Kommentar

Nicht jedes Sprachverbot ist schlecht, aber dieses ist bescheuert

Seit gestern darf in bayerischen Behörden, an Schulen und in Universitäten nicht mehr gegendert werden. hpd-Autor Adrian Beck kritisiert diese Entscheidung.

Wir leben in gar kuriosen Zeiten: Seit 1. April darf an bayerischen Universitäten zwar gekifft, aber nicht mehr mit Asterisk (Sternchen) gegendert werden. Innenminister Joachim Herrmann stellte kürzlich eine Novelle der Geschäftsordnung vor, die die Nutzung von Asterisk, Doppelpunkt und anderen, spezifischen Gender-Frameworks in Behörden, Schulen und Hochschulen untersagt. Das ist bestenfalls Blödsinn und schlechtestenfalls Verfassungsbruch.

Zunächst ist festzuhalten: Ich bin nicht grundsätzlich dagegen, wenn ein Staat der Meinung ist, er müsse die Rede- und Ausdrucksfreiheit seiner Bediensteten einschränken. Es gibt Szenarien, in denen dies nicht nur legitim, sondern sogar geboten ist.

Einerseits gelten für Staatsbedienstete die gleichen Einschränkungen der Rede- und Ausdrucksfreiheit wie für die Gesamtbevölkerung, beispielsweise Leugnung des Holocaust und Zeigen verfassungsfeindlicher Symbole. Anders als in den Vereinigten Staaten existiert in Deutschland kein "Absolutismus der Redefreiheit" ("free speech absolutism"), auch unsere Gesetze bezüglich Verleumdung und übler Nachrede sind weitaus restriktiver. Es dürfte sich wohl kaum von der Hand weisen lassen, dass Aussagen, die der Allgemeinbevölkerung verboten sind, Staatsbediensteten gleich dreimal verboten sein müssen.

Andererseits – und hier nehmen wir eine humanistische Perspektive ein – lässt es sich nicht miteinander vereinbaren, Position für das Berliner Neutralitätsgesetz zu beziehen und gleichzeitig eine Einschränkung der Ausdrucksfreiheit für Staatsbedienstete kategorisch abzulehnen. Wenn wir weltanschauliche Neutralitätsgesetze fordern, gestehen wir im gleichen Atemzug ein, dass es ganz spezifische Arten von Rede und Ausdruck gibt, die Staatsbediensteten im Rahmen ihrer Amtsausübung in einem säkularen Staat nicht zustehen sollten.

So unterschiedlich diese beiden Szenarien sind, haben sie doch eine essentielle Gemeinsamkeit: Die Einschränkung der Freiheit der Individuen wird nicht durch kulturelle, auch nicht durch ideologische Erwägungen verteidigt, sondern durch konstitutionelle. Die Forderung nach einem Verbot der Holocaustleugnung gründet sich auf Artikel 1 und 20 Grundgesetz, während sich die Forderung nach einem Neutralitätsgesetz aus Artikel 140 Grundgesetz speist.

Der Lackmustest für die Abwägung, ob das bayerische "Genderverbot" legitim ist, liegt also in der Frage, welches verfassungsmäßig verbriefte Rechtsgut die Verordnung zu schützen beabsichtigt und ob sie in ihrer Ausführung geeignet ist, dies zu tun. Aus dieser Perspektive allerdings ist das bayerische Vorhaben nicht nur funktional ungeeignet, sondern wandelt an der Grenze zur Verfassungswidrigkeit.

Brief und Siegel für Partizipform und generisches Femininum

Der Begriff "Genderverbot" steht in diesem Text stets in Anführungszeichen. Das hat den Grund, dass die vorliegende Verordnung de facto kein "Genderverbot" ist, sondern witzigerweise genau das Gegenteil. Die Verordnung ist eine staatliche Vorgabe dahingehend, welche Formen des Genderns den Behörden künftig erlaubt sein werden.

So erklärte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann: "Mehrgeschlechtliche Schreibweisen durch Wortbinnenzeichen wie Genderstern, Doppelpunkt, Gender-Gap oder Mediopunkt sind nun ausdrücklich unzulässig". Gleichzeitig aber gesteht das Innenministerium ein, dass geschlechtsneutrale Formulierungen selbstverständlich weiterhin genutzt werden dürfen und sollen. "Rechts- und Verwaltungsvorschriften sollen so formuliert werden, dass sie jedes Geschlecht in gleicher Weise ansprechen, etwa durch Paarformeln oder geschlechtsneutrale Formulierungen", so Herrmann weiter.

In der realen Praxis bedeutet das nichts anderes, als dass der Freistaat Bayern implizit seine Zustimmung zu bestimmten Gender-Frameworks wie Partizipformen erklärt. Denn das Verb "gendern" lässt sich von vornherein nicht objektiv definieren. Die Frage, ob Formulierungen mit Asterisk genauso "gegendert" sind wie Partizipformen, generisches Femininum oder Anreden wie "Schülerinnen und Schüler", können wir nicht empirisch klären, nur interpretativ. Diese Interpretation hat der Freistaat Bayern nun für die Schulen, Hochschulen und den Verwaltungsapparat vorgenommen.

Widerstand aus akademischen Kreisen

Auf den Bereich der Hochschulen möchte ich dezidiert eingehen, weil es einen fundamentalen Unterschied macht, ob wir die Verwaltung oder die Universitäten betrachten. Bereits Ende vergangenen Jahres formierte sich akademischer Protest gegen das von Ministerpräsident Markus Söder kommunizierte Vorhaben.

Die Landeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an bayerischen Hochschulen veröffentlichte am 5. Dezember 2023 einen Offenen Brief an die Bayerische Landesregierung, in dem sie die verfassungsmäßige Legitimität des "Genderverbots" anzweifelt und auf Paragraf 22 Absatz 3 Personenstandsgesetz verweist, der seit 2018 und auf Weisung des Bundesverfassungsgerichts hin die Eintragung der Geschlechtsmarker "keine Angabe" und "divers" für inter und trans Menschen zulässt. Dem Offenen Brief haben sich bis dato 8.358 Unterzeichner*innen angeschlossen (Stand: 27.03.2024). Die Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an deutschen Hochschulen veröffentlichte bereits Anfang 2022 an die neuen Geschlechtsmarker angepasste Handlungsempfehlungen.

Zwei verfassungsrechtliche Argumente gegen das "Genderverbot"

Der springende Punkt ist, dass den bayerischen Plänen zwei nicht geringe verfassungsmäßige Bedenken entgegenstehen: Einerseits und offensichtlicherweise ist diese Verordnung ein Eingriff in die Lehrfreiheit, welche in diesem Land Verfassungsrang hat. Wie erörtert gibt es Szenarien, in denen diese beschnitten werden kann, weil andere verfassungsmäßig verbriefte Rechtsgüter dagegen abgewogen werden müssen. Es ist jedoch völlig unklar, welches Rechtsgut die vorliegende Verordnung schützen möchte.

Staatskanzleichef Florian Herrmann und Ministerpräsident Markus Söder werden nicht müde, vor einem "verpflichtenden Gendern" und "ideologiegetriebener" Sprache zu warnen. Diese Verordnung mandatiert aber nicht das generische Maskulinum, was sich rein linguistisch noch begründen ließe, sondern verbietet lediglich die Nutzung ganz bestimmter Sonderzeichen. Die bayerische Staatskanzlei erklärt mit keinem Wort, warum ein Asterisk "ideologiegetrieben" ist, eine Partizipform aber nicht.

So drängt sich in Absenz jeglichen vernünftigen Grunds für diese Unterscheidung die Annahme auf, dass die Herren Söder und Herrmann schlicht und ergreifend das Gefühl haben, von Asterisken und Doppelpunkten bevormundet zu werden. Diese Einschätzung wird dadurch bekräftigt, dass Staatskanzleichef Herrmann zwar den Rechtschreibrat und dessen Empfehlung gegen eine Aufnahme von Sonderzeichen in die Rechtschreibregeln als Expertise zitiert, gleichzeitig aber bekundet, etwaige Kurswechsel des Rechtschreibrates nicht berücksichtigen zu wollen. Und selbst wenn Asteriske ideologiegetrieben wären, wofür ich erst einmal politologische Evidenz sehen möchte, reichte das noch nicht, um die Rede- und Ausdrucksfreiheit zu beschneiden, weil schleierhaft bleibt, welches Rechtsgut von Verfassungsrang hier gegen die Lehrfreiheit aufgewogen wird.

Andererseits gibt es unter Verweis auf Paragraf 22 Absatz 3 Personenstandsgesetz bereits jetzt Menschen, die verwaltungsrechtlich weder als "Studentin" noch als "Student" zu bezeichnen sind. Aus dem Vorliegen eines amtlichen Geschlechtseintrags, der auf "keine Angabe" oder "divers" lautet, leitet sich ein Rechtsanspruch auf die präferierte Anrede ab, das ergibt sich nicht zuletzt aus einem Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf vom 25. Juni 2015 (Az.  122 Cs 588/14), demzufolge es den Straftatbestand der Beleidigung erfüllt, einen männlichen Polizisten als "Du Mädchen" zu bezeichnen.

Sind doch alles nur Einzelfälle

Leider hat die bayerische Staatskanzlei keinen statistischen Nachweis dafür geliefert, wie prävalent diese vermeintlichen "Genderzwänge" an (Hoch-)Schulen denn eigentlich sein sollen, stattdessen werden "einzelne, echte Beispiele" zitiert. Sicher, die gibt's. Wenn ich allerdings an das bayerische Polizeiaufgabengesetz, an #metoo und an die Black Lives Matter-Proteste erinnern darf: Bayerische Konservative sind für gewöhnlich die ersten, die "Einzelfall!" rufen und die Hände in den Schoß legen, wenn besorgte Datenschützer*innen den Missbrauch von Staatstrojanern monieren, wenn verfassungsfeindliche Symbole in polizeiinternen Chats auftauchen oder wenn ehemalige Ministeriumsangestellte von sexualisierten Übergriffen im Büro berichten. Und das ist ihr Recht. Aber dann sollen sie das Wasser, das sie predigen, gefälligst auch saufen.

In der Diskussion um das Cannabisgesetz schallte es gerade aus der CSU: "Wir haben Krieg, wir haben Inflation, und dann beschäftigen wir uns mit Cannabis, das geht doch nicht!" Dabei haben wir in dem Fall sogar reale Zahlen – mehr als 180.000 Strafverfahren jährlich aufgrund von Cannabisbesitz zum Eigenkonsum, Handel nicht mitgerechnet –, anhand derer wir belegen können, welchen Schaden die Prohibition anrichtet. Wir haben nicht den Hauch einer Statistik dazu, welchen Schaden diese ominösen "Genderzwänge" anrichten – in den Augen der CSU aber scheinbar mindestens so viel wie Wladimir Putin in der Ukraine.

Lesen Sie hier den zweiten Kommentar zum Thema, der das Genderverbot begrüßt.

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