Umstrittene Spähsoftware

Apple rudert zurück – aber wohin?

Nach breiten Protesten von Computerfachleuten, Journalisten und aus der Zivilgesellschaft vertagt Apple seine Vorhaben, iPhones auf kompromittierende Nutzerdaten zu analysieren. Wie die Sache ausgeht, ist offen – und die Folgen der Entscheidung sind weitreichend.

Es sei alles ein Missverständnis, ließ Apple seinen Senior Vice President für Software-Entwicklung verlautbaren. Keine Backdoor sei es, die Apple in sein iPhone-Betriebssystem einbauen wollte. Einzig auf ganz bestimmte Missbrauchsdarstellungen (CSAM) wollte man die Smartphone-Speicher durchforsten. Und auch nur, wenn User sie für den Upload in die iCloud freigeben. Und nur anhand von Hashwerten. Und zunächst nur in den USA, großes Ehrenwort. Wer sollte dagegen etwas haben.

Für die gute Sache, so wurde den Mitarbeitern vermittelt, habe es sich gelohnt, in vielen Überstunden eine clevere Lösung zu entwickeln. Applaus, Schulterklopfen, wir tun das Richtige. In der Öffentlichkeit werde es nun ein paar Tage lang das übliche "schrille Gekreische" einer "Minderheit" geben, das könne man aushalten.

Doch die Ablehnung kam massiver, als Apple es sich ausgemalt hatte: Dies sei eine voll ausgereifte Spionagemaschine, die mit wenigen Parametern auch auf andere Ziele gerichtet werden könne. Und warum sollte man den Versprechungen Apples diesmal trauen, sich unter keinen Umständen den Begehrlichkeiten von Regierungen zu beugen, nach Terrorismus oder organisiertem Verbrechen, nach LGBTQ-Inhalten oder Separatismus zu fahnden? Hatte das Unternehmen nicht erst kürzlich auf Druck des FBI hin von seinen Plänen einer kompromisslosen Ende-zu-Ende-Verschlüsselung Abstand genommen?

Ein rein logisches Argument sprach zudem gegen die behauptete Zielrichtung: Wenn man eine Überwachungssoftware öffentlich ankündigt und dazu mit einem einfachen Aus-Schalter versieht, dann kann man es mit dem Ziel der Observation nicht besonders ernst meinen. Und selbst wenn eine Salamitaktik der langsamen Verschärfung folgte, müsste man davon ausgehen, dass Täter längst andere Wege kennen, ihre Daten sicher zu erstellen, zu speichern und auszutauschen.

Obendrein hatte Apple noch ein weiteres übergriffiges Tool entwickelt: Textnachrichten von Minderjährigen sollten durch eine Software auf Nacktheit analysiert und Bilder gegebenenfalls verschwommen dargestellt werden. Die Eltern-Accounts würden automatisch vom Geschehen benachrichtigt werden. "Wie soll man unter solchen Umständen noch unbescholten durch die Pubertät kommen?", witzelte jemand auf Twitter. Und wieder finden sich schnell neue Agriffsvektoren auf Kinderrechte – schließlich passiert mehr Missbrauch innerhalb von Familien als durch Fremde.

Apples strikte Privacy-Politik ist offenbar Geschichte

Das Gesamtbild rundet sich ab: Die strikte Privacy-Politik, mit der Apple seinen Markenkern auch gegen Widerstände verteidigt hatte, ist offenbar Geschichte. "What happens on your iPhone, stays on your iPhone" – dieser Werbespruch ist obsolet und der Vertrauensbruch nicht einfach wiedergutzumachen.

Ein Offener Brief von über 90 Organisationen formulierte denn auch zu den Maßnahmen: "Wir sind besorgt, dass sie zur Zensur geschützter Meinungsäußerungen eingesetzt werden, die Privatsphäre und die Sicherheit von Menschen auf der ganzen Welt bedrohen und katastrophale Folgen für viele Kinder haben werden." Eine Online-Petition der Electronic Frontier Foundation sammelte in kurzer Zeit über 25.000 Unterstützer.

Auch Edward Snowden meldete sich zu Wort (seinen lesenswerten Beitrag habe ich hier übersetzt). Er sieht in den Plänen eine gefährliche Verschiebung des künftigen Industriestandards: "Die neue Software von Apple wird, gleich wie man sie rechtfertigen möchte, dauerhaft neu definieren, was dir gehört und was denen gehört."

Vor allem aber dürfe man sich auf ein Spiel gar nicht erst einlassen, das Politiker*innen und Sicherheitsfans immer wieder virtuos spielen: Das Lied vom guten Zweck. Man dürfe doch die digitale Sphäre nicht unseren Feinden wehrlos überlassen, die Übles im Schilde führten. Nein, so Snowden, es spiele überhaupt keine Rolle, welcher gute Zweck angeführt (und allzu oft vorgeschoben) werde und der Widerspruch dagegen müsse sich auch nicht erst legitimieren. Denn es gelte das Prinzip, dass eigene Daten niemanden etwas angehen, dass es keinen Generalverdacht geben dürfe. Punkt.

Wer sich an diesem Prinzip vergeht, so der Gedanke, öffne die Büchse der Pandora – und Apple sei nach diesem Präzedenzfall nicht mehr Herr des weiteren Geschehens. "Apples Vorhaben, seine Smartphones dazu zu bringen, dass sie ihre Besitzer bespitzeln und verraten, ist der Beginn einer dunklen Zukunft, die mit dem Blut der politischen Opposition in hundert Ländern geschrieben wird, die dieses System bis zum Äußersten ausnutzen werden."

Ob diese bürgerrechtliche Auffassung sich dauerhaft gegen den stetigen Drang, die größtmögliche technische Kontrolle zu erlangen, durchsetzen kann, steht derzeit auf dem Spiel. Der Einsatz ist das Wissen (oder Nichtwissen) über Milliarden Menschen, ihre Gewohnheiten und Denkweisen, ihre Handlungen und Komplotte. Und Wissen ist Macht – das ist in den USA so bekannt wie in China.

Apple jedenfalls – so die vorläufige Pointe – hat vorerst eingelenkt. Ob es dem Konzern darum geht, die Sache auszusitzen und bald einen neuen Aufschlag zu machen oder er versucht, das Projekt möglichst gesichtswahrend zu beerdigen, ist offen. Der Druck zur Überwachung, das scheint sicher, wird nicht nachlassen. Aber mit den Protesten hat sich die Beurteilung verändert, was für den Konzern gefährlicher ist: Sein kostbares Markenimage vollends zu ramponieren (was zu nicht geringem Teil bereits geschehen ist) oder sich gegenüber den mächtigen Strafverfolgern und der moralisch mächtigen Kinderschutz-Lobby angreifbar zu machen.

Wir werden sehen, wohin die Reise geht. Wir erfahren aber mit Genugtuung, dass Verbrauchermacht und Zivilgesellschaft hier offenbar einiges bewegen können.

Nachtrag in eigener Sache:

Kurz vor Apples Ankündigung seiner Überwachungspläne hatte das EU-Parlament eine Entscheidung zur Legalisierung solcher Praktiken in der EU getroffen. Die Giordano-Bruno-Stiftung hatte mit einer "Offenen-Brief-Aktion" dagegen protestiert. Im Herbst steht nun eine nochmalige Verschärfung dieser Richtlinie zur Abstimmung, nämlich die obligatorische Verpflichtung von Providern und Messengerdiensten zu solcher Überwachung. Auch dagegen machen wir uns stark und sammeln auf Openpetition.org weiterhin Unterschriften für den Offenen Brief. Wir würden uns freuen, dieser Tage auf über 1.000 Unterschriften zu kommen!

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