Rosenmontagszug in Düsseldorf

Tilly sagt Nationalisten den satirischen Kampf an

Lange war nicht klar, ob der Rosenmontagszug in Düsseldorf würde stattfinden können. Letztlich musste er jedoch nur zeitlich nach hinten verschoben werden, der angekündigte Sturm tobte sich bereits am frühen Morgen aus, danach hielt das Wetter. So schlug der – Dank des Wagenbauers Jacques Tilly – politischste der deutschen Karnevalsumzüge auch in diesem Jahr weit über die Landesgrenzen hinaus hohe Wellen.

Der Künstler kommentierte erstmals seine Wagen live im WDR. Gemäß der Karnevalszahl sind elf jedes Jahr gesetzt. Einen zwölften behält sich das Tilly-Team bei kurzfristigen wichtigen Ereignissen vor. Weltpolitisch sei diesmal aber nichts Großartiges passiert. Man greife Missstände und Skandale auf und das, was in der Gesellschaft schieflaufe. Das werde dann in Bildformeln mit Humor "satirisch aufgespießt", die Wagen sollen polarisieren. Immer wieder bekomme der Streitkultur-Anhänger für seine Werke Morddrohungen und einen "Shitstorm ohne Ende", mit Kritik könne er aber an und für sich gut umgehen, sie sei ein Geschenk. Der Narr müsse hier angstfrei sein und seinen Job machen. Diesmal hatte sich der Bildhauer vor allem den international grassierenden Nationalismus zur Brust genommen. Die rechten Tendenzen in vielen demokratisch regierten Ländern bereiten ihm zunehmend Sorgen.

Foto: © grossplastiken.de
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Der erste Mottowagen widmete sich jedoch zunächst dem kirchlichen Missbrauchsskandal. Die Kirche sei seit 30 Jahren dabei, sich selbst zu schützen. Der Täter könne nicht selbst aufklären, findet Tilly, hier seien die Staatsanwaltschaften gefragt. Der Wagenbauer ließ es nicht aus, seine eigene agnostisch-atheistische Weltanschauung zu erwähnen.

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Der zweite hatte den Mord an dem saudischen Journalisten Jamal Khashoggi zum Thema. Dieser soll mutmaßlich im Auftrag von "Prince Bonesaw" bin Salman bei lebendigem Leib zersägt worden sein. Dies sei "ein unfassbares Verbrechen", der eigentliche Skandal sei aber, dass der US-Präsident, dargestellt als "Schmutzengel", dem Prinzen aus Saudi-Arabien im Eigeninteresse trotzdem den Rücken stärke. "Vor harten Dingen dürfen Satiriker nicht die Augen verschließen", so der Bildhauer im WDR. Trump sei ein Anti-Demokrat und Menschenrechtsfeind, das sei spätestens seit diesem Vorfall klar.

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Als nächstes konnten die Zuschauer einen Wagen bestaunen, der die AfD thematisierte, die jetzt in Teilen vom Verfassungsschutz zum Verdachtsfall erklärt wurde. Die Partei habe einen Radikalisierungsprozess hinter sich, sagte Jacques Tilly, und klare Verbindungen ins rechtsextreme Lager. Nettes Detail: Die Badeente in Hitler-Optik.

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Doch nicht nur in Deutschland, auch in Italien finden rechtsextreme und nationalistische Positionen immer mehr Zulauf. Deswegen bekam auch der dortige Innenminister Matteo Salvini einen eigenen Wagen, der den Schwulenfeind als "wunderbare Tunte" (Tilly) zeigt. Der Wagenbauer nennt ihn "den Trump Italiens". "Total traurig" sei diese Entwicklung in dem weltoffenen und liberalen Land, in das Salvini das Gift von Hass und Abgrenzung gieße. Er agiere wie ein Mafia-Boss, was ihm ein entsprechendes Tattoo einbrachte (siehe Foto). Der dargestellte Minister teilte ein Bild seiner Karikatur auf seinem Twitter-Account und gab vor, sich darüber zu amüsieren. In Italien wird heiß darüber diskutiert, was Jacques Tilly am Dienstag eine Interviewanfrage des italienischen Staatsfunks einbrachte.

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Innenpolitisch nahm der Künstler die Große Koalition aufs Korn. SPD und CDU suchten beide nach einem neuen Identitätskern und stünden sich dabei im Weg. "Vielleicht wäre es besser, die GroKo irgendwann auf Dauer dann doch zu beerdigen", so gebe es nur Stillstand. Es habe zunächst einen anderen Wagen zur SPD gegeben, der wurde aber aufgrund neuer Entwicklungen verschrottet. Das Tilly-Team arbeitet immer aktuell, wenn etwas Wichtiges passiert, so kann es auch mal sein, dass die Nacht zum Rosenmontag durchgearbeitet wird.

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Die sechste Großplastik zeigte Greta Thunberg, den "neuen Shootingstar der Klimaschutzszene", wie der Schöpfer im WDR sagte. "Fridays for Future" sei eine wunderbare Streikbewegung. Die mutige junge Schwedin mache den Erwachsenen Beine für ihre Zukunft, klimatechnisch sei es "fünf vor zwölf". Gestern entschloss sich der Düsseldorfer Bildhauer kurzfristig, diesen Wagen nicht wie üblich gleich wieder zu zerstören, sondern ihn der Schülerbewegung als Kundgebungsmittel zur Verfügung zu stellen.

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Danach folgte ein Herzensanliegen Jacques Tillys: Er sorgt sich sehr um den schleichenden Abbau der Demokratie in Polen und steht in regem Kontakt mit einer dortigen Demokratiebewegung. 15 Vertreter liefen als Fußtruppe in Sträflingskleidung hinter dem Wagen her, der zeigte, wie Jaroslaw Kaczynski das liberale Polen ans Kreuz bindet. Der Chef der PiS-Partei sei dabei, das osteuropäische Land in eine Diktatur beziehungsweise einen Gottesstaat zu verwandeln.

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Der achte von Tillys Wagen stellte Trump und Putin dar, die die atomare Abrüstung aufgegeben haben, gehalten vom Tod und umgeben vom brennenden Europa. "Zutiefst irrational" findet der Bildhauer das, Trump sei "einfach eine Abrissbirne". "Das ist keine Politik, einfach jede Art von Kooperation und internationaler Zusammenarbeit zu streichen."

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Bei der plastischen Karikatur, die dann folgte, hatte der Düsseldorfer Künstler vorab schon damit gerechnet, dass sie die umstrittenste sein würde. Deshalb blieb sie als einzige bis unmittelbar vor Start des Zuges verhüllt: Bernd – Verzeihung, Björn – Höcke als Kind von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels. Es dürfe jeder hineininterpretieren, was er wolle, aber es sei bekannt, dass der Fraktionsvorsitzende der AfD im Thüringer Landtag sich Sprache, Ideen und Begriffen des Nationalsozialismus bediene. Und es kam, wie es der Bildhauer hatte kommen sehen: Prompt am Dienstag folgte die Hass-Mail-Flut in Jacques Tillys Postfach: Er solle sich darauf gefasst machen, nach der Machtübernahme vor ein Volksgericht gestellt zu werden, ein Voodoopriester verfluchte ihn.

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Dann wurde es wieder international: Ein weiteres Thema, das den Wagenbauer mit pro-europäischen Aktionsgruppen verbindet, ist der Brexit. Der Düsseldorfer hält Letzteren für "total unbritisch" und einen "Albtraum", der alles lähme, schlimm sei für die Wirtschaft und möglicherweise zur Verarmung des Landes führen könne.

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Den Schluss bildete der Dieselskandal. Der bildlich gebeutelte Dieselfahrer werde "verarscht", zehn Millionen Betroffene würden faktisch enteignet und alle seien zu Recht sauer.