Die in New York lebende Journalistin Masih Alinejad ist Initiatorin des Projekts "My Stealthy Freedom" ("meine heimliche Freiheit"). Hier ruft sie Frauen dazu auf, Videos zu teilen, in denen sie öffentlich ihr Kopftuch ablegen. Nach neuen mutmaßlichen Anschlagsplänen steht Alinejad nun unter besonderem Schutz. Der hpd hat ausführlich mit der Frau gesprochen, die der Iran nur zu gern zum Schweigen bringen würde.
hpd: Frau Alinejad, wie haben Sie von dem mutmaßlichen Attentatsversuch auf Sie Ende Juli erfahren?
Masih Alinejad: Das FBI hatte mich angerufen. Vor meinem Haus sei ein Mann festgenommen worden. In seinem Auto hätten sie eine geladene Waffe gefunden. Ich war erst einmal schockiert. Dann wurde ich an einen sicheren Ort gebracht. Es hat schon einmal einen Versuch gegeben, mich in den Iran zu entführen. Das FBI hat das damals verhindert. Inzwischen dachte ich, ich wäre sicher. Das, was jetzt passiert ist, hatte ich wirklich nicht erwartet.
Ich habe von diesem Entführungsversuch durch den Iran gelesen. Das war im Jahr 2021, richtig?
Ja. Fünf Leute wurden angeklagt, mich entführt haben zu wollen. Einen haben sie in Kalifornien festgenommen. Die anderen sind im Iran. Es klingt wie in einem schlechten Film. Aber für uns, die unter dem islamischen Regime gelebt haben, ist das Realität. Ich erinnere an den Journalisten Ruhollah Zam, der für einige Zeit in Paris gelebt hat. Er wurde in den Irak gelockt, von dort aus in die Islamische Republik Iran entführt und schließlich hingerichtet. Das passiert auch mit Deutschen. Vor zwei Jahren haben sie Jamshid Sharmahd in den Iran verschleppt. Auch ihm droht die Hinrichtung. Geiselnahmen, Entführungen und Exekutionen liegen in der DNA der Islamischen Republik.
Gibt es inzwischen Neuigkeiten in Ihrem eigenen Fall? Konnten die genauen Motive des Mannes, der in der Nähe Ihres Hauses festgenommen wurde, ermittelt werden?
Auf Weisung des FBI kann ich die laufende Untersuchung nicht kommentieren. Ich kann aber sagen, dass ich nur einen einzigen Feind habe. Das ist die Islamische Republik Iran – ein Regime, das meinen Bruder zwei Jahre inhaftiert hatte, weil er das Entführungsvorhaben gegen mich aufgedeckt hatte. Der Iran hat meine Schwester dazu gebracht, mich im iranischen Fernsehen zu verstoßen. Und erst Ende Juli hat das Regime ein neues Gesetz gegen mich erlassen: Menschen, die mir Videos schicken, in denen sie ihren zivilen Ungehorsam zum Ausdruck bringen, drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis. Etwa zeitgleich wurden vier Anti-Hijab-Aktivisten im Staatsfernsehen dazu gebracht, mich öffentlich zu denunzieren.
Schauen Sie sich das Muster an: Die Islamische Republik Iran tut alles, um mich zu brechen. Sie haben auch verbreitet, dass ich von drei Männern vergewaltigt worden wäre. Mein Sohn habe das angeblich mit ansehen müssen. Sie verbreiten das, weil sie glauben, ich hätte es verdient, vergewaltigt zu werden, nachdem ich meinen Hijab abgenommen habe. Vor zwei Jahren, als Ruhollah Zam vom islamischen Regime im Iran entführt und hingerichtet wurde, wurde mein Bild bei den Freitagsgebeten und im Staatsfernsehen gezeigt. Selbst ein iranischer Parlamentarier erklärte, ich sei die Nächste, die gehängt werden solle. Das ist der Grund, warum ich glaube, dass das iranische Regime hinter dem Mann steht, der in der Nähe meines Hauses festgenommen wurde.
Lassen Sie uns kurz über den Angriff auf Salman Rushdie sprechen, der sich während den Vorbereitungen zu diesem Gespräch ereignet hat. Was geht da angesichts Ihrer eigenen Situation in Ihnen vor?
Ich war schockiert. Ich lief in meinem Versteck auf und ab und konnte es nicht glauben – die Islamische Republik Iran liefert dem Attentäter das Motiv. Vor mehr als 30 Jahren hat Ajatollah Chomeini eine Todesfatwa gegen Rushdie ausgesprochen. Der gegenwärtige Führer Chamenei hat die Fatwa vor einigen Jahren erneuert. Das iranische Regime verspricht denjenigen drei Millionen Dollar, die Rushdie töten. Wir können nicht sagen, das Attentat wäre einfach so geschehen. In diesem Fall bilden die Fatwa und das Kopfgeld die Grundlage für den islamischen Terror. Es gibt ein Fundament und dieses Fundament wurde gelegt von der Islamischen Republik Iran.
Ihre Bewegung "My Stealthy Freedom" motiviert iranische Frauen dazu, sich von der islamischen Vormundschaft zu befreien. Wie ist es derzeit um die Situation von Frauen im Iran bestellt?
Während ich mit Ihnen spreche, sitzen mehr als 50 Frauen im Gefängnis. Viele von ihnen wurden eingesperrt, nur weil sie ihr Kopftuch in der Öffentlichkeit abgenommen haben. Auch Mütter der Frauen, die bei den iranweiten Protesten im November 2019 demonstriert hatten, sind inhaftiert. Während dieses Aufstands tötete das iranische Regime landesweit mehr als 1.500 Protestierende. Die Mütter wurden in Haft genommen, weil sie Gerechtigkeit verlangten; denn wenn man als Frau im Iran nicht den Regeln der Scharia folgt, ist man gesellschaftlich erledigt. Mädchen ab einem Alter von sieben Jahren ist es nicht gestattet, zur Schule zu gehen, wenn sie sich nicht vollständig bedecken. Es macht dabei keinen Unterschied, ob du Muslima, Jüdin oder Christin bist. Du musst den Gesetzen der Scharia folgen. Andernfalls wird deine Existenz vernichtet. Du bekommst keine Bildung, keinen Job, nicht einmal einen Führerschein. Es ist wie bei den Taliban. Frauen dürfen keine Stadien besuchen. Frauen dürfen nicht als Solokünstlerinnen singen. Frauen dürfen keine Richterinnen werden. Sie dürfen das Land nicht ohne Genehmigung ihres Mannes verlassen. Das ist die Situation von Frauen im Iran.
Dabei haben wir viele großartige Frauen, tapfere Frauen. Sie brechen das Gesetz jeden Tag. Sie besetzen inzwischen 60 Prozent der Studienplätze an den Universitäten. Doch das Regime hält sie nicht für reif genug, ihren eigenen Lebensstil zu wählen. Aber die Frauen schlagen zurück. Sie verschieben die Grenzen; denn sie kennen ihre Rechte und sie denken, dass sie im 21. Jahrhundert diese Diktatur und dieses Regime der Geschlechter-Apartheid loswerden müssen.
Was können wir in den westlichen Ländern tun, um die Situation der iranischen Frauen zu verbessern?
Ich möchte hier sehr deutlich werden: Wenn deutsche Politikerinnen den Iran besuchen und sie gehorchen, wenn man Ihnen ein Kopftuch aufzwingt und sich vor dem Regime verbeugen, dann macht mich das wütend.
Wenn jemand aus Deutschland fragt, was man tun könne, um mir zu helfen, sage ich immer: Ich will nicht, dass ihr mir helft. Steht ein für eure eigene Würde! Ich will nicht, dass deutsche Politiker und Polikerinnen herkommen, um uns zu retten. Ich will, dass sie für ihre eigenen Werte einstehen, für die Menschenwürde.
Ich darf daran erinnern: Während wir hier sprechen, sind schwedische, französische, britische, australische, US-amerikanische und auch deutsche Bürgerinnen und Bürger im Iran inhaftiert. Aus Deutschland ist das Jamshid Sharmahd, den ich bereits erwähnte, aber auch Nahid Taghavi. Die iranische Regierung nimmt sie gefangen, um sie bei Geschäften als Pfand einzusetzen.
Ich rufe alle demokratischen Länder dazu auf, vereint zu sein. Schrauben Sie die diplomatischen Beziehungen zur Islamischen Republik Iran herunter, bis die unschuldigen politischen Gefangenen freilgelassen werden; denn wenn die Menschenrechte unter Deals begraben werden, ist es die Diktatur, die die westlichen Demokratien infiziert.
Lassen Sie mich noch etwas hinzufügen: Für die Meinungsfreiheit zu kämpfen, ist kein westlicher Wert. Es ist ein universeller Wert. Viele westliche Aktivistinnen und Aktivisten glauben aber, dass wir für westliche Werte kämpfen, wenn wir uns gegen den Kopftuchzwang wehren. Doch das ist eine Beleidigung unserer Nation; denn vor der Iranischen Revolution hatten die Frauen das Recht, sich frei zu entscheiden, ob sie ein Kopftuch tragen wollen oder nicht. Wenn westliche Aktivistinnen und Aktivisten nun sagen, dass wir für die Werte des Westens kämpfen, bestärken sie damit nur die Islamische Republik und die Taliban, mehr Druck auf uns auszuüben.
Das Interview wurde auf Englisch geführt, Übersetzung: Jan-Christian Petersen.
Das Buch "Der Wind in meinem Haar" von Masih Alinejad ist im Alibri Verlag erhältlich. Eine aktuelle Dokumentation über die Aktivistin findet sich in der ARD-Mediathek.
14 Kommentare
Kommentare
Wolfgang am Permanenter Link
Es ist die Angst der Männer vor den Frauen! Und das hat mit Religion absolut nichts zu tun.
Warum müssen Männer keine Kopftücher tragen und dürfen in ihren "Unterhosen" frei herumlaufen?
Hans Trutnau am Permanenter Link
Was für eine mutige Frau - allen Respekt!
Klaus Bernd am Permanenter Link
Auch hier möchte ich mich im wesentlichen darauf beschränken, ein paar Teile, die mir besonders wichtig sind zu zitieren:
„Ich möchte hier sehr deutlich werden: Wenn deutsche Politikerinnen den Iran besuchen und sie gehorchen, wenn man Ihnen ein Kopftuch aufzwingt und sich vor dem Regime verbeugen, dann macht mich das wütend.“
mich auch
„Wenn jemand aus Deutschland fragt, was man tun könne, um mir zu helfen, sage ich immer: Ich will nicht, dass ihr mir helft. Steht ein für eure eigene Würde! Ich will nicht, dass deutsche Politiker und Polikerinnen herkommen, um uns zu retten. Ich will, dass sie für ihre eigenen Werte einstehen, für die Menschenwürde.“
Genau, sonst muss man daran zweifeln, dass das ihre Werte sind; dass diese Werte vielmehr unter der Unterwürfigkeit unter Religionen und ihre Macher begraben liegen.
„Für die Meinungsfreiheit zu kämpfen, ist kein westlicher Wert. Es ist ein universeller Wert.“
Genau. Umgekehrt sind es keine „westlichen“ Übel, die bekämpft werden müssten. Diese Einteilung in „westlich“ und „ja was denn eigentlich ? Östlich ?“ ist billiger Populismus, um zu verschleiern, was man eigentlich meint, nämlich unter anderem Meinungsfreiheit und Menschenwürde.
Anton am Permanenter Link
Jedes Land hat seine Gesetze und im Iran greift das islamische Recht und darin sind eben Kopftücher vorgeschrieben. Wem es nicht passt kann gerne das Land verlassen.
Reinhold Schlotz am Permanenter Link
Die Perspektive, aus der man ein Land beurteilen und kritisieren kann, liefern die allgemeinen Menschenrechte.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Ob des vorigen 'Kommentars' wollte ich schon loskotzen, Reinhold; aber du hast alles gesagt, was nötig war.
Otte Walter am Permanenter Link
Gibt es Herrn "Anton" wirklich - oder handelt es sich um eine Stellungnahme aus der Propaganda-Abteilung der iranischen Botschaft?
Hat jemals die Bevölkerung dem islamischen Recht iranischer Prägung zugestimmt? Hat es darüber einen offenen Dialog in der Gesellschaft gegeben? Wie jede/r weiss, natürlich nicht. Herrn "Anton" scheint dies aber nicht zu stören.
Klaus Bernd am Permanenter Link
Habe ich auch schon überlegt, ob es sich bei Anton um einen iranischen Agenten handelt. Auf jeden Fall scheint es wieder Jubel-Perser in Deutschland zu geben.
Klaus Bernd am Permanenter Link
Was für eine flapsige Rechtfertigung, die darauf hinausläuft: Wer die Macht hat, macht die Gesetze und wenn er sich an einer unmenschlichen religiösen Gesetzgebung orientiert, hat ihm niemand dreinzureden.
„Wem es nicht passt kann gerne das Land verlassen.“
Das ist im Iran definitiv nicht so. Der wird eingesperrt wenn ihm nicht gar schlimmeres widerfährt.
„Kein Wunder das sie mit Repressionen rechnen muss.“
Damit rechtfertigen sie gewissermassen die gesetzwidrigen Vorgänge um Fr. Alinejad. So wie damals der Papst mit seiner unsäglichen Metapher – zur Erinnerung: wer meine Mama (Kirche ?) beleidigt, muss mit einem Faustschlag rechnen - für die Anschläge auf Charlie Hebdo Verständnis zeigte.
Ihr Kommentar lässt Zweifel aufkommen, ob Sie noch auf dem Boden des Grundgesetzes stehen.
Wie wärs`s, wenn Sie die BRD verlassen und in den Iran ziehen ?. Dort herrscht ja offenbar ein Rechtssystem nach Ihrem Gusto.
David Z am Permanenter Link
Menschen, sich vor Frauen fürchten, die ihr Haar offen tragen, kann man nicht ernst nehmen. Es gibt vieles im Leben, worüber man unterschiedlicher Meinung sein könnte.
Florian am Permanenter Link
Wir leben hier in Deutschland und hier gilt eben Meinungs-, Kunst- und Religionsfreiheit. Wenn ihnen das nicht passt, können sie gerne das Land verlassen. Hier stellen sie unsere Wertvorstellungen schlecht dar.
Folgen sie bitte ihren eigenen Worten und kehren in den Iran zurück!
Sascha Larch am Permanenter Link
Und dieser widerliche Bundespräsident hat dem Iran 2019 zum 40-jährigen Jubiläum der "Iranischen Revolution" gratuliert!
M.E. schon längst ein Grund zurückzutreten!
Otte Walter am Permanenter Link
Die mutige Frau Masih Alinejad die unsere uneingeschränkte Hochachtung und uneingeschränkten Respekt für ihre politischen (gefährlichen) Leistungen verdient, wird nicht nur vom iranischen Regime angefeindet.
Aber Identitätspolitiker meinen, auch ihren unmaßgeblichen Senf zu verspritzen zu müssen. Eine Taz-Korrespondentin namens Julia Neuman (ob der Name echt ist, weiss ich nicht). Für sie steht Masih Alinejad für „westlichen Ideologien“. Die biologisch weiße Frau Neumann (offenbar auch noch Mitteleuropäerin) bildet sich ein, zu wissen, was für die „da unten“ politisch richtig und wichtig ist. Alles, was Alinejad macht und propagiert, ist für sie falsch. Grotesk Neumanns Assoziation: „Wer käme in Deutschland auf die Idee, Nonnen zu ermuntern, ihr Kopftuch abzulegen …“ Soll offenbar heißen: Wenn schon weiße europäische Frauen Kopftuch tragen, dann soll es auch recht für Frauen außerhalb Europas sein. Als ob dies miteinander gleichsetzen könnte.
Die Autorin gibt sich als Feministin und rät, anstelle einer Beschäftigung mit dem Verhüllungszwang zum globalen Kampf gegen das Patriachat: „Wer wirklich etwas für Frauen tun möchte, muss das Patriarchat bekämpfen – und steht damit vor einem Konstrukt aus globaler Politik, Kapital, Macht und Institutionen. Als ob es so einfach wäre, sich unbekleidet davor zu stellen.“ Also: keine politische Bewegung, die an konkreten Anlässen anknüpft, sondern Bekämpfung des Patriachats im Allgemeinen. Was das für den Iran bedeutet, wird freilich nicht erwähnt. Die Mullahs werden die Empfehlung freudig begrüßen, hätten sie doch damit wieder politische Ruhe im Land.
Nur als Empfehlung - die im Iran geborene Ärztin und Politikwissenschaftlerin Gilda Sahebi bringt es in ihrer Kritik an Julia Neumann auf den Punkt: „Das öffentliche Ablegen des Hijab ist im Iran verboten. Frauen werden dafür verfolgt, gefoltert und getötet. Es ist aber oft der einzige Weg, Widerstand zu leisten. Diesen Frauen gibt Masih Alinejad eine Stimme. … Wenn etwas verdammt gefährlich ist, dann ist es die Argumentation, dass Frauen im Globalen Süden Instrumente des Westens seien, wenn sie für ihre Freiheit kämpfen. Das Fundament zu diesem Narrativ bildet die Annahme, dass Women of Color, in diesem Fall iranische Frauen, eine andere Vorstellung von Emanzipation und Gleichberechtigung hätten als europäisch sozialisierte.“ https://taz.de/Frauenrechte-im-Nahen-Osten/!5871743/
Merke: weisse Frauen wissen besser als Frauen of colour, was für letztere gut ist und worauf sie ihren politischen Kampf ausrichten müssen. Hatten wir nicht ähnliche Auffassungen bereits in der Vergangenheit – damals war das koloniale Überheblichkeit / Arroganz gegenüber den "Wilden" und "Halbzivilisierten" - und heute?
Anton am Permanenter Link
Jedes Land hat seine Gesetze und im Iran greift das islamische Recht und darin sind eben Kopftücher vorgeschrieben. Wem es nicht passt kann gerne das Land verlassen.