"Mehr Schaden als Nutzen"

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Am vergangenen Samstag fanden europaweit Demonstrationen gegen die geplante Urheberrechtsreform statt.
Berlin, 23.03.2019

Großkundgebungen in ganz Europa, zeitweises demonstratives Abschalten von Wikipedia, Hass-Posts und Morddrohungen gegen Abgeordnete: Vor der heutigen finalen Abstimmung im Europa-Parlament spitzt sich der Kampf zwischen Gegnern und Befürwortern der Urheberrechtsreform zu. Worum es bei der Reform geht und warum sie ihre Ziele verfehlt, erklären die Rechtswissenschaftler Reto M. Hilty und Valentina Moscon im Interview.

Mit seinem Blackout griff Wikipedia in Deutschland zu seinem wirkungsvollsten Mittel: Deutsche Nutzer konnten die Online-Enzyklopädie für einen Tag allenfalls über technische Kunstgriffe erreichen, alle anderen sahen auf ihren Bildschirmen nur die Protestnote in Weiß auf schwarzem Grund. Sichtbarer konnte das Online-Lexikon seine Ablehnung der geplanten Änderungen im europäischen Urheberrecht kaum machen – auch Wikipedia Tschechien, Dänemark und Slowakei schlossen sich an.

Am Samstag, den 23. März 2019, demonstrierten die Reformgegner europaweit. Die geplante Richtlinie, von der Kommission als COM (2016) 593 vorgeschlagen, hat zum Ziel, das Urheberrecht an das digitale Zeitalter und den digitalen Binnenmarkt anzupassen, um mit dem technologischen Fortschritt, verändertem Nutzungsverhalten und neuen Geschäftsmodellen Schritt zu halten.

Besonders in der Kritik stehen zwei Artikel der geplanten Richtlinie: Artikel 11, der in der aktuellen Fassung zu Artikel 15 wurde, sieht europaweit ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger vor. Danach sollen Newsdienste Verlage für kurze Textausschnitte aus Presseartikeln – sogenannte Snippets – auf deren Seiten vergüten. Kritik hagelt es auch für Artikel 13 - jetzt Artikel 17 - , der schon mehrfach aufgeweicht wurde, um Kritiken zu begegnen: Er sieht eine Haftung kommerzieller Plattformen wie Youtube für unautorisiertes Hochladen urheberrechtlich geschützter Werke durch Nutzer vor.

Valentina Moscon, Referentin am Münchner Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb, und Direktor Reto M. Hilty haben die Auswirkungen der geplanten Reform bereits in einem frühen Stadium des Gesetzgebungsverfahrens analysiert und nun mit der aktuellen Beschlussvorlage verglichen. Ihr Fazit: Die Richtlinie verfehlt ihre zentrale Zielsetzung über weite Strecken.

Frau Moscon, werden Inhalte, die derzeit auf Youtube, Facebook und Instagram hochgeladen werden, mit der Verabschiedung dieser Richtlinie in Zukunft illegal?

Valentina Moscon: Es kann sein. Artikel 13, der in der aktuellen Fassung zu Artikel 17 wurde, hat Auswirkungen auf Inhalte, die von Nutzern hochgeladen werden. Inhalte hochzuladen, ohne vom Rechteinhaber dazu autorisiert zu sein, ist zwar bereits heute im Prinzip illegal. Eine Grauzone bilden jedoch Inhalte, die von Nutzern kreativ verändert werden; solche werden heute in großen Mengen einfach hochgeladen. Artikel 13 - jetzt Artikel 17 - will nun auch dieses verbieten – was problematisch ist, weil solche Veränderungen urheberrechtlich erlaubt sein können, wie etwa eine Parodie, ein Zitat oder eine Satire.

Werden auch Meme zum Problem?

Reto M. Hilty: Es geht gerade zum Beispiel um Meme. Hier versehen Nutzer bestehende Bilder oder kurze Videosequenzen, die auch geschützt sein können, mit verfremdendem Text, und verbreiten die dann über soziale Netzwerke. Darin liegt eine heute sehr verbreitete Form der Meinungsäußerung und auch des Kulturschaffens. Wird solches Nutzerverhalten durch das Urheberrecht verboten, obwohl es weit verbreitet ist, droht dieses, seinen Zweck zu verfehlen. Es hindert neue Formen der Kreativität statt sie zu fördern. Dazu kommt, dass die meisten Nutzer Meme ja nicht aus kommerziellen Gründen verbreiten. Ihnen weiszumachen, sie müssten sich jetzt Lizenzen für die verwendeten Werke beschaffen, geht an der Sache vorbei.

Ein Großteil des Zwists dreht sich um Upload-Filter, die Provider zur Erkennung urheberrechtswidriger Inhalte einsetzen sollen. Wie können Provider der Monitoring-Pflicht bei nutzergenerierten Inhalten gerecht werden?

Valentina Moscon: Laut Richtlinienvorschlag sollen Provider primär individuelle Lizenzen mit den Rechteinhabern aushandeln. Haben sie das versäumt oder will der Rechteinhaber den Inhalt nicht lizenzieren, müssen sie den Inhalt sperren, wenn sie nicht zur Verantwortung gezogen werden wollen.

Reto M. Hilty: Genau deswegen wird es ohne Uploadfilter nicht gehen, auch wenn diese nicht explizit im Text des Richtlinienvorschlags erwähnt werden. Denn jeden Tag laden Nutzer unvorstellbare Mengen an Content hoch. Vieles davon ist urheberrechtlich nicht problematisch. Um potentielle Verletzungen zu finden, müssen die Plattformen jedoch den gesamten Inhalt prüfen – und das geht realistisch betrachtet nur automatisiert.

Nun schlagen CDU/CSU eine gesetzliche Lizenz für Deutschland vor. Ist das eine gute Idee?

Reto M. Hilty: Im Prinzip schon. Der Vorschlag kommt nur zu spät, denn wenn, hätte ihn die große Koalition auf europäischer Ebene einbringen müssen. Im Kern geht es um eine grundsätzliche Erlaubnis, jedoch verbunden mit einer Pflicht zur Vergütung, die kollektiv (und nicht individuell) eingezogen wird. Das legalisiert nicht nur dieses Nutzerverhalten, sondern hilft auch den Kreativen, da sie an solchen Ausschüttungen beteiligt werden müssen. Eine derartige Regelung darf Deutschland nun aber gar nicht einführen, weil sie vom Europäischen Recht nicht vorgesehen ist.

Bei der Reform geht es auch um finanzielle Interessen. So sollen Presseverlage an den Profiten großer Newsvermittler teilhaben. Dafür sieht Artikel 11 - jetzt Artikel 15 - ein neues Leistungsschutzrecht vor. Was wird es bewirken?

Valentina Moscon: Deutschland kennt dieses Leistungsschutzrecht bereits. Seine Einführung hat lediglich dazu geführt, dass die Verlage Google Gratislizenzen erteilen mussten, um den über jene Links, die sie eigentlich gerade verboten haben wollten, den sogenannten Traffic nicht zu verlieren. Spanien führte stattdessen eine zwingende Vergütungspflicht ein, und prompt beendete Google dort seinen Newsdienst.

Wird Google wirklich zahlen?

Reto M. Hilty: Verleger und der Newsdienste profitieren von einander. Ein Newsdienst ohne News funktioniert genauso wenig wie ein Online-Medium ohne den Traffic, der über Links generiert wird, welche News-Aggregatoren hinter die Snippets setzen. Die geplante Regelung trifft aber alle, also auch kleinere, weniger finanzstarke Provider. Die Regelung dürfte also den paradoxen Effekt haben, dass die Kleinen getroffen werden, während sich Google die Kosten problemlos leisten könnte. Aber nur Google wird in der Lage sein, dank seiner Marktmacht europaweit auf Gratislizenzen zu bestehen – wie bisher in Deutschland.

Wäre ein großer Schaden damit verbunden, wenn die ganze Richtlinie scheitern sollte?

Valentina Moscon: Ich denke, dass eine Ablehnung neue Chancen eröffnen würde. Es wäre für Europa wichtig, eine Richtlinie zu erhalten, die die ursprünglichen Ziele der Reform umsetzt. Diese sind im Verlaufe der hitzigen Debatten aber teilweise unter den Tisch gefallen.

Reto M. Hilty: Die Richtlinie enthält durchaus auch sinnvolle Ansätze, was dem EU-Parlament die Entscheidung am 26. März nicht einfacher macht. Nur muss man sich bewusst sein, dass die Annahme dieser Richtlinie dazu führen dürfte, dass es wieder viele Jahre dauern wird, bis jene Reformen in Angriff genommen werden, die erforderlich wären, damit Europa technologisch (z.B. mit Bezug auf die künstliche Intelligenz) nicht zurückfällt.

Gab es denn in der Vergangenheit Fälle, wo eine mit Kommission und Rat abgestimmte Vorlage am Schluss an der Ablehnung des EU-Parlaments scheiterte?

Reto M. Hilty: Die ebenfalls sehr umstrittene Richtlinie zur Vereinheitlichung der Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen lehnten die Parlamentarier im Juli 2005 wider Erwarten mit überwältigender Mehrheit ab, obwohl zuvor alle davon ausgegangen waren, man habe sich auf einen Kompromiss geeinigt.

Valentina Moscon: Das EU-Parlament überraschte auch im Jahr 2012. Kurz zuvor waren im Februar in eisiger Kälte nahezu 50.000 Demonstranten gegen das Anti-Piraterie-Abkommen ACTA auf die Straße gegangen. Diesem Druck beugte sich das Parlament damals.

(Michaela Hutterer/BA)