Nach der Berliner "Nachwahl" 2023:

Das Berliner Neutralitätsgesetz bleibt!

Derzeit läuft in Berlin alles auf eine Koalition von CDU und SPD hinaus. Der Koalitionsvertrag ist geschlossen und sein Bestand hängt nur noch vom Ausgang einer Abstimmung unter den SPD-Mitgliedern ab. Bilden CDU und SPD die vereinbarte Koalition, so steht fest, dass das Berliner Neutralitätsgesetz vollständig erhalten bleibt.

Langjährige Forderungen nach dessen Abschaffung aus dem linksidentitären Lager, von islamis(tis)cher Seite und von Personen, die jede Form von Invidualismus verabsolutieren, wandern dann in den Orkus.

Bekanntlich gebietet es die grundgesetzlich vorgeschriebene Neutralität des Staates in religiösen und weltanschaulichen Angelegenheiten, dass Neutralität auch für die für den Staat handelnden Personen gilt. Die Erkenntnis hat sich durchgesetzt, dass sie ihre religiöse Gesinnung nicht mit auffälligen religiösen Symbolen oder in religiös konnotierter Kleidung während ihrer Dienstzeit zur Schau stellen dürfen.

Koalitionsvertrag von CDU und SPD zum Neutralitätsgesetz

Zum Neutralitätsgesetz haben sich CDU und SPD im Koalitionsvertrag folgendermaßen geeinigt: "Das Neutralitätsgesetz passen wir gerichtsfest an die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts an." Übersetzt für die politische Praxis bedeutet diese Aussage: Das Neutralitätsgesetz mit seinen Regelungsbereichen: "Schulen" (mit Ausnahme der berufsbildenden Schulen), "Polizei", "Rechtspflege" und "Justizvollzug" bleibt uneingeschränkt erhalten; es wird nicht abgeschafft. Bereits in ihren Wahlaussagen hatten sich die beiden Parteien in diesem Sinne geäußert. Die CDU: "Das Neutralitätsgesetz werden wir rechtssicher bewahren und damit die Schule als neutralen Raum schützen", und die SPD: "Anpassung des Neutralitätsgesetz im Lichte der aktuellen Rechtsprechung." Damit machten schon im Wahlkampf beide Parteien deutlich, dass eine Abschaffung des Neutralitätsgesetzes für sie nicht auf der Tagesordnung steht.

Anpassung des Neutralitätsgesetzes im Bereich "Schulen"

Die Rechtsprechung lässt den Koalitionspartnern keine andere Wahl: Sie werden bestimmte Änderungen im Schulbereich aufgrund gerichtlicher Entscheidungen nicht umgehen können. In einer (rechtskräftigen) Entscheidung vom 27. August 2020 hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) geurteilt, dass die im Berliner Neutralitätsgesetz geregelte sogenannte "abstrakte Gefahr" für den Schulfrieden beziehungsweise die staatliche Neutralität nicht ausreiche, um die Einstellung einer Person zu verhindern, die sich bei ihrer Bewerbung ausdrücklich dazu bekennt, während ihrer Dienstzeit in einer allgemeinbildenden Schule ein islamisch-religiös konnotiertes Kopftuch tragen zu wollen. Verlangt wird vom BAG das Vorliegen einer sogenannten "konkreten Gefahr". Eine konkrete Gefahr sahen weder das BAG noch das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (die Vorinstanz). Beide Gerichte bemängelten, dass es seitens der Schulbehörde an substantiierten Darlegungen dazu fehle, dass an Berliner allgemeinbildenden Schulen substantielle Konfliktlagen bestünden, die ihre Ursache im Tragen auffallender, religiös konnotierter Kleidungsstücke durch eine Lehrkraft hätten oder durch diese geschürt würden, und dass hierdurch die schulischen Abläufe und die staatliche Neutralität tatsächlich ernsthaft in einem Maße beeinträchtigt werden könnten, dass von einer konkreten Gefahr für diese Schutzgüter (Schulfrieden bzw. staatliche Neutralität) gesprochen werden könnte.

Das Verbot des Zeigens religiöser Symbole durch Lehrkräfte in Schulen während der Dienstzeit ist somit entgegen interessengeleiteter Fake News keineswegs vom Tisch; es werden allerdings andere Anforderungen an ein solches Verbot gestellt werden müssen als bisher.

Initiative PRO Berliner Neutralitätsgesetz: "Schonende Anpassung"

Die Initiative PRO Berliner Neutralitätsgesetz hat sich dazu mit einem Schreiben an die Koalitionsverhandlungsgruppen von CDU und SPD gewandt und eine "schonende Anpassung" des Gesetzes an die Vorgaben des BAG angemahnt.

Konflikte vermeiden – Einsatz von Lehrer*innen steuern

Im Einzelnen schreiben die Sprecher*innen der Initiative: "... bedarf es aus unserer Sicht einerseits einer schonenden Anpassung, die Sinn und Zweck des Gesetzes berücksichtigt, andererseits aber unbedingt ergänzend der Schaffung von Voraussetzungen einer präzisen Feststellung religiös motivierter Konflikte in den einzelnen Schulen." Betont wird, dass es unabdingbar sei, der Schulverwaltung als zuständiger Behörde bei der Einstellung von Lehrkräften die rechtlichen Möglichkeiten einzuräumen "Personen, die sich dazu bekennen, deutlich sichtbare religiöse Symbole auch während des Schulunterrichtes zeigen zu wollen, nicht in solchen Schulen einzusetzen, in denen (migrantische oder andere) religionsfreie Schüler*innen, alevitische Schüler*innen sowie muslimische Schüler*innen einem religiösen Anpassungsdruck und Mobbingmaßnahmen durch strengreligiöse Mitschüler*innen ausgesetzt sind".

Anwendungsbereich des Gesetzes ausweiten

Zudem weist die Initiative auf eine Forderung der Vereinigung der Leitungen berufsbildender Schulen in Berlin e.V. (BBB) vom 12. Januar 2018 hin, wonach das Berliner Neutralitätsgesetz an allen staatlichen Schulen im Land Berlin gleichermaßen gelten solle, so dass auch die Berufsschulen vom Geltungsbereich des Gesetzes erfasst werden, und regt dazu eine Gesetzesänderung an. Schon das BAG hatte 2020 die Herausnahme der Berufsschulen aus dem Geltungsbereich als nicht kohärent bezeichnet. Dieser gerichtliche Hinweis sollte unbedingt im Interesse der betroffenen Schüler*innen von der Politik berücksichtigt werden.

Die Initiative hat außerdem angeregt, eine vom früheren Justizsenator Behrendt (Grüne) eigenmächtig eingeführte Regelung für Gerichtsreferendarinnen, wonach diese im Justizdienst "während der Wahrnehmung hoheitlicher Belange offen religiöse Symbole zur Schau tragen dürfen" wieder abzuschaffen.

Koalitionsvertrag: Studie zu religiös begründeten Konflikten

Hervorzuheben ist eine Passage im Koalitionsvertrag, wonach eine universitäre Studie veranlasst werden soll, "die umfassend vorhandene Konflikte in Schulen (wie Mobbing, Antisemitismus, Sexismus, Konflikte durch religiösen Konformitätsdruck, Queer- und Transfeindlichkeit und andere Diskriminierungsformen) untersucht und anschließend auswertet, welche pädagogischen Maßnahmen zu treffen sind". Das ist ein Fortschritt gegenüber der bisherigen Situation, war doch schon die Benennung von "Konflikten durch religiösen Konformitätsdruck" in manchen Grünen- und Linken-Kreisen tabu und wurde mit dem Verdikt des "antimuslimischen Rassismus" belegt. Mit der angekündigten Studie würden – je nach Gestaltung der Untersuchung – Voraussetzungen dafür geschaffen, die vom BAG geforderte Darlegung "substantieller Konfliktlagen" möglich zu machen. In der bisherigen Regierungskoalition waren konkrete Vorhaben zu derartigen Untersuchungen und Feststellungen von religiös bedingten Konfliktlagen durch Grüne und Linke (etwa im Bezirk Neukölln) verhindert worden.

Es bleibt zu hoffen, dass es einer Koalition von CDU und SPD gelingt, die staatliche Neutralität in den Berliner Schulen zu stärken und denjenigen Schüler*innen Hilfe zu leisten, die durch strengreligiöse Mitschüler*innen aus religiösen Gründen gemobbt und in ihrer Lebensgestaltung unterdrückt werden. Das Schulressort wird aller Voraussicht nach an die CDU gehen, so dass an diesem Punkt mit positiven Ergebnissen zu rechnen ist.

Was aber wäre, wenn die beabsichtigte CDU/SPD-Koalition nicht zustande käme? Darüber sprechen wir, wenn bekannt ist, welche neuen Regierungskonstellationen sich bilden werden. Allzu Schlimmes für das Neutralitätsgesetz ist aber auch in einem solchen Fall nicht zu erwarten.

CDU nicht säkular geworden – Beispiel Religionsunterricht

Wer nun meinen sollte, die CDU wäre wegen ihrer Position zum Berliner Neutralitätsgesetz säkular geworden, irrt gewaltig. Die bittere Pille im Koalitionsvertrag: Der Religionsunterricht soll als Wahlpflichtfach und damit als ordentliches Schulfach ausgestaltet werden. Das widerspricht eindeutig dem Ausgang eines Volksentscheids in Berlin im Jahre 2009. Damals wurde die Einrichtung des Pflichtfachs Ethik gegen den erbitterten Widerstand der beiden großen Kirchen durchgesetzt. Ihre Kampagne "Pro Reli" ist seinerzeit krachend gescheitert. Religionsunterricht ist deshalb in Berlin lediglich ein freiwilliges Fach. Aber zu diesem Vorhaben ist noch nicht das letzte Wort gesprochen.

Trotzdem können alle grundrechtlich-freiheitlichen Menschen in einer Sache aufatmen: Das Berliner Neutralitätsgesetz bleibt!

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Der Versuch des bisherigen Berliner Senats, das Urteil des Bundesarbeitsgerichts durch das Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen, ist gescheitert: das höchste deutsche Gericht hat den Vorgang nicht zur Überprüfung und Entscheidung angenommen.

Stellungnahmen hierzu:

Initiative PRO Berliner Neutralitätsgesetz: Hände weg vom Berliner Neutralitätsgesetz

Terre des Femmes: Zur aktuellen Situation des Berliner Neutralitätsgesetzes

Frauen für Freiheit: Gegen Desinformationen islamischer Verbände zum Berliner Neutralitätsgesetz – Eine Klarstellung