Für einen wirklichen Wandel müsste die katholische Kirche grundsätzliche Reformen umsetzen. Dazu gehören die Aufhebung des Zölibats, das Priesteramt für Frauen und demokratische Strukturen.
Die Eiterbeule der katholischen Kirche in der Schweiz ist endlich geplatzt. Was man schon lange ahnte und ansatzweise wusste, hat sich nun bewahrheitet. Trotzdem gibt es eine Überraschung: Das Ausmaß der sexuellen Übergriffe der Geistlichen übersteigt die Befürchtungen. Mehr noch: Die Würdenträger betrieben eine systematische Vertuschung bis hinauf zu den Bischöfen.
Fazit: Die Missbräuche hatten System und wurden unter den Teppich gekehrt. Dazu passt auch, dass die Verantwortlichen viele Dokumente dem Schredder übergaben.
Bischöfe hatten Kenntnis von den Missbräuchen
Beschämend ist vor allem, dass alle Bischöfe seit Jahren Kenntnisse von den Übergriffen und Vertuschungen hatten. Oder selber daran beteiligt waren. Sie missachteten auch die Selbsthilfegruppen, die schon lang auf die Verbrechen aufmerksam gemacht hatten.
Die "Würdenträger" konnten sich erst zu einem Geständnis durchringen, als der Druck der Öffentlichkeit und der Medien zu groß geworden war. Die Bischöfe versprechen nun mantramäßig, dass sie einen Kulturwandel vorantreiben werden.
Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass bisher in der katholischen Kirche die Kultur darin bestand, die reine Lehre und ihre fragwürdigen Ideale hochzuhalten und zu schützen. Den Ruf zu wahren war ihnen wichtiger als das Schicksal der Opfer. Sie zahlten den Preis für die Verbrechen. Das ist ähnlich verwerflich wie die Übergriffe selbst.
Stefan Loppacher, der seit mehreren Jahren in der katholischen Kirche Präventionsarbeit leistet, erklärte in einem Interview mit dem Tages-Anzeiger die Missbrauchskultur so:
"In einer Institution, die sich als heilig, gottgewollt und unfehlbar versteht, hat sich eine völlig menschenverachtende Kultur etabliert. Die Kirchenverantwortlichen waren sich gewohnt, sich über die Menschen und auch über den Staat zu stellen."
Fatal wirkt sich auch der Glaube vieler hoher Würdenträger an die angeblich besondere und herausragende Stellung der Kirche in der Welt aus. Dieser Anspruch ist tief in der geistigen und religiösen DNA der katholischen Nomenklatura verankert. Solange die Verantwortlichen nicht die Demut haben, vom hohen Pferd zu steigen und zu ihrer Menschlichkeit zu stehen, bleiben grundsätzliche Reformen Wunschdenken.
Zum Kulturwandel gehörte auch, den Zölibat aufzuheben. Heute ist die katholische Kirche eine Art exklusiver Männerbund mit autoritären Strukturen. Sie zieht damit Homosexuelle und Pädophile an, die in diesem Biotop aufblühen.
Die katholische Kirche erklärt zwar regelmäßig, der Zölibat sei nur zu einem kleinen Teil für die Übergriffe verantwortlich, doch das Argument ist weder stichhaltig noch glaubwürdig. Denn 70 bis 80 Prozent der Hunderte von Opfern sind männlich. In der säkularen Welt ist es genau umgekehrt. Dort sind mehrheitlich Mädchen und Frauen die Opfer.
Ein weiteres Indiz liefert die reformierte Kirche, die keine Probleme mit sexuellen Übergriffen in ihrem Umfeld hat.
Die Strukturen der katholischen Kirche müssten aufgebrochen werden
Um einen Kulturwandel vollziehen zu können, müssten außerdem die Strukturen der katholischen Kirche aufgebrochen und das Kirchenrecht reformiert oder abgeschafft werden. Heute herrscht eine Art monarchisches oder zumindest autoritäres und antidemokratisches System.
Was dies bedeutet, zeigt der Missbrauchsskandal exemplarisch. So beauftragte der Vatikan den Churer Bischof Joseph Maria Bonnemain mit der Untersuchung der Fälle. Keine Spur von Gewaltentrennung. Deshalb ist die Gefahr der weiteren Klüngelei groß.
Zwar kann man vermuten, dass Bonnemain tatsächlich gewillt ist, die Missbräuche zu dokumentieren, doch das Setting an sich ist ein Unding: Wer kann schon mit aller Härte gegen "Freunde" ermitteln, mit denen man schon seit Jahrzehnten zusammenarbeitet und manches Fest gefeiert hat? Das ist, als würde eine Bundesrätin oder ein Bundesrat gegen das restliche bundesrätliche Gremium ermitteln.
Fragwürdige Untersuchung durch Bischof Bonnemain
Eine hypothetische Frage macht die Krux deutlich: Was wäre, wenn sich Bonnemain ebenfalls etwas zu Schulden hätte kommen lassen? Müsste er dann gegen sich selbst eine Untersuchung führen?
Ein wichtiger Aspekt ist auch die Gleichstellung der Frauen. Viele konservative Geistliche betrachten sie immer noch als Menschen zweiter Klasse. Deshalb gehört zu einem Kulturwandel zwingend, dass Frauen gleichwertige Priesterinnen werden dürfen.
Weiter muss das Zölibat aufgehoben werden. Dann ändert sich vielleicht auch das Frauenbild. Und die Priester würden erfahren, wie Zärtlichkeit und Sexualität mit einer Frau Lebensgefühl und Bewusstsein bereichern.
Ohne Reformen kein Kulturwandel
Loppacher belegt dies mit folgendem Zitat:
"Ich habe Akten gesehen, in denen Bischöfe und Täter sagen, als Priester mit einem 12-Jährigen zu masturbieren, sei halt ein Spiel zwischen Jungen. Mit einer Frau zu schlafen sei viel schlimmer und ein richtiger Zölibatsbruch."
Einen Kulturwandel kann es nur geben, wenn der Vatikan all diese Reformen rasch umsetzen würde. Dass dies nicht geschehen wird, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Sicher ist deshalb auch, dass die Austrittswelle so schnell nicht verebbt.
Übernahme mit freundlicher Genehmigung von watson.ch.
17 Kommentare
Kommentare
Stefan Dewald am Permanenter Link
Nun ja, wer ewige Wahrheiten im Angebot hat, der braucht keine Reformen. Den Rest regelt der Markt. Tja.
Martin Felmy Dr. am Permanenter Link
die katholische Kirche ist seit Jahrhunderten beratungsresistent. Auch die Ratschläge von Herrn Stamm werden sie nicht erreichen - vergebliche Mühe!
wolfgang am Permanenter Link
Hä, hä, hä! Guter Witz! Wie macht man aus Schwarz Weis? Das wäre ein Wunder!
Evil Ernie am Permanenter Link
"Die katholische Kirche muss sich radikal reformieren"
Muss sie nicht und wird sie nicht.
Und das ist auch gut so. Nur so ist der Niedergang dieser Sekte garantiert.
Klaus Weidenbach am Permanenter Link
Für die Menschheit wäre es das Beste, wenn sich die Kirchen ohne Reformen aus der Weltgeschichte in Luft auflösen würden, nachdem sie 2000 Jahre lang ihren geistig und auch körperlich verführten Anhängern heiße Luft ü
A.S. am Permanenter Link
Es lohnt nicht die Kirchen zu reformieren.
Weder die Kirche noch andere Religionen haben Ahnung von Gott. Der Gotteskram war schon immer erfunden und ist bis heute Schwindel.
Silvia K. am Permanenter Link
Warum sollten wir als Säkulare darüber nachdenken, was passieren muss, damit es der Kirche besser geht und sie mehr Zulauf hat?
Der Zölibat bspw. ist eine innere Angelegenheit der Kirche – ich sehe keinen Grund, dass wir uns über Karrierepfade innerhalb der Kirche Gedanken machen sollten. Naheliegend ist natürlich, dass der (vorgebliche?) Verzicht auf Sexualität überproportional solche jungen Männer anzieht, die mit ihrer Pubertät nicht klargekommen sind. Aber es muss jedem jungen Mann selbst überlassen bleiben, ob er auf dieser Entwicklungsstufe stehenbleiben möchte, nur um Reichtum und Macht der Kirche zu mehren.
Was sich tatsächlich ändern muss, ist der Umgang mit den Anmaßungen der Kirche, sexuelle Übergriffigkeit in eigener Regie zu klären. Wie sich Kleriker gegenüber Kindern verhalten, ist nun wirklich keine innere Angelegenheit. Hier sind Staatsanwälte und eine wachsame Gesellschaft gefordert, die eine Parallelgesellschaft Kirche nicht länger tolerieren.
Und zweitens: Warum sollten wir ein Priesteramt für Frauen fordern? Wenn Frauen in diesem Verein nur dienen dürfen und nichts zu sagen haben, ist doch die vernünftigste Konsequenz, aus diesem autoritären Männerbund auszutreten. Ehrenamtliche Betätigungsfelder gibt es außerhalb der Kirche mehr als genug.
Die einzige gerade noch hinnehmbare Reform der Kirche ist die Organisation als einfacher Verein, dem jeder Einfluss auf Politik oder Bildung entzogen ist.
AW am Permanenter Link
Sehr gut !!!!!
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Absolut Richtig Silvia!!
wolfgang am Permanenter Link
Staatlich unterstütztes und geschützes, Lügengebäude: Es gibt und gab nie einen Gott, es gibt kein Leben nach dem Tode und es gibt keinen Teufel, aber dafür teuflische Menschen aller Coleur.
Alexander von d... am Permanenter Link
Katholische Kirche reformieren? Warum sollte man diesen menschenverachtenden Machtapparat denn erhalten? Abschaffen wäre eine bessere Option.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
@ Alexander von d....
Das schreibe ich sinngemäß schon seit Jahren hier im hpd, vielleicht etwas schroffer, weshalb
nicht jeder Kommentar von mir veröffentlicht wird.
Wolfgang am Permanenter Link
Wie wahr, wie wahr! So schroff kann man gegen diesen Lügenverein gar nicht schreiben, wie er es "verdient" hat. Also das Wort "Verdient" hat zwei Bedeutungen.
Und im übrigen, ich bin seit 43 Jahren mit einer bayerischen Katholikin verheiratet, erst da lernst du das wahre Christentum und die Kirchengläubigkeit kennen. Wie ich das ausgehalten habe? Sehr gut, meine drei Söhne sind aus der Kirche ausgetreten, Sohn Andreas hat eine Atheistin (Ärztin) kennengelernt und deren Eltern sagen öffentlich, sie wollen mit der Kirche nichts zu tun haben.Ist so etwas nicht schön? Und Mutti steht machtlos dazwischen. Göttlich!
Werner Helbling am Permanenter Link
Die oberste Kirchleitung, Bischöfe, Kardinäle, usw. sind schliesslich Kirchenfürsten. Sie Benehmen sich auch wie Fürsten mit Ihrem Prunk, Reichtum und Gebaren.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Dem kann ich mich nur uneingeschränkt anschließen.
weil diese Geistig ähnlich veranlagt sind, für viel Bla-Bla enorme Gagen einstreichen.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Schreibfehler, das "sie" durch "zu" ersetzen bitte.
Alexander von d... am Permanenter Link
Eine Beobachtung am GTag der deutschen Einheit: Im Nachrichtensender ntv wurde ein Aufruf zu mehr Gemeinsamkeit "von Politik und Kirche" veröffentlicht.