Gesundheitsminister Spahn weist offenen Rechtsbruch an

"Inakzeptabel" und "grob rechtswidrig"

Über des Gesundheitsministers Verzögerungstaktik bei der Umsetzung eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichts hat der hpd mehrfach berichtet. Nun zeigen aktuelle Medienmeldungen, dass Jens Spahn (CDU) tatsächlich die ihn untergeordneten Behörden zum offenen Rechtsbruch aufgefordert hat.

Das Bundesverwaltungsgericht Leipzig hatte im März 2017 geurteilt, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Schwerstkranken den Kauf von Natrium-Pentobarbital (NaP) in "extremen Notlagen" nicht verwehren dürfe. Wie der Tagesspiegel jetzt meldet, "seien 93 von insgesamt 123 vorliegenden Anträgen abgelehnt worden. Einen positiven Bescheid habe es in keinem einzigen Fall gegeben. 22 suizidwillige Antragsteller seien in der Wartezeit verstorben."

Aus den Unterlagen, die der Zeitung vorliegen, geht hervor, dass Gesundheitsminister Spahn "selbst eine Sperre verfügt hat – ohne, dass es auf nähere Prüfungen ankommen soll." Damit hat der Minister nicht nur seinen Amtseid gebrochen, nach dem er seine "Kraft dem Wohle des deutschen Volke widmen" wolle, sondern auch seinem Amt als Gesundheitsminister irreparablen Schaden zugefügt. Als Gesundheitsminister ist er unter anderem dafür verantwortlich, "die Interessen der Patientinnen und Patienten zu stärken." Es darf davon ausgegangen werden, dass seine Anordnung an das BfArM, alle Anträge auf Natrium-Pentobarbital abzuschmettern, mit Sicherheit nicht dem Interesse der Betroffenen dient.

Bisher hatte Spahn immer wieder behauptet, keinen Einfluss auf die Entscheidung des BfArM genommen zu haben. Dem Tagesspiegel liegen jedoch Unterlagen vor, die dem widersprechen. Danach käme "die 'Bitte' an das BfArM … 'im Ergebnis der Wirkung eines Nichtanwendungserlasses gleich'." Auch das Gutachten des früheren Bundesverfassungsrichters und erklärten Sterbehilfe-Gegners Udo Di Fabio, für welches die Behörde 95.200 Euro zahlte, diente laut Tagesspiegel "offenkundig weniger der fachlichen Beratung des Ministeriums als der Außenwirkung." "Der Gesundheitsminister stützt sich auf ein Gutachten, dessen Ergebnis schon vor Erstellung feststand und für das er Steuergelder verschwendet hat", zitiert die Zeitung die FDP-Politikerin Katrin Helling-Plahr.

Die FDP hat aktuell einen Antrag im Bundestag gestellt, der Rechtssicherheit für schwer und unheilbar Erkrankte in einer extremen Notlage schaffen soll. Dagegen spricht sich die Bundesärztekammer (BÄK) aus. Sie lehnt es ab, "dass eine ärztliche Kommission darüber befindet, ob ein schwerstkranker Patient ein tödlich wirkendes Medikament erhält." Nach Ansicht der BÄK können menschliche Extremnotlagen "nicht mit einem behördlichen Verwaltungsakt gelöst werden." Es gebe ausreichend palliativmedizinische Möglichkeiten, da müsse kein Arzt beim Sterben helfen. Die Bundesärztekammer ist im Übrigen die Organisation, deren Chef Montgomery empfahl, Klempnern die Sterbehilfe zu überlassen.

Rechtsprofessor Reinhard Merkel von der Universität Hamburg hingegen widerspricht der Ansicht, "medizinische Versorgung" könne keine tödlichen Handlungsziele verfolgen. Auch ein Schwangerschaftsabbruch oder ein Abortivmittel wie die "Pille danach" verfolgen dieses Ziel.

Auch die Palliativmedizin könne nach Merkel keine geeigneten Antworten für "Menschen in auswegloser Sterbensnot" bereithalten: "Leid ist nicht dasselbe wie Schmerz; es kann über dessen Präsens und Wirkung weit hinausreichen", so Merkel. Es gebe keine De-facto-Pflicht zum Weiterleben gegen den eigenen Willen. Merkel bewertet die im FDP-Antrag enthaltenen Argumente daher als "überzeugend".

Sonja Schmid von der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) nennt in einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur das Verhalten Spahns "inakzeptabel" und "grob rechtswidrig". "Denn er hält sich damit nicht an das Recht, wie es vom Bundesverwaltungsgericht nun in der Auslegung des Betäubungsmittelgesetzes konkretisiert wurde. Das heißt, in ganz schweren Fällen muss der Staat die Möglichkeit verschaffen, ohne ganz grauenhafte Methoden – wie sich vor den Zug legen oder so etwas – aus dem Leben scheiden zu können."

Die TAZ schreibt, Gesundheitsminister Spahn habe "erklärt, sein Ministerium habe eine andere Rechtsauffassung als das Bundesverwaltungsgericht." Weshalb das ihn und sein Ministerium dazu befähigen soll, ein höchstrichterliches Urteil zu ignorieren, weiß allerdings auch die TAZ nicht zu sagen.


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