Gesundheitsorientiert, evidenzbasiert, feministisch:

"Doctors for Choice Germany" gegründet

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Der Vorstand von "Doctors for Choice Germany" (von links oben im Uhrzeigersinn): Leonie Kühn, Paula Kurz (beide Medizinstudentinnen), Alicia Baier (Ärztin) und Caroline Gabrysch (Studentin im praktischen Jahr).
Der Vorstand von "Doctors for Choice Germany"

"Doctors for Choice" gibt es jetzt auch in Deutschland: Am vergangenen Samstag kam der junge Verein, der sich für einen selbstbestimmten Umgang mit Sexualität, Fortpflanzung und Familienplanung einsetzt, auf dem Campus der Berliner Charité zu einer Gründungsfeier zusammen. Er will Menschen, die im Bereich selbstbestimmte reproduktive Gesundheit aktiv sind, vernetzen und hat einen konkreten Forderungskatalog.

Dass es den Verein nun gibt, sei eine Reaktion auf die beiden zentralen Probleme beim Thema Abtreibung in Deutschland, heißt es auf der zugehörigen Website: Zum einen die immer schwieriger werdende Versorgungslage, zum anderen die nach wie vor nicht vorhandene Rechtssicherheit, die sich durch die Reform des Strafrechtsparagraphen 219a, der Werbung für und zum Teil auch Information über Schwangerschaftsabbrüche untersagt, nicht wesentlich verbessert hat. Auch wollen sich die Gründerinnen, die Ärztin Alicia Baier und die Medizinstudentin Leonie Kühn, den sogenannten "Lebensschützern" entgegenstellen, welche "die gesellschaftspolitische Debatte nachweislich mit medizinischen Falschinformationen unterwandern und sie bewusst emotional aufheizen". Doctors for Choice Germany will dabei gesundheitsorientiert, evidenzbasiert und feministisch vorgehen, heißt: Die medizinische Versorgung ungewollt Schwangerer verbessern, erfahrungsbasiertes Wissen genauso wie Studien und Forderungen internationaler Organisationen und Fachgesellschaften anwenden sowie "jegliche Benachteiligung aufgrund von Geschlecht und Sexualität [ablehnen]".

Konkret fordert der Verein die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs – momentan habe Deutschland eines der strengsten Abtreibungsgesetze Europas – und seine Anerkennung als öffentliche Gesundheitsleistung. Fristen sollten abseits des Strafgesetzes geregelt werden. Verpflichtende Beratungen und Wartezeiten müssten zugunsten eines flächendeckenden, kostenfreien, wertneutralen und mehrsprachigen Beratungsangebots überwunden werden. Außerdem fordert Doctors for Choice Germany die Abschaffung der sogenannten "Gewissensklausel", aufgrund derer die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs aus persönlichen moralischen oder religiösen Gründen abgelehnt werden kann.

Ein weiteres Anliegen ist den Mitgliedern der Vereinigung eine bessere und nicht moralisch vorgeprägte Aufklärung über Sexualität, Verhütung und Abtreibung. Damit einhergehend auch eine Informationsfreiheit für Ärzte, denn die neu eingeführte Liste der Bundesärztekammer sei unübersichtlich und unvollständig. Methoden zur Verhinderung einer nicht gewollten Schwangerschaft sollten zudem generell von der Krankenkasse bezahlt werden.

Ein zusätzliches Problem sei die Tabuisierung von Abtreibung nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in der medizinischen Ausbildung: Sie ist kein Teil davon und eine Möglichkeit der zertifizierten Fortbildung gibt es nicht. Beides will der Verein ändern. Darüber hinaus will er erreichen, dass Abbrüche in Deutschland verstärkt medikamentös und nicht mehr mit der Ausschabungsmethode durchgeführt werden, die die Weltgesundheitsorganisation WHO als veraltet und weniger sicher einstuft. Er wendet sich zudem gegen auch im medizinischen Diskurs vorhandene Mythen wie das nicht nachgewiesene "Post-Abortion-Syndrom".

Doctors for Choice Germany fordert außerdem ein entschiedenes Vorgehen gegen sogenannte "Lebensschützer": Bewusst irreführende und abschreckende Inhalte müssten verboten werden. Schutzzonen vor Mahnwachen und Demonstrationen rund um anerkannte Beratungsstellen, Arztpraxen und Kliniken, wie es sie bereits in Hessen gibt, müssten bundesweit eingeführt werden, denn der von Abtreibungsgegnern aufgebaute Druck ist einer der Gründe für die prekäre Versorgungslage in Deutschland.

Erste Erfolge können bereits die Medical Students for Choice Berlin vorweisen, aus denen Doctors for Choice Germany hervorgegangen ist: An der Charité ist das Thema Schwangerschaftsabbruch seit dem vergangenen Sommersemester Teil des Curriculums. Außerdem dürfen die von ihnen angebotenen "Papaya-Workshops", bei denen Studierende unter der Aufsicht ausgebildeter Gynäkologen an der Frucht die Absaugmethode üben, weiterhin in Räumen der Universität stattfinden. Für ihr Engagement verlieh die Freie Universität Berlin den Medical Students for Choice Berlin vergangenen Freitag den Margherita-von-Brentano-Preis.