Steh auf! Nie wieder Judenhass

BERLIN. (hpd) Mit der Kundgebung am Brandenburger Tor wurde am gestrigen Sonntag ein Zeichen gegen Antisemitismus und Judenfeindlichkeit gesetzt. Dazu aufgerufen hatte der Zentralrat der Juden und neben viel Politprominenz kamen auch rund 5.000 Teilnehmer.

Zu Beginn standen zwei Irritationen: Aufgerufen war zu einer Kundgebung gegen Antisemitismus und Judenfeindlichkeit: das Fahnenmeer erweckte jedoch den Eindruck, auf einer israelischen Veranstaltung gelandet zu sein. Am Absperrgitter, das die Politiker von den Menschen trennte, lehnte eine Frau, die sich selbst als Polizistin in Zivil vorstellte, und führte rassistische Reden: was das Affentheater für “die da” soll und überhaupt, man soll die Mauer wieder aufrichten. Was sie ganz sicher nicht bemerkte: sie stand dabei im “Ostteil” der Stadt.

Doch langsam füllte sich der Platz vor dem Brandenburger Tor, die weiträumig abgesperrte Straße des 17. Juni blieb allerdings fast leer. Geschätzte 4.000 bis 5.000 Menschen fanden sich ein; schwerbewacht von Polizisten mit Skimaske und Sturmgewehr, die in der Nachbarschaft parkende Autos untersuchten.

Auf den Grossleinwänden wurden immer wieder eintreffende und gut abgeschirmte Politiker gezeigt: Joschka Fischer, Wolfgang Thierse, Joachim Gauck und viele Bundestags- und Berliner Abgeordnete. Im Publikum wurde derweil viel Russisch gesprochen: die jüdisch-russische Gemeinde war zahlreich vertreten. Doch auch aus anderen deutschen Großstädten waren Angehörige jüdischer Gemeinden gekommen, die Busse parken in der Nähe.

Als dann Frau Merkel und Herr Wowereit im Blitzlichtgewitter auftauchten, wurde lautstark ein Schofar geblasen.

“Ich hätte nie gedacht, das es nötig ist, in Deutschland gegen Judenhass zu demonstrieren” sagte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, zu Beginn seiner Rede. Er fragte - vor allem an die Adresse “islamischer Fanatiker” gerichtet - : “Was hat der Gaza-Krieg mit Antisemismus zu tun?” Wenn die Politik des Staates Israel kritisiert werden soll: “weshalb zündet man dann Synagogen an?” fragte er zu Recht. Die muslimischen Verbände forderte er auf, dringend gegen den Antisemitismus unter jungen, fanatisierten Muslimen vorzugehen. “Das auf Schulhöfen ‘Jude’ wieder ein Schimpfwort ist - damit darf sich die Gesellschaft nicht abfinden.”

Im gleichen Atemzug bedankte sich Graumann bei den Medien, den Kirchen und der Politik (in der Reihenfolge), dafür, dass “sie zu uns gehalten haben.” Das machte auch Springer in den Tagen vor der Kundgebung mit einer Lichtinstallation deutlich; auch deren größte Tageszeitung Deutschlands wies auf die Kundgebung hin.

“Wir stehen zu Israel”, sagte Graumann abschließend, “wir sind mit dem Herzen bei Israel und wir werden das Land immer verteidigen.” Das klang allerdings so, als würde da der Halbsatz fehlen: “egal, was die politisch auch anrichten.”

“Wie kann es sein, dass die Hamas hier in Deutschland auch nur einen Unterstützer hat?” fragte Dieter Graumann und forderte Fairness den jüdischen Gemeinde gegenüber ein. Allerdings ist es schwierig, Toleranz einzufordern und im gleichen Atemzug allein und nur die Hamas am Scheitern jeder Friedenspolitik verantwortlich machen zu wollen. “Deutschland”, wünschte er sich, “soll eine antisemitismusfreie, ja, rassismusfreie Zone werden.”

Am Rande der Kundgebung standen drei Menschen mit Plakaten, die den Krieg Israels gegen Palästina anklagten. Sie waren in hitzige Diskussionen mit den Umstehenden verstrickt.

Berlins Regierender Bürgermeister, Klaus Wowereit, hob den Symbolcharakter des Brandenburger Tors für Deutschland hervor: “Es gibt Mauern aus Beton und Mauern in den Köpfen. Wir stehen hier, weil wir wissen, dass Mauern fallen können.” Stimmenfang auf Kosten von Minderheiten wie im Wahlkampf in Sachsen, Thüringen und Brandenburg nannte er unzumutbar und forderte ein Verbot der NPD. “Das wird nicht genügen, wir müssen alle gemeinsam einstehen gegen Antisemitismus, Homophobie und Rassenhass.”

Ganz hinten am Rande der Kundgebung winkten vier Leute mit der AfD-Fahne dazu. Als später die Veranstaltung zu Ende war, beeilten sie sich sehr, das Gelände zu verlassen. Es sah ein wenig wie eine ängstliche Flucht aus.

Der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider konnte leider nicht anders und musste noch einmal kundtun, dass schon die “Beschneidungsdebatte rassistisch war - sie wendete sich gegen Juden und Moslems gleichermaßen.” Das wird ihm wohl niemand mehr ausreden können und den Unterschied zwischen Rassismus und Kinderrechten beibringen. Doch dann diese Worte: “Auch die evangelische Kirche hat zum Judenhass beigetragen. Seit 2000 Jahren war die Kirche gegenüber dem Judentum arrogant.”

“Antisemitismus ist Gotteslästerung.” Darin war sich Schneider mit dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, einig. Nur dass dieser kein Wort davon sagte, dass auch die kath. Kirche ihr Scherflein dazu beigetragen hätte. Nein, so weit wollte er dann doch nicht gehen. Immerhin aber gab er kund, dass das Christentum und das Judentum von jetzt an “bis zum Ende der Welt Seite an Seite stehen werden.”

Die Bundeskanzlerin Angela Merkel hielt ebenfalls eine Rede. Sie nannte es “einen ungeheuren Skandal”, das Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland “angepöbelt” werden. “Wer den vollkommen legitimen Krieg Israels dazu benutzt, um gegen Juden zu hetzen” schade der Gesellschaft, so Merkel. “Mit dieser Kundgebung setzen wir Zeichen für Religionsfreiheit - jeder darf seinen Glauben ausüben; egal ob Christ, Moslem oder Jude.” Die Konfessionslosen kamen in ihrer Rede nicht vor. Das hatte Dieter Graumann ihr voraus, der sich ein friedliches Zusammenleben aller Gläubigen und Ungläubigen wünschte.

Außerhalb der Sicherheitszone, am Denkmal für die ermordeten Juden, protestierten vier junge Palästinenser - geschützt von fünf Polizisten - gegen den Krieg im Gaza-Streifen. Die, die von der Kundgebung nach Hause gingen, mussten an den neun vorbei.