Ehemaliger CDU-Politiker schreibt vor seinem assistierten Suizid Brief an Bundestagspräsident Lammert

Die Bitten eines Verstorbenen

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BERLIN. (hpd) Der frühere Hamburger CDU-Abgeordnete Wolfgang Kramer hat sein Leben selbstbestimmt beendet. In einem Abschiedsbrief an den Bundestagspräsident Lammert fordert er Bundestagsabgeordneten dazu auf, in der kommende Woche nicht für ein Verbot der organisierten Sterbehilfe zu stimmen.

Wolfgang Kramer starb am 23. September 2015 im Alter von 85 Jahren im Schweizerischen Pfäffikon. Der Verein Dignitas half dem an einer Spinalkanalverengung leidenden dabei, seinen Todeszeitpunkt selbst zu bestimmen.

In dem exakt einen Monat später veröffentlichten Abschiedsbrief an den Bundestagspräsidenten und Parteikollegen Norbert Lammert erläutert Kramer seine Motive und appelliert dringend, bei der anstehenden Abstimmung im Bundestag "keine falschen Kompromisse mit Fundamentalisten zu schließen". In dem Brief, den "Dignitas"-Chef Ludwig A. Minelli wie mit dem Verstorbenen verabredet, am 23. Oktober 2015 bekannt gab, heißt es u.a.: "Der Antrag Brand und Unterstützer will eine Vermittlung zum Antrag Dörflinger/Sensburg sein, wenn dieser auch erst später eingereicht wurde. Er will gleichzeitig ein Antrag der Mitte sein. Es gibt aber keine Mitte zwischen einem alten Tabu und moderner Gesetzgebung. Das ist nicht Mitte, sondern Mittelalter."

Der Brief wurde auf der Internetseite der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) als PDF veröffentlicht.

Kramer, der von seinem Landesverband in einem Nachruf vom 1. Oktober als "große Persönlichkeit" und "Europäer aus Leidenschaft" gewürdigt worden war, gibt in diesem Schreiben auch seine Beweggründe für die Inanspruchnahme der Freitodbegleitung bekannt. "Ich wähle den Freitod, weil ich eine Spinalkanalverengung an vier Halswirbeln habe und allmählich in die Lähmung hineinwachse. Ich hadere nicht mit meinem Schicksal, glaube aber zu wissen, dass ich sehr unglücklich werde, wenn ich nicht bald Schluss mache."

"Ich bin der Auffassung, dass sich das Recht auf Selbstbestimmung am Ende des Lebens aus dem Grundgesetz und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ergibt. Ohne Suizidassitenz könnte ich dieses Recht nicht sicher ausführen.

Vor der anstehenden möglichen Verabschiedung eines Gesetzes zur Sterbehilfe mit einem möglichen Verbot des von mir soeben benutzten ‘Notausgangs Schweiz’ möchte ich den Deutschen Bundestag warnen, falsche Kompromisse mit Fundamentalisten zu schließen – auch dann, wenn diese Fundamentalisten aus meiner eigenen Partei – der CDU/CSU – kommen." […]

"Das moderne aufgeklärte Abendland beruht auf Gewaltenteilung – nicht nur im staatlichen Bereich. Im 12. Jahrhundert ging es im Investiturstreit um die gegenseitige Freiheit von Religionsgemeinschaft und Staat. In der Renaissance ging es um die Freiheit der Wissenschaft. Reformation und Gegenreformation brachten die Religions- und die Meinungsfreiheit und die Aufklärung die Demokratie. Die Zukunft kann nur in mehr und nicht in weniger Aufklärung liegen."

Der Brief endet mit den Zeilen: "Jesus von Nazareth hatte für mich eine hohe Bedeutung. Und ich hoffe, dass Gott gnädiger ist als die Beamten, die im Vatikan Nachfolger der Inquisition sind."