Säkulare Grüne üben scharfe Kritik

Berliner Justizsenator höhlt Neutralitätsgebot aus

Vergangene Woche gaben die Richter des Bundesarbeitsgerichts der Klage einer kopftuchtragenden muslimischen Lehrerin statt und erklärten, dass sie ein pauschales Verbot des Tragens religiöser und weltanschaulicher Symbole im Unterricht trotz des Berliner Neutralitätsgesetzes für nicht zulässig halten. Eine Einzelfallentscheidung, die der Berliner Justizsenator Dirk Behrendt (Bündnis 90/Die Grünen) nun jedoch umgehend zum Anlass nahm, auch muslimischen Rechtsreferendarinnen das Kopftuch im Gerichtssaal zu erlauben. Die Säkularen Grünen zeigen sich entsetzt über die Entscheidung ihres Parteigenossen.

"Mit Erstaunen und Befremden haben wir zur Kenntnis genommen, dass Justizsenator Dr. Dirk Behrendt das Urteil des Bundesarbeitsgerichts über eine Entschädigungsleistung an eine Lehrerin zum Anlass nimmt, in seinem Geschäftsbereich das staatliche Neutralitätsgebot in Bezug auf religiöse Bekundungen während der Dienstausübung auszuhöhlen", erklärte die Berliner Landesarbeitsgemeinschaft der Säkularen Grünen heute in einem Brief gegenüber den Vorsitzenden des Landesverbands Berlin von Bündnis 90/Die Grünen.

"Die Zulässigkeit religiöser Symbole im Bereich der Justiz war nicht Gegenstand des BAG-Urteils. Insofern überschreitet der Senator ohne Koalitionsabsprache die Grenzen dessen, was für die Umsetzung des Urteils erforderlich ist. Das BAG hat, um dies ausdrücklich klarzustellen, das Berliner Neutralitätsgesetz nicht aufgehoben. Das Gericht hat es lediglich 'verfassungskonform' für den Bereich der Schulen ausgelegt. Das Neutralitätsgesetz behält somit in vollem Umfang weiter Gültigkeit. Wie bereits auch aus Entscheidungen des BVerfG deutlich wird, sind an die Zulässigkeit des Tragens religiöser Symbole im Justizbereich andere Anforderungen zu stellen als im Schulbereich", heißt es weiter im Schreiben der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Säkulare Grüne, das dem hpd vorliegt.

"Wäre das Gericht von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes überzeugt gewesen, hätte es das Bundesverfassungsgericht anrufen müssen. Nur das Bundesverfassungsgericht kann Gesetze des Bundes und der Länder für nichtig erklären. Genau das ist aber nicht geschehen. Der Senator tut aber so, als habe er freie Hand, das nach wie vor bestehende Neutralitätsgesetz nach eigenem Gusto außer Kraft zu setzen. Sein Verhalten stellt einen Verstoß gegen die Koalitionslinie dar, denn eine Vereinbarung zur Einschränkung oder Abschaffung des Neutralitätsgesetzes gibt es in der rot-rot-grünen Regierungskoalition nicht. Auch nicht für Personen im Vorbereitungsdienst. Die allgemeine öffentliche Empörung können wir daher sehr gut nachvollziehen. Wir interpretieren die Vorgehensweise von Dirk Berendt als Beendigung des inner-parteilich vor einiger Zeit geschlossenen "Burgfriedens" zum Neutralitätsgesetz, wonach bis zu einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung keine Maßnahmen zu einer eventuellen Änderung des Neutralitätsgesetzes eingeleitet werden. Der von Dirk Behrendt vollzogene Bruch getroffener Absprachen bedeutet, dass sich die LAG Säkulare Grüne an ihre seinerzeitige Zusage der Zurückhaltung ebenfalls nicht mehr gebunden fühlt."

Die Berliner Landesarbeitsgemeinschaft habe, so ist im Brief zu lesen, eine klare Haltung gegenüber dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts und unterstütze die Erklärung der Initiative PRO Berliner Neutralitätsgesetz. Das Land Berlin habe das Urteil des Bundesarbeitsgerichts in Bezug auf das Lehrpersonal zwar nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils zu respektieren, jedoch sei Rechtskraft bislang nicht eingetreten. Zu beachten sei ferner, dass seitens des Schulsenats angekündigt worden sei, den Rechtsweg zum Europäischen Gerichtshof beschreiten zu wollen.

"Die Säkularen Grünen würden eine solche höchstrichterliche Entscheidung des obersten europäischen Gerichts außerordentlich begrüßen" heißt es im Brief der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft der Säkularen Grünen. "Die Notwendigkeit einer Änderung des Neutralitätsgesetzes sehen wir nicht. Wir lehnen insbesondere die von Dirk Behrendt angestrebte Erweiterung des Personenkreises ab, dem das Tragen religiöser Symbole im Dienst gestattet wird. Dies käme einer faktischen Aufhebung des Gesetzes gleich. Wir sind in großer Sorge wegen der nach wie vor in großen Teilen von Vorstand und Fraktion des Berliner Landesverbands nicht vorhandenen Einsicht in die zu erwartenden Folgewirkungen einer Schleifung des Neutralitätsgesetzes. Wir machen Euch darauf aufmerksam, dass die Preisgabe religiöser Neutralität im öffentlichen Dienst erhebliche Folgewirkungen haben kann und auch haben wird. Evangelikale Anhänger (auch von Trump und Bolsonaro) warten nur auf neue Handlungsfelder. Die sollten wir ihnen nicht überlassen."

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