Ermittlungsverfahren gegen Abtreibungsgegner eingeleitet

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Mitte Februar erstattete das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) Strafanzeige gegen Klaus Günter Annen wegen des Verdachts der Beleidigung und der Volksverhetzung. Annen ist Betreiber der Webseiten "abtreiber.com" und "babykaust.de", auf denen er Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, als "Auftragsmörder" bezeichnet und Abtreibungen als Steigerungsform des Holocaust bezeichnet. Die Staatsanwaltschaften Mannheim und Kassel nehmen nun die Ermittlungen auf.

Über 100 Personen und Organisationen unterstützen die Klage gegen den radikalen Abtreibungsgegner. Zwei der verleumdeten Ärztinnen, Kristina Hänel und Nora Szász, haben außerdem selbst Strafantrag gestellt. Der hpd hat verschiedene Stimmen von Beteiligten und Unterstützer*innen gesammelt.

Nora Szász
Nora Szász
(Foto: © Nina Skriepitz)

"Ich bin vom Institut für Weltanschauungsrecht darauf aufmerksam gemacht worden, dass auf der Babykaust-Webseite von Klaus Günter Annen zehn Ärzte und Ärztinnen in strafrechtlich relevanter Form betroffen sind und dass ich dazugehöre", erläutert die Kasseler Frauenärztin Nora Szász, wie es zu ihrem Strafantrag kam. "Es geht um den Vorwurf, dass ich Kindstöterin sei, Kinder morde, beteiligt bin am massenhaften Kindermord. Das halte ich für sehr problematisch, nicht nur in Bezug auf meine eigene Person. Das ist Teil einer Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, wo ich als eine der Ärzt*innen, die diese ausführt, mitkriminalisiert werde. Es geht aber eigentlich um die betroffenen Frauen und die Tatsache, überhaupt Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen und dass das stigmatisiert und man eingeschüchtert werden soll. Und deswegen habe ich mich entschieden, mich da auch zur Wehr zu setzen." Durch die Unterstellung, dass einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen einem Kindermord gleichkäme, passiere etwas in der gesellschaftlichen Haltung zum Schwangerschaftsabbruch, sagt die Ärztin, die von Annen und einem weiteren Abtreibungsgegner in der Vergangenheit wegen angeblicher Werbung für Schwangerschaftsabbrüche angezeigt worden war. "In meiner Sichtweise als Frauenärztin, in meiner Berufserfahrung ist der Schwangerschaftsabbruch Teil der Gesundheit von Frauen und Menschen, die schwanger werden können. Es geht ja darum, sich zu entscheiden, ob man ein Kind kriegt oder keines und das hat nichts mit Mord zu tun." Angst vor den Abtreibungsgegnern habe sie "überhaupt keine". Die sei "komplett gewichen durch das Wissen, dass die ja grade mit der Angst arbeiten und wir ihnen den Gefallen nicht tun wollen", "das hat auch Kraft gegeben". Dennoch gehörten Aufforderungen auf Annens Websites, zur Praxis zu gehen und "denen mal die Meinung" zu sagen auch deswegen untersagt, weil dies "wirklich erhebliche Folgen haben" könne, "je nachdem, wer das mal liest und sagt: 'Da mordet eine, der zeig ich's jetzt mal!'"

Alicia Baier
Alicia Baier (Foto: © privat)

Eine weitere Problematik der Anti-Abtreibungskampagne des Beanzeigten stellt Alicia Baier, Vorsitzende von Doctors for Choice Germany, heraus, einem Verein, der sich für einen selbstbestimmten Umgang mit Sexualität, Fortpflanzung und Familienplanung einsetzt: "Während es uns Ärzt*innen in Deutschland verboten ist, sachlich und seriös zum Schwangerschaftsabbruch zu informieren, verbreitet Annen seit Jahren irreführende und menschenverachtende Inhalte zu diesem Thema. Mit seinen Prangerlisten und Beleidigungen trägt er dazu bei, dass immer weniger Ärzt*innen Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Viele Regionen sind bereits unterversorgt, was gesundheitliche Folgen für die Betroffenen hat. Das Verbot dieser Webseiten wäre ein wichtiges Signal für Frauenrechte und reproduktive Gesundheit."

Frauenverbände unterstützen die Strafanzeige

Ingrid Mühlhauser
Ingrid Mühlhauser
(Foto: © Bettina Osswald)

Zahlreiche Mitglieder des Arbeitskreises Frauengesundheit (AKF) haben mit ihrer Unterschrift ebenfalls kenntlich gemacht, dass sie die Strafanzeige des Instituts für Weltanschauungsrecht gegen Klaus Günter Annen unterstützen. Mit großer Sorge beobachte der AKF, der sich für die Gesundheit und ein selbstbestimmtes Leben von Frauen in unserer Gesellschaft einsetzt, die zunehmende Verschlechterung der Versorgungslage von Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch wünschen, sagte die Vorsitzende Ingrid Mühlhauser dem hpd. "Es gibt zunehmend weniger Ärzt*innen und Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Notwendige Informationen zum Schwangerschaftsabbruch, die Frauen benötigen, um informierte Entscheidungen zu treffen, dürfen von Frauenärzt*innen nicht mehr öffentlich zur Verfügung gestellt werden. Nach dem Patientenrechtegesetz stehen den Frauen jedoch informierte Entscheidungen zu. Zudem ist die fachärztliche Ausbildung in den Kliniken in den Methoden des Schwangerschaftsabbruchs nicht mehr gewährleistet." Der Staat sei "offenbar nicht mehr in der Lage das verbriefte Recht auf einen legitimen Schwangerschaftsabbruch umzusetzen". Das könne im Einzelfall schwere gesundheitliche Folgen für Hilfe suchende Frauen haben, so Mühlhauser weiter. Besonders betroffen seien Frauen aus prekären und bildungsfernen Verhältnissen. Unter den Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie habe sich die Situation zudem für Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch wünschen, weiter verschärft. "Der AKF e.V. setzt sich dafür ein, dass jegliche Form von Diskriminierung und Kriminalisierung von Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch wünschen und Ärzt*innen, die einen solchen durchführen, unterbunden wird."

Gabriele Sabo
Gabriele Sabo
(Foto: © Photo Professional Celle, Peggy & Ingo Misiak GbR)

Auch der bundesweit agierende und international vernetzte feministische Verband Deutscher Frauenring (DFR), der sich für die Gleichstellung aller Geschlechter und gegen geschlechtsspezifische Diskriminierung einsetzt, unterstützt die Annen-Strafanzeige: "Frau Kristina Hänel wurde von uns zur Frauenringsfrau 2019 und 2020 gewählt, um Sie für ihr Engagement für das Recht auf Gesundheit und Selbstbestimmung der Frau zu unterstützen. Sie hat durch ihre Verurteilung eine breite Öffentlichkeit erreicht und die Debatte um den umstrittenen Paragraphen 219a StGB belebt, da dieser eine öffentliche Information durch Ärzt*innen zum Schwangerschaftsabbruch für Frauen behindert", teilte DFR-Präsidiumsmitglied Gabriele Sabo dem hpd auf Anfrage mit. "Wir unterstützen Frau Hänel in ihrem Engagement und natürlich auch im Zusammenhang mit der Strafanzeige gegen Herrn Klaus Günter Annen wegen Beleidigung und Volksverhetzung. (…) Herr Annen setzt mit seinen schrecklichen Bildern die Schwangeren noch zusätzlich unter moralischen Druck. Er hat nicht begriffen, dass Frau Hänel Frauen, die sich in einer Notlage befinden, helfen will. Jede Frau entscheidet selbst über ihren Körper. Sie trägt die Verantwortung für ihre Entscheidung und sie soll dazu alle Möglichkeiten der Informationen zur Verfügung gestellt bekommen."

Marion Böker
Marion Böker (Foto: © privat)

"Als professionell arbeitende Menschenrechtsexpertin musste ich mich der Anzeige anschließen, um dem [Agieren des Angezeigten] Einhalt zu gebieten und endlich die Rechte der Frauen* durchzusetzen", begründet die daneben ehrenamtliche Vizepräsidentin der International Alliance of Women (IAW), Marion Böker, ihr Engagement. Das Berufsausübungsrecht von Ärzt*innen werde durch Annens Vorgehen eingeschränkt. "Menschenrechte sind nicht nur ein natürlich genießbares Gut, sie verpflichten uns auch zum Handeln für sie!" Menschenrechte von Frauen und Mädchen auf reproduktive Gesundheit und Gewaltfreiheit würden in Deutschland mittlerweile drastisch verletzt. "Sichere und gesetzlich legale Abtreibung sowie frei wählbare Familienplanungsberatung müssen jederzeit finanziell, überall örtlich erreichbar und sicher ohne zum Beispiel Beleidigung, Bedrängung oder etwa Kriminalisierung zugänglich sein", fordert Böker. "Die in diesem Zusammenhang wichtigen Menschenrechte sind in Deutschland rechtlich verbindlich, auch für das Innen-, Justiz- und Gesundheitsministerium sowie die Justiz." Sie hoffe, dass letztere "nun die menschenrechtlich verbindlichen Vorgaben seitens des UN-Frauenrechtsausschusses CEDAW beachtet, um dem Angezeigten und allen anderen, die Frauen mit allen Mitteln in ihren Rechten einschränken und terrorisieren, endlich Einhalt zu gebieten."

Organisationen von Holocaust-Überlebenden tragen die Klage ebenfalls mit

Esther Bejarano
Esther Bejarano
(Foto: © Gisa Bodenstein)

Doch nicht nur Frauenrechtsorganisationen gehören zum großen Kreis der Unterstützenden, auch jene, die an die Verbrechen des Nationalsozialismus erinnern. Das Auschwitz-Komitee in der Bundesrepublik Deutschland kritisiert in einer Stellungnahme den Namen der Website "Babykaust" und die Namensgebung der "Initiative Nie wieder" als "dreiste Kaperung der Begrifflichkeiten unserer Kämpfe". "Wir verwahren uns gegen solche Gleichsetzungen. Das verletzt uns, solche Vergleiche relativieren die Verbrechen des Holocaust. Niemand hat das Recht, die Toten und die Überlebenden durch solche Vergleiche zu verhöhnen. (…) Diese unbelehrbaren Verharmloser dürfen die Ermordeten der Konzentrationslager künftig nie wieder für ihre menschenfeindlichen und dubiosen Vergleiche zitieren."

Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) ergänzt: "Die Gleichsetzung von Abtreibungen mit dem Genozid der Nazis ist eine klare politische Strategie, die nicht nur die Verbrechen der Nazis relativiert und gegen das Selbstbestimmungsrecht von Frauen hetzt, sondern auch die Opfer des Faschismus verhöhnt. Esther Bejarano, Überlebende der KZ Auschwitz und Ravensbrück und Ehrenpräsidentin der VVN-BdA mahnte im August 2020: 'In einer Welt nach dem Holocaust darf der Name, der dieses Menschheitsverbrechen bezeichnet, nicht einfach kopiert oder überschrieben werden.'"

Meron Mendel
Meron Mendel
(Foto: © David Bachar)

"Wer Schwangerschaftsabbrüche mit der systematischen Verfolgung und Vernichtung von Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus gleichsetzt und Ärztinnen und Ärzte mit faschistischen Mördern, muss gestoppt werden", stellt Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, klar. Die Erfahrung habe leider gezeigt, dass Geldentschädigungen den Betreiber der Website nicht davon abschreckten, seine "perfide und geschichtsvergessene Kampagne" gegen Kristina Hänel und andere Ärztinnen und Ärzte fortzusetzen. Der Betreiber der Website "Babykaust", Klaus Günter Annen, sei kein verwirrter Querulant und stehe mit seinen Diffamierungen nicht allein. "In der Szene der Abtreibungsgegner*innen sind Geschichtsrevisionismus und Holocaust-Vergleiche beliebte Topoi, um Schwangerschaftsabbrüche zu skandalisieren, ungewollt Schwangere einzuschüchtern und Ärzt*innen zu diffamieren. Der Holocaust-Vergleich wird als kalkulierter Tabubruch kampagnenstrategisch eingesetzt – von Empathie mit den NS-Opfern keine Spur. Mehr noch bedient sich Herr Annen selbst faschistischen Vokabulars bei seinen Versuchen, Frau Hänel zu diskreditieren."

Die juristische Perspektive

Christian Roßmüller
Christian Roßmüller
(Foto: © privat)

Doch nicht nur aus geschichtlicher und feministischer Perspektive, auch von der Warte des Juristen aus überschreitet Annens Gebaren eine rote Linie: Rechtsanwalt Christian Roßmüller hat für das ifw beide Websites auf strafrechtlich relevante Inhalte hin überprüft und kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: "Wir haben bei uns die Freiheit der Meinungsäußerung, Artikel 5 Grundgesetz. Diese muss ihre Grenzen finden in den Persönlichkeitsrechten der Anderen. Liegen Grenzüberschreitungen vor, die sogar Strafvorschriften ausfüllen, sollten dem Rechtsverletzer auch spürbar die Grenzen aufgezeigt werden", findet er. "Herrn Annen hat nicht nur drastische, öffentliche Kritik an Abtreibungen vollzogen, sondern er hat Frau Hänel persönlich diffamiert und stets mit seinen hässlichen Verbalinjurien direkten Bezug zu ihr hergestellt. Das ist schlichtweg strafwürdige Beleidigung gemäß Paragraph 185 StGB, auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, welches die Grenzen bei öffentlicher Meinungsäußerung, wie hier beschrieben, zieht." Damit einher gehe eine Verharmlosung des Holocaust: "Wir konnten aufzeigen, dass die Alternative des Verharmlosens, Paragraph 130 Absatz 3 Fall 3 StGB, ausgefüllt ist. Allen Formulierungen des Beanzeigten ist gemein, dass eine Gleichsetzung des Themenkomplexes 'Abtreibung' und des diesbezüglich von Artikel 12 Grundgesetz geschützten Wirkens von Frau Hänel mit dem furchtbaren nationalsozialistischen Völkermord stattfindet."

Nun müssen die Staatsanwaltschaften und gegebenenfalls Gerichte klären, ob sie diese Straftatbestände ebenfalls als erfüllt ansehen und ob Klaus Günter Annen die fraglichen Inhalte auch in Zukunft weiterhin öffentlich im Internet kundtun darf.

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