Auf Anordnung der Regierung:

Soziale Netzwerke sperren Atheist Republic und Gründer Armin Navabi aus Indien aus

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Indische Flagge
Indische Flagge

Die Non-Profit-Organisation (NPO) Atheist Republic und deren Gründer Armin Navabi stecken knietief im indischen Exekutivsystem fest. So tief, dass ihr Fall sogar Teil einer Verhandlung vor Indiens Verfassungsgericht ist. Seit einigen Monaten können indische Nutzer*innen weder auf Navabis Facebookseite noch auf die von Atheist Republic zugreifen. Wie konnte das passieren?

Angefangen hat alles mit dem Kunstprojekt "Blasphemous Art" (Blasphemische Kunst), das Atheist Republic im September vergangenen Jahres gestartet hatte: Figuren aller größeren Weltreligionen und Kulturen werden darin in sex-positiver Weise überzeichnet, darunter auch die indische Gottheit Kali. Bereits im ersten Monat wurden zahlreiche Beschwerden gegen die NPO bei indischen Gerichten eingereicht. Einige davon kamen von hochrangigen politischen Akteuren, so Susanna McIntyre, Präsidentin und CEO von Atheist Republic. Die gesamte Twitterseite der NPO war zeitweise in Indien gesperrt.

Im März 2021 folgte die vollständige Demonetarisierung des YouTube-Kanals aufgrund von "gefährlichem oder hasserfülltem Content". Da YouTube allerdings nicht spezifizierte, welche Inhalte darunter fallen, versuchte sich Atheist Republic durch das blinde Löschen von über 500 Videos an der Schadensbegrenzung. Doch vergebens, im Juni lehnte die Plattform die Wiedereinführung der Monetarisierung ab.

Besonders betroffen, beziehungsweise vollständig dezimiert, ist die Facebookpräsenz der NPO in Indien. Nutzer*innen in Indien können weder auf die Seite von Atheist Republic noch auf die von Armin Navabi zugreifen.

Facebook-Fehlermeldung
Aus Indien kann man die Atheist Republic-Facebookseite nicht aufrufen.
(© Screenshot: Atheist Republic)

Auch die Website der NPO ist von manchen Providern gesperrt, es erscheint ein einziger Satz Text, der der Besucher*in mitteilt, dass diese Seite aufgrund einer Anordnung des indischen Kommunikationsministeriums gesperrt ist.

Fehlermeldung auf der Website von Atheist Republic
"Diese Website/URL wurde auf Anweisung des indischen Departments für Telekommunikation blockiert." (© Screenshot: Atheist Republic)

Diese Reichweiteneinschränkungen sind das Resultat zahlloser Beschwerden von Anwält*innen und Zivilist*innen bei Indiens "Cyber-Polizei". Diese Beschwerden, die sich auch gegen Susanna McIntyre richten, bezichtigen die Inhalte von Atheist Republic der "willentlichen Verletzung religiöser Gefühle". Ein Anwalt beschuldigte in seiner Klageschrift gar Twitter der Komplizenschaft, da die Plattform den indischen Anti-Blasphemie-Gesetzen nicht nachkomme und die "verletzenden" Inhalte nicht entferne. McIntyre entgegnete der Beschwerde-Lawine: "Behördliche Schikane wird Atheist Republic nicht davon abhalten, weiter für Meinungs- und Ausdrucksfreiheit auf der Welt zu kämpfen."

Von oberster Stelle

Selbst die Exekutive Indiens scheint ihre Finger in diesem diffusen Spiel der politischen Kräfte zu haben: Die Facebookseite der Organisation sowie Navabis persönliche wurden durch Anordnung der Regierung oder eines ihrer Ministerien geblockt, wie Susanna McIntyre bestätigt. Über Artikel 69A des Information Technology Act, die "geheime Sperranordnung", wie sie gemeinhin genannt wird, kann die Exekutive Inhalte blockieren lassen und ihre Gründe dafür hinter dem Argument nationaler Sicherheit verbergen.

Auch eine Right to Information-Anfrage – dem indischen Pendant zu einer Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz – kann eine Anordnung nach Artikel 69A nicht knacken. Ob eine richterliche Anordnung für die Sperrung bestand, konnte McIntryre nicht beantworten. Damit wird Atheist Republic von der indischen Exekutive als Risiko für die Integrität der öffentlichen Ordnung eingestuft.

Das Metaproblem des Internets

Besonders schmerzhaft ist neben der Sperrung der Inhalte in Indien vor allem die Tatsache, dass Armin Navabi nicht einmal mehr Privatnachrichten mit indischen Nutzer*innen austauschen kann. Denn über die Jahre haben er und seine Organisation nicht einfach nur Apostat*innen vernetzt, sondern auch Freund*innen auf dem indischen Subkontinent gewonnen. Und Facebook bekleidet in Indien beinahe ein Monopol, wenn es um digitale Kommunikation geht: es ist der größte nationale Markt des Plattformunternehmens.

Fehlermeldung beim Kontaktversuch mit Armin Navabi über den Facebook-Messenger
Auch per privater Facebook-Nachricht kann man Armin Navabi nicht erreichen.
(© Screenshot: Atheist Republic)

Aus globaler Perspektive erscheinen diese Geschehnisse paradox: Ein US-amerikanisches Unternehmen, das sich die Informations- und Meinungsfreiheit auf die Fahne geschrieben hat, sperrt einen kanadischen Aktivisten und eine US-amerikanische Non-Profit-Organisation für Menschen in Indien, auf Anordnung eines Ministeriums in Indien. Gleichzeitig fragt sich ganz Europa, wie man Facebook dazu bringen kann, medizinische Desinformation und autoritäre Agitation zu bekämpfen, ohne allzu sehr an der Anonymität des Internets und dem Telekommunikationsgeheimnis zu rütteln.

Hier zeigt sich das Metaproblem Sozialer Netzwerke, ja des Internets ganz allgemein: Es ist eine supranationale Technologie. So wie es kein europäisches Facebook gibt, gibt es auch kein indisches Facebook, sondern lediglich eine diffuse Binärstruktur, die kein Verständnis für das Konzept von Landesgrenzen hat. Wie soll man nationale Gesetzgebung auf eine Technologie anwenden, die per Definition global ist? Und wie reagieren wir, wenn die Mittel, die europäische Nationalstaaten von den Plattformen einfordern, nämlich Moderation und die Möglichkeit der Sperrung von hasserfüllten oder volksverhetzenden Inhalten, von anderen Nationalstaaten bereits zur Einschränkung unerwünschter Meinungen verwendet wird?

Facebook jedenfalls hat keinerlei Interesse daran, nicht mit den indischen Behörden zu kooperieren, ist doch Indien mittlerweile die Nation mit den meisten Nutzer*innen überhaupt – noch vor den USA. Schon öfter war die Zusammenarbeit des Netzwerks mit der regierenden hindu-nationalistischen Partei Indiens der Anlass für scharfe Kritik.

Der Fall Atheist Republic vor dem Verfassungsgericht

Mittlerweile beschäftigt sich sogar Indiens Verfassungsgericht mit dem Fall Atheist Republic. Wie die NPO im Februar erfuhr, sind Navabis blasphemische Aussagen Gegenstand einer Verhandlung vor dem Verfassungsgericht, die klageführenden Anwält*innen wollen Sozialen Netzwerken ein strenges regulatorisches Korsett anlegen und eine Exekutivkomission von Expert*innen im Bereich Hassrede etablieren.

Dem entgegegnete Atheist Republics Präsidentin Susanna McIntyre:

"Ich glaube, dass Blasphemie mehr ist als nur eine valide Form des Protests. Ich glaube sogar, dass es einen persönlichen ethischen Imperativ gibt, blasphemisch zu sein. Denn Blasphemie entzündet den Funken der Konversation, ermöglicht die Reflexion kultureller Tabus und bietet eine völlig einzigartige Möglichkeit, Menschen zu veranschaulichen, dass die Freiheit, Grenzen zu überschreiten, unendlich wertvoll ist.

Die organisierten und perpetuierten Versuche, uns persönlich oder justiziell zu schikanieren, werden Atheist Republic nicht davon abhalten, religiösen Konservativismus überall auf der Welt zu kritisieren. Im Gegenteil, in Solidarität mit all jenen, die für Meinungsfreiheit kämpfen, werden wir weiterhin über die Götter lästern. Vor allem in Solidarität mit allen Atheist*innen auf der Welt, die nicht die Privilegien genießen, die uns (bezogen auf die sich auf Blasphemie ausdehnende Meinungs- und Redefreiheit in den USA; Anmerkung des Autors) vergönnt sind."

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