit einer Duftkerze zu bekämpfen), in der linken Hand trägt der Bischof ein Buch, vermutlich entweder die Straßenverkehrsordnung oder sein epochales Werk über den Selbstmord.

Unbestreitbar ist, dass kaum jemals irgendwann irgendwo ein Denkmal vergleichbar bemerkt wurde. Endlich, möchte man meinen, hat man einen Weg gefunden, Personen der Zeitgeschichte wirksam in den Köpfen und Herzen der Nachgeborenen zu verankern. Denk mal! Das Beispiel könnte Schule machen. Denkmäler auf Kreuzungen. Denkmäler auf unbeschrankten Bahnübergängen. Denkmäler vor Notausgängen. Denkmäler, die man nicht mehr übersehen kann, weil man drüberklettern muss, um aufs Klo zu gelangen. Und so findet ein Mensch, der vor 180 Jahren begraben wurde, den Anschluss an die Moderne wieder: Aufmerksamkeit ist alles, und schlechte Publicity gibt es nicht. Daumen nach oben!

Und in diesem Sinne würde ich mir wünschen, dass irgendwann einmal auch Martin Stein ein Denkmal gesetzt wird. Vielleicht irgendwo auf dem Autobahnkreuz, beim Dom, auf der Papstwiese oder vor dem Eingang zur Bischofsresidenz. Und dann könnte man ihm auch ein Buch in die Hand geben. Entweder "Der zitable Atheist" oder doch eines, das er vielleicht noch schreiben wird zu den lebensverbessernden Auswirkungen der 100 besten Cocktails und damit einhergehender Prokrastination.

Aber weil es ein Denkmal in aller Regel erst gibt, wenn jemand gestorben ist, dauert das hoffentlich noch sehr, sehr lang. Lieber Martin, schön das es dich gibt. Du bist ein Vorbild und ein echter Gewinn – nicht nur für diese Stadt ...

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