Religionskonflikte zu Beginn des 21. Jahrhunderts

BERLIN. (hpd) "Der missbrauchte Glaube" – so titelte der Spiegel und beklagte die "gefährliche Rückkehr der Religionen". Kriege, Gewalt, Unterdrückung – all das wird der Religion zugeschrieben. Die Forschung zeigt, dass die Rolle von Religion in Konflikten ambivalent ist und viele Faktoren für ihre Wirkung eine Rolle spielen.

Schiiten gegen Sunniten in Syrien, Christen gegen Muslime in der Zentralafrikanischen Republik, Buddhisten gegen Hinduisten in Sri Lanka – Religion, so will es scheinen, stiftet auch im 21. Jahrhundert an vielen Orten der Welt Unfrieden und Gewalt. Hat also der amerikanische Politikwissenschaftler Samuel Huntington Recht behalten, der Mitte der 1990er Jahre prophezeite, dass der Kalte Krieg des 20. Jahrhunderts vom Kampf der Kulturen im 21. Jahrhundert abgelöst würde? An den Bruchlinien dieser Kulturen, die vor allem durch eine der Weltreligionen geprägt seien, sah Huntington die Kriege und Bürgerkriege der Zukunft aufziehen. Vor allem der Islam habe "blutige Grenzen", schrieb Huntington (1998). Seinem Befund ist vielfach widersprochen worden (z.B. Müller 1998; Senghaas 1998). Dennoch hält sich die Rede vom "Kampf der Kulturen" hartnäckig. Nicht zuletzt die Anschläge von Al-Qaida vom 11. September 2001 in den USA wurden von vielen Beobachtern als Bestätigung aufgefasst.

Huntingtons Analyse beruht auf der Differenzthese: Wenn sich Angehörige unterschiedlicher Religionen gegenüberstehen, die jeweils Anspruch auf die absolute Wahrheit ihres Glaubens erheben, seien gewaltsame Konflikte unvermeidlich. Die These zeugt von Ignoranz gegenüber vielen historischen und aktuellen Beispielen religiöser Koexistenz, die vom mittelalterlichen Andalusien über das indische Mogulreich im 16. und 17. Jahrhundert bis hin zu den religiös diversen Gesellschaften der Gegenwart reichen.

Die Differenzthese in dieser Einfachheit wurde auch durch die aktuelle Forschung widerlegt. Ihr Befund ist eindeutig: Das bloße Aufeinandertreffen verschiedener Religionen, ihrer Glaubensgrundsätze und Praktiken, ist so gut wie nie die Ursache von Gewaltkonflikten. Auslöser von Bürgerkriegen sind meist Kämpfe um politische Macht sowie um natürliche und ökonomische Ressourcen im Kontext institutionell schwach ausgebildeter Staatlichkeit. Religion bzw. religiöse Differenzen sind allein keine hinreichende Ursache für das Aufflammen von Konflikten und Gewalt; sie können aber – ganz ähnlich wie unterschiedliche ethnische Zugehörigkeiten – in Wechselwirkung mit anderen Faktoren zur Verschärfung von Konflikten beitragen.

Die Politisierung und Instrumentalisierung von Religionen

Die politikwissenschaftliche Forschung hat eine Reihe von plausiblen Erklärungen für die konfliktverschärfende Wirkung von Religionen hervorgebracht. Obwohl religiöse Differenzen allein keine hinreichende Ursache für das Aufflammen von Konflikten und Gewalt darstellen, so ist die demographische Verteilung religiöser Zugehörigkeiten – beispielsweise die Polarisierung zwischen zwei religiös definierten Gruppen oder die Dominanz einer Gruppe – doch eine Voraussetzung für eine mögliche Politisierung von Religion (Montalvo/Reynal-Querol 2005). Besonders virulent werden solche demographischen Strukturen, wenn sie mit ethnischen Identitäten (Basedau et al. 2011), ökonomischen Unterschieden oder nationalistischen Bewegungen verquickt sind (Juergensmeyer 1993).

Der von der konstruktivistischen Friedens- und Konfliktforschung in den Vordergrund gerückte Begriff der Identität ist dabei von zentraler Bedeutung: Die religiöse Zugehörigkeit stellt eines der wichtigsten Unterscheidungsmerkmale bei der Konstruktion kollektiver Identitäten dar. Anhand ihrer Religion nehmen Gruppen ihre Selbstbeschreibung, aber auch ihre Abgrenzung zu anderen Gruppen vor (vgl. den Überblick bei Choijnacki/Namberger 2013). Der "richtige" Glauben wird zu Bedingung der Zugehörigkeit zur Gruppe. Abweichler werden ausgegrenzt. Nach außen wird die religiöse Differenz zu einer zentralen Erklärung für die Andersartigkeit des "Feindes". Solche "in-group/out-group"-Mechanismen sind konstitutiv für das Konfliktgeschehen, weil sie erst die Kollektive hervorbringen, die dann einander feindlich gegenüberstehen.

Es bedarf jedoch immer des absichtsvollen Handelns sozialer, politischer und intellektueller Führer, um die konfliktverschärfende Wirkung von Religion hervorzurufen. Darauf machen die Studien von De Juan und Hasenclever (2009; 2015) aufmerksam, die die entscheidende Rolle von politischen Eliten hervorheben. Mithilfe des Framing-Ansatzes zeigen die Autoren, wie Eliten religiös aufgeladene diskursive Rahmungen (engl. frames) entwerfen, die Gewalt legitimieren und die Gläubigen zur Gewaltanwendung mobilisieren sollen. Inwieweit dies gelingt, hängt von einer Reihe von Faktoren ab – beispielsweise von der Kohärenz der Frames und von der Autorität der Eliten, die sie einsetzen, um ihre eigenen Ziele im Konflikt zu erreichen.