Heilig’s Röckle! – war das schön!

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Tufa-Exponat: Jacques Tilly

TRIER. (hpd) „Heilig’s Röckle!“ ist ein Ausruf der Verwunderung und der Erschütterung, gewissermaßen ein Ausdruck heftigen Kopfschüttelns. In Trier gab es nämlich eine Wallfahrt, dazu gab es Protest in Dosen: Von Papst trifft Hitler an der Hl. Unterhose bis zu einem promovierten Theologen, Philosophen, einer Politikerin, einem Bestsellerautor, einem Comiczeichner und noch mehr besuchenswerten Reliquien.

 

Schon Martin Luther nannte die Rock-Wallfahrt der Trierer eine „große Bescheißerey“, den „Teufelsmarkt zu Trier“, ein „verführlich, lügenhaft und schändlich Narrenspiel“. Da aber „Heilig’s Röckle“ liebenswürdiger klingt, entschied sich die Trierer gbs-Gruppe für diese Bezeichnung und organisierte mit dem Kultur- und Kommunikationszentrum der Tuchfabrik Trier einige Gegenmaßnahmen zur „Heilig Rock“-Wallfahrt.

 

 

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Foto: F. Lorenz
Den Auftakt der Reihe bildete ein Walk Act von Wolfram Kastner und Linus Heilig in der Trierer Innenstadt. Die beiden starteten als „Papst trifft Hitler“ an der Tuchfabrik Trier (Tufa), in welcher an jenem Abend die Ausstellung „Reliquie: Fetisch in Kunst, Kirche & Konsum“ eröffnet werden sollte. Sinn der Übung war es, auf das Reichskonkordat zwischen dem Nazi-Regime und dem Vatikan hinzuweisen, welches 1933 abgeschlossen wurde. Es wurde in großen Teilen in Trier entworfen, und zwar vom (katholischen) Vorsitzenden der Zentrumspartei, Ludwig Kaas. Nach Inkrafttreten verschwand der Mann nach Rom. Einige Tage nach der Unterzeichnung des Konkordats begann die „Heilig Rock-Wallfahrt 1933“ in Trier, bei der SA-Männer als Ordnungskräfte dienten.

Nicht alle Pilger, denen „Papst und Hitler“ auf ihrer Tour durch die Innenstadt Triers begegneten, waren begeistert von dem Paar, nicht alle Pilger sahen ein, dass man für die Trennung von Staat und Kirche einstehen sollte – und gegen das Vergessen. Die Absurdität der Ausstellung einer Reliquie „Heilig Rock“ war auch nicht allen Passanten eingängig. Doch etliche waren belustigt und lobten den Mut der Künstler. Nach einer längeren Festhalteperiode derselben in der „Polizeiwache Heilig Rock“ zwecks Feststellung der Personalien konnte es weitergehen.

 

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Foto: F. Lorenz
Der Weg führte schließlich ans Ziel: Das war die Heilige Unterhose des Karl Marx. Diese stammt aus dem Nachlass seiner langjährigen Haushälterin Helene Demuth und ihre Echtheit wird – im Vergleich zu jener des „Heilig Rock“ – nicht bezweifelt. Wie auf der entsprechenden Website bekanntgegeben wird, konstituierte sich 1996 der „Geheimbund der Heiligen Unterhose“, um die „Heilig-Hos’-Wallfahrt“ zu wahren. Dieser Bund soll bereits beträchtliche Geldsummen gesammelt haben, um sicherzustellen, dass Marxens Unterhose in den nächsten 500 Jahren parallel zur „Heilig Rock-Wallfahrt“ ausgestellt werden kann.

Der Trierer Künstler Helmut Schwickerath („Schwick“) und seine Tochter Gepa schufen eigens für die aktuelle Wallfahrt einen Reliquienschrein, auf dem sowohl Helene Demuth (links) als auch Sahra Wagenknecht (rechts) schön abgebildet sind. Zwischen ihnen die Unterhose.
Anlässlich der Anwesenheit vieler Interessierter sowie von „Papst und Hitler“ hielt der Erbauer des Reliquienschreins eine geistreiche Ansprache und wies auf die Möglichkeit hin, ein eigens zum Event erscheinendes Katz-Magazin, „Im Namen der Hose! Führer für Gläubige und Ungläubige“, inklusive eines Ablasses, für lediglich fünf Euro zu erwerben. In dem Heft finden sich zahlreiche Beiträge etwa zur heiligen Unterhose, zur „Reliquien“-Ausstellung in der TUFA und zum „Neuen Atheismus“ (von Michael Schmidt-Salomon). Beide Aktionen – „Papst trifft Hitler“ und „Heilige Unterhose des Karl Marx“ – erfreuten sich auch überregional recht großen medialen Interesses.

Aufgrund der vorwiegend positiven Resonanz und der überwältigenden öffentlichen Nachfrage wird die Heilige Unterhose im Gegensatz zum „Heiligen Rock“ nicht eingemottet, sondern beginnt ihre neue Mission als Wanderreliquie an verschiedenen Schauplätzen Deutschlands.

 

Nachdem „Papst und Hitler“ durch Trier gewandelt waren und die Heilige Unterhose des Herrn Marx präsentiert wurde, eröffnete die Tufa am selben Abend die bereits oben erwähnte Ausstellung „Reliquie - Fetisch in Kirche, Kunst und Konsum”. Die Durchführung der Ausstellung war bedroht gewesen, als kurz vor Beginn zwei wesentliche Förderer die Zuschüsse verweigerten – vermutlich wegen der Beteiligung der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) an der Veranstaltungsreihe. Doch fanden sich andere Geldgeber und sie konnte wohl stattfinden.

Mit Hilfe der zeitgenössischen Kunst bietet die Ausstellung eine nach eigenen Angaben „hochaktuelle künstlerische  Auseinandersetzung zu Fragen von Konsum, Kommerz und modernen Götzenbildern”. Die Ausstellung, die noch bis 17. Juni 2012 läuft, lohnt den Besuch, finden sich dort doch interessante Stücke beispielsweise von Jörg Baltes, der Toasts mit Jesusgesichtern, Ratzinger oder dem letzten Abendmahl kreiert. Darüber hinaus sind Werke von Laas Köhler, Klaus Staeck, Janosch und Jacques Tilly zu sehen – insgesamt von 30 Künstlern. (Mehr Details gibt es hier, die Ausstellungszeiten finden sich hier.)

 

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Foto: F. Lorenz
Am nächsten Abend ging es weiter im Programm, als der promovierte Theologe Heinz-Werner Kubitza erklärte, wie die Christen sich ihren Gott erschufen. Er betonte, der „Heilig Rock“ sei nachgewiesen eine Fälschung aus dem 12. bis 16. Jahrhundert. Viel dramatischer sei jedoch, dass der geglaubte Christus sehr wenig gemein habe mit der Person, auf die sich das Christentum beziehe. Kubitza las aus seinem Buch, welches sich genau mit dieser Thematik befasst: Der Jesuswahn.

Er selbst habe in Trier sein Abitur gemacht, vieles habe sich seither gewandelt. Inzwischen befinde sich ein Sexshop von Beate Uhse Wand an Wand mit dem Priesterseminar. Die Wallfahrt stelle ein „schönes Erlebnis“ für Pilger dar, an überkommenem Aberglauben festzuhalten – wenn nur ein gutes Gefühl dabei herauskomme. Sodann stellte und beantwortete Heinz-Werner Kubitza gleich die Frage, „Wer war Jesus von Nazareth?“

Kritisch beurteilte der Referent die Bibel im alten und neuen Teil. Trotz ungezügelter Gewalt werde die Bibel als Moralinstanz angesehen, bis heute. Das sei verwunderlich. Als Beispiele nannte er einen Völkermord als Kinderspiel - damit ist die Arche Noah gemeint, die an Bastelnachmittagen in Kindergärten nachgebaut wird.

Erst 70 Jahre nach Jesus Tod seien überhaupt Geburtslegenden entstanden. Dieser Prediger erwartete das nahe Ende und Reich Gottes, doch das kam nicht. Bis heute nicht, 2000 Jahre später. Weniger die Lehre Jesus als vielmehr die Theologie des Paulus habe sich durchgesetzt.

Anlass zur Hoffnung gab die Auskunft, dass auch andere gewaltige religiöse Paradigmen schon gekommen und wieder gegangen sind. Sie überdauern zwar lange, unsterblich sind sie aber nicht.

 

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Foto: Florian Chefai
Einige Tage darauf berichtete Christoph Lammers an der Trierer Universität über „Die neuen Gegenaufklärer – Christlicher Fundamentalismus und Evangelikalismus in Deutschland“. Antimoderne Positionen erhielten Zuspruch und staatliche Legitimation, so der Tenor. Zu diesen Positionen gehört ein Leben in „Sünden-Sklaverei“, was für Fundamentalisten bedeutet, dass man sich beispielsweise Süßigkeiten einverleibt, moderne Kleidung trägt, sich selbst befriedigt oder homosexuell ist.
Diese für Fundamentalisten bedenklichen Handlungen müssten aus deren Sicht aufgehalten werden, wie auch sonstige Modernisierungsprozesse aufgehalten und rückgängig gemacht werden sollten. Grundlage für diese Einstellung ist die wortgetreue Auslegung religiöser Schriften. Förderlich für diese Einstellung sei die Deregulierung des Religionsmarktes und die Säkularisierung der Gesellschaft.
Der Fokus von Lammers lag auf dem Evangelikalismus, der weltweit am stärksten wachsenden religiösen Gemeinschaft. In Deutschland sollen ihnen 1,3-1,5 Millionen Menschen anhängen, weltweit sollen sie ca. 20 Prozent der Christen ausmachen. Die positiven Reaktionen einiger Politiker/innen auf evangelikale Maßnahmen – wie etwa das hunderttausendfache Verschicken von Plastikembryonen zum Protest gegen Abtreibung – zeigten die Relevanz auch hierzulande.

 

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Foto: Udo Ungar
Die ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete und Juristin Ingrid Matthäus-Maier sprach am Sonntag darauf über die überfällige Trennung von Staat und Kirche: „Und trenne, was nicht zusammengehört“. Dieser Titel war bewusst gewählt, spielte er doch auf das Motto der „Heilig Rock“-Wallfahrt an, der da lautete: „...und führe zusammen, was getrennt ist.“
Schließlich seien die Verflechtungen zwischen Staat und Kirche enorm. Dies spiegele sich in milliardenhohen Staatsleistungen an die Kirchen, „Zwangskonfessionalisierungen“  und religiösen Diskriminierungen am Arbeitsplatz wider. Eigentlich aber gibt es laut Grundgesetz keine Staatskirche und der Staat ist zur weltanschaulichen Neutralität verpflichtet. Matthäus-Maier veranschaulichte anhand einiger Beispiele, in welchen Bereichen unserer Gesellschaft die beiden großen Kirchen Mitspracherecht – und damit großen Einfluss – besitzen.
So werden beispielsweise die Gehälter der Bischöfe vom Staat bezahlt. Finanziell privilegiert werden Kirchen- und Religionsgesellschaften weiterhin dadurch, dass sie neben der Grundsteuer auch von Notar- und Gerichtskosten teilweise befreit sind. Zudem werden die meisten sozialen Einrichtungen, wie zum Beispiel Krankenhäuser und Altenheime, komplett von der öffentlichen Hand finanziert.
Die Referentin wies außerdem darauf hin, dass – mit Ausnahme der Eheschließung und dem Erwerb von Eigentum – der Austritt aus der Kirche der einzige Rechtsakt sei, bei dem man persönlich erscheinen müsse. „Dies ist ausdrücklich als Erschwerungsgrund eingeführt worden“, so Matthäus-Maier. Auch die Kirchenaustrittsgebühren seien bewusst eingeführt worden, um den Austritt aus der Kirche zu erschweren.
Um dem entgegenzusteuern, forderte sie zehn Maßnahmen zur Trennung, wie etwa die Entfernung kirchlicher Symbole aus öffentlichen Gebäuden, die neutrale Fassung der Eidesformel, die Abschaffung der Staatsleistungen und die Ersetzung des Religionsunterrichts durch Ethikunterricht.

 

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Foto: Udo Ungar
„Keine Macht den Doofen!“, forderte Michael Schmidt-Salomon kurz darauf, und las aus seiner gleichnamigen Streitschrift zum globalen Irrsinn. Am Beispiel der Politik – ach, eigentlich allem, was Menschen zu treiben pflegen – wies Schmidt-Salomon auf unsere weltumspannende Riesenblödheit hin. Die menschliche Schwarmdummheit im Vergleich zur Schwarmintelligenz der Ameisen, deren Biomasse die der Menschen übersteigt, und die doch den Planeten nicht en passent ruinieren.
In einem „Countdown der menschlichen Kulturgeschichte in kosmischen Sekunden“ veranschaulichte der Referent überaus deutlich, wie belanglos unsere Existenz auf Erden ist und dass sie (relativ) bald vorüber sein wird: „Im kosmischen Kalender hat Homo sapiens allenfalls den Status einer Eintagsfliege (geboren am 31.12., ausgestorben am 1.1.).“
Die Schwarmdummheit ist auf etwas zurückzuführen, das analog einem Hirnwurm (Larve des kleinen Leberegels) funktioniert, welche wiederum bei Ameisen geistige Verwirrung herbeizuführen vermag. Systeme sind es, innerhalb derer unsere Entscheidungen und Verhaltensweisen sehr klug scheinen, es aber aufs Ganze gesehen nicht sind: Religiotie, Ökonomiotie, Ökologiotie – summiert zur Politiotie. In der Demokratie geht eben nicht nur alle Macht, sondern auch alle Blödheit vom Volke aus, meinte Schmidt-Salomon.
Der Hirnwurm entstünde durch die (religiöse) Erziehung, durch Denkverödung in der Schule, welche er als „das ultimative Verblödungssystem“ bezeichnet. Die Lösung bestehe im Brechen von Denktabus, in der Entblödung.

 

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Foto: Udo Ungar
Andreas Altmann erzählte einige Zeit später mit markigen Worten über seine katastrophale Kindheit im Pilgerort Altötting: „Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend“. Im gleichnamigen, beeindruckenden Bestseller beschreibt Altmann Übergriffe und Verbrechen, er nennt Namen. Die einstweilige Verfügung, die bei einem Verleumdungsvorwurf zu erwarten gewesen wäre, kam nicht.
Nicht nur sein Vater, der Devotionalienhändler, der Rosenkranzkönig, misshandelte ihn (und seine Mutter, seine Brüder), auch Religionslehrer und Kaplane misshandelten und missbrauchten die ihnen anvertrauten Kinder aufs Übelste. Der Vater sei im eigenen Leben unglücklich gewesen und habe derart sein Unglück in die Welt hinausgebrüllt, eine Handgranate Gehässigkeit.
Die Kirche habe auf die Sexualität „gekotzt“ und schon neunjährigen, naiven Jungen beigebracht, dass Frauen von Gewürm durchsetzte, hintertriebene Wesen seien. Das Reich Gottes war eine sexlose Veranstaltung, erklärte Altmann, vor allem für seine Mutter, die irgendwann flüchtete.
Er selbst hat es geschafft, sich von der Last seiner Kindheit einigermaßen zu befreien, und fristet inzwischen sein Dasein als renommierter und mehrfach preisgekrönter Reiseautor.

 

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Foto: Udo Ungar
Lustig wurde es am Ende auch noch: Der brillante Comiczeichner Ralf König las aus seiner lästerlichen Bibel-Trilogie in „Gottes Werk und Königs Beitrag“.
Schon als Reaktion auf den „Karikaturenstreit“ rief König 2006 vehement dazu auf, dass man sich nicht einschüchtern lassen solle und konzentrierte sich nach Jahrzehnten von Schwulencomics auf religionskritische Sujets (z. B. Prototyp, Archetyp und Antityp).
Derzeit sitze er an einer Kölner Legende, berichtete der Comiczeichner, nämlich an der Geschichte der Heiligen Ursula und ihren 11.000 (eigentlich 11) Jungfrauen, die nach Rom zum Papst pilgerten und bei der Rückkehr vor den Toren Kölns von den Hunnen niedergemetzelt wurden.
Sodann brüllte, zischte, gurrte und sprach der Zeichner die von ihm Gezeichneten, während sie hinter ihm auf der Leinwand erschienen. Die Geschichte von Abraham, Isaak, dem Widder und der Gurkensuppe in „Götterspeise“. Die vier Millionen Jahre alte „Evolutionsbremse“ Lucy. Einige Folgen Prototyp, die in bösen E-Mails an die FAZ resultierten: „War ich gut, Adam?“ „Macbeth und Hoppenstedt“ frei nach Loriot (es ging nicht nur religionskritisch zu). Oder eine königliche Variante von „David und Goliath“. Das Publikum erfreute sich daran.

Die Veranstaltungen waren allesamt gut besucht, zum Teil trotz gleichzeitig stattfindender, offenbar wichtiger Fußballspiele. Sie informierten, appellierten, klärten auf und amüsierten – ein vielfältiges Vergnügen also und eine gute Zusammenarbeit von Kultur und Wissenschaft zum Zwecke der Aufklärung im 21. Jahrhundert.
 

Fiona Lorenz

 

„Papst trifft Hitler“ und die Heilige Unterhose (16.4.2012)
Die neuen Gegenaufklärer (24.4.2012)
„Und trenne, was nicht zusammengehört“ (27.4.2012)
Endlich vorbei (14.5.2012)