(hpd) In dieser Interview-Serie geht es seit zehn Wochen um den Einfluss der Europawahl auf Menschenrechte und selbstbestimmtes Leben und Sterben.
Zum Abschluss befragten wir Frieder Otto Wolf, den Präsidenten des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD) und der Humanistischen Akademie Deutschland. Wolf lehrt Philosophie an der Freien Universität Berlin und war von 1994 bis 1999 für Bündnis 90/Die Grünen Mitglied des Europäischen Parlaments.
Hier geht er auf populistische Entwicklungen und Potenziale für eine humanistische Europapolitik.ein.
Hallo Frieder Otto Wolf,
was macht der Humanistische Verband zur Europawahl und warum ist das für Sie ein wichtiges Thema?
Frieder Otto Wolf: Wir haben uns Mühe gegeben, die Wahl zum Europäischen Parlament genauso ernst zu nehmen wie die Wahl zum Deutschen Bundestag. Alle uns wichtigen Fragen haben wir an die wichtigsten kandidierenden Parteien gerichtet, deren Antworten eingeholt und entsprechend veröffentlicht. Damit konnten wir weit über den Humanistischen Verband Deutschlands hinaus zusätzliche Kriterien an die Hand gegeben, um sich bei diesen wichtigen Wahlen zu entscheiden.
Leider herrscht aber auch unter Menschen in Deutschland, die nicht religiös sind, der Eindruck vor, die europapolitische Ebene sei nicht wirklich wichtig. Deswegen wird wahrscheinlich die Wahlbeteiligung wieder gering sein. Gerade in den wichtigen Bereichen der Gleichbehandlung der Weltanschauungsgemeinschaften und der Auflösung der traditionellen Vermischungen von Staat und Kirchen gibt es in anderen Mitgliedstaaten der EU aber weit fortgeschrittene Entwicklungen, die sich dann auch gelegentlich auf der europäischen Ebene Ausdruck verschaffen. Das sollten wir nutzen, um auch in Deutschland endlich im 21. Jahrhundert anzukommen und einige alte Zöpfe abzuschneiden, wie das kirchliche Arbeitsrecht. Dabei kann europäische Politik hilfreich sein.
Laut Eurobarometer glauben 100 Millionen Menschen in der Union nicht an einen Gott. Das muss deshalb auch auf dieser Ebene immer wieder deutlich gemacht werden, wo in praktischen und politischen Konsequenzen der klare Dissens zu den religiösen Kräften auftritt.
Heißt das, der HVD engagiert sich auch außerhalb von Wahlkampfzeiten in der Europapolitik?
Unser Verband ist als Mitglied der Europäischen Humanistischen Föderation (EHF) europaweit im Gespräch mit den Schwesterorganisationen in anderen Ländern. Die EHF setzt sich auf EU-Ebene für die Verwirklichung säkularer Grundsätze in Europa ein und kämpft gegen religiöse Privilegierungen. Wir beteiligen uns hier an den Initiativen der EHF zur Durchsetzung der Gleichbehandlung von Religionsgemeinschaften und anderen Weltanschauungsgemeinschaften. Ferner stehen wir im ständigen Austausch und regelmäßiger Kooperation mit den humanistischen Verbänden in den Nachbarländern.
Als Dachverband auf europäische Ebene sind die MitarbeiterInnen der EHF eine unverzichtbare Interessenvertretung vor Ort, also bei den Institutionen der Europäischen Union und anderen Schlüsselstellen wie dem Europarat. Sie helfen dabei, dass unsere Belange auch dort im Blick bleiben, wo wir als Bundesverband an unsere Grenzen stoßen, z.B. durch Informationsaustausch, Stellungnahmen gegenüber den Institutionen oder eigene Veranstaltungen.
Erst am vergangenen Wochenende hat es im Brüsseler Rathaus eine Konferenz zum Thema gegeben, wie humanistischen Ideen, säkulare Positionen und Menschenrechte generell durch den in den letzten Jahren gewachsenen politischen Extremismus in fast allen EU-Staaten gefährdet werden. Im vergangenen Jahr gab es auch mehrere konkrete Ereignisse, wo Tätigkeit notwendig wurde: die Abstimmungen um die sogenannten Estrela- und Lunacek-Berichte sowie der besorgniserregende Zuspruch für die christlich-konservative Bürgerinitiative „One of Us“ zählen dazu. Zusammenarbeit findet aber auch über den Informationsaustausch und mediale Kommunikation hinaus statt, wenn wir etwa im Rahmen koordinierter Projekte in Kontakt mit den deutschen Abgeordneten im Europäischen Parlament treten.
Wir beobachten auch die Benachteiligung der EHF gegenüber insbesondere den christlichen Kirchen im Rahmen des in Artikel 17 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union vorgesehenen Dialogs mit ihren Institutionen.
Schließlich gibt es auch die persönliche Begegnung zwischen den Mitgliedern der in der EHF vertretenen Verbände, damit sich zum Beispiel konfessionsfreie Jugendliche aus den verschiedenen EU-Ländern kennenlernen und feststellen können, dass es junge Humanistinnen und Humanisten in anderen Gegenden gibt und was sie gemeinsam bewegt.
Sicher wäre es wünschenswert, dass wir hier noch mehr tun könnten, in jeder Hinsicht. Angesichts unserer begrenzten Mittel wäre es dafür nötig, dass sich mehr konfessionsfreie Menschen darüber klar werden, dass Europa ein zutiefst humanistisches Projekt ist. Und, so wie viele andere gesellschaftliche Kräfte international denken und handeln, sollten wir das ebenfalls tun. Das kostet Kraft und Geld, aber ohne geht es eben nicht.
Europa Parlament in Straßburg: Ansicht von Ost und West
Fotografie, Illustration © Evelin Frerk
Wo sehen Sie Ansätze für eine humanistische Politik auf europäischer Ebene?
Zunächst einmal sollte man sich klarmachen, dass der Schwerpunkt der EU-Politik in der Wirtschafts- und Währungspolitik und den damit unmittelbar zusammenhängenden Bereichen liegt. Dennoch gibt es viele Formen der Kooperation und der gegenseitigen Beeinflussung zwischen den Mitgliedsländern, die für eine humanistische und säkulare Politik von Interesse sind.
Die Tatsache, dass bei der Verhandlung über den Lissabon-Vertrag der von deutscher Regierungsseite stark gemachte Wunsch nach einem Gottesbezug im geplanten Verfassungsvertrag nicht durchgekommen ist, sondern gleichberechtigt auf christliche und humanistische Tradition Europas verwiesen wurde, lässt deutlich erkennen, dass hier noch ein ganz erhebliches Potenzial in Richtung eines modernen, aufgeklärten und eben auch humanistischen Selbstverständnisses der europäischen Völker und der UnionsbürgerInnen besteht.