Kommentar

Wenn sich alle einig sind, ergibt sich keine Debatte

Es ist schon fast zum Ritual geworden: Wann immer sich der schweizer Autor Hugo Stamm kritisch mit dem christlichen Glauben, mit Freikirchen oder der katholischen Kirche auseinandersetzt, greifen Gläubige zum Stereotyp des "Christen-Bashings". Dem Vorwurf folgt oft die Aussage, er würde christliche Gemeinschaften kritisieren, den Islam aber schonen.

Dann folgt oft das Killerargument: Mir fehle der Mut, den Islam in die Zange zu nehmen, ich sei schwach und feige. Nun darf natürlich jeder seine eigene Meinung haben. Wünschenswert wäre allerdings, wenn sich die Kritiker zuerst informieren würden, bevor sie ihre Pauschalurteile in Kommentare gießen.

Ich glaube, behaupten zu können, nicht ängstlich zu sein. Ich setze mich seit 1974 mit sektenhaften Gruppen und Bewegungen auseinander. So begann ich als "Tagi"-Journalist, über Scientology zu recherchieren und schrieb schließlich ein Buch über die Sekte. Seither bin ich auf der Liste ihrer Feinde weit oben, zumal ich insgesamt mehrere hundert Artikel über Scientology publiziert habe. Auch Dutzende andere sektenhafte Gruppen habe ich nie geschont.

Außerdem habe ich bei rund 1.000 Vorträgen und vielen Medienauftritten stets Klartext gesprochen. Ich scheute mich auch in meinen Artikeln nicht, Sektenführer und sektenhafte Gemeinschaften mit ungeschminkten Worten zu kritisieren.

Angriffe und Steine im Schlafzimmer

Das Resultat waren über 100 Strafanzeigen und rund 50 Prozesse. Selbst diese rechtlichen Angriffe konnten mich nicht an meiner Aufklärungsarbeit hindern. Ich wurde beschattet, nach einem Vortrag niedergeschlagen, Steine flogen des nachts in mein Schlafzimmer – auch diese Repressionen verschiedener Sekten steckte ich weg.

Ich habe auch keine Angst, mich kritisch mit dem Islam auseinanderzusetzen. Ich tat es gelegentlich im Blog und in Fernsehauftritten, unter anderem in der "Arena". Es gibt aber klare Gründe, weshalb ich den Islam und islamische Gemeinschaften seltener thematisiere.

Zum einen: Die meisten Muslime, die bei uns ansässig sind, praktizieren ihren Glauben nicht oder leben ihn moderat. Sie sind nicht auffällig, missionieren nicht und stören niemanden. Sie geben deshalb keinen Stoff für einen Text in meinem Blog her.

Zum andern: Die problematischen Gruppen sind ohnehin im Visier der Medien, der Öffentlichkeit, dem Nachrichtendienst und der Polizei. Die kleinsten Auffälligkeiten in diesen gefährlichen Milieus sorgen für dicke Schlagzeilen.

Deshalb ist es müßig, wenn ich diese Ereignisse ebenfalls aufnehme, zumal es bei uns bisher noch keine Anschläge gegeben hat. Das würde nur Sinn ergeben, wenn ich selbst neue Fakten und Erkenntnisse aufspüren würde.

Meine Zurückhaltung beim Thema Islam hat also nicht mit Angst oder Feigheit zu tun, sondern mit sachlichen und journalistischen Gründen. Um alle Zweifel auszuräumen, gebe ich auch hier ein Statement ab:

Ja, islamistische Gruppen und Bewegungen, die Krieg führen und Terroranschläge verüben, sind Mörderbanden. Islamisten, die unschuldige Personen wahllos ermorden, handeln abscheulich, sind skrupellos, entmenschlicht, gehirngewaschen, brutal. Auch die Fanatiker, die die Missionarin Beatrice Stöckli entführt und bestialisch ermordet haben, müssen als Unmenschen bezeichnet werden.

Kein Beitrag zu Radikalisierungstendenzen

Und nun? Wo liegt der Erkenntnisgewinn meiner Aussagen? Was ist erhellend oder überraschend daran? Nichts. Das alles wissen wir längst. Schließlich gibt es kaum eine Frage, in der sich die Gesellschaft so einig ist wie bei der Beurteilung der Islamisten und ihrer verbrecherischen Organisationen.

Was soll ich da noch schreiben, was soll man diskutieren? Denn alle Kommentatoren und Kommentatorinnen würden sich zu Recht gegenseitig bestätigen, wie schlimm die Islamisten sind.

Es gibt auch einen praktischen Grund für meine Zurückhaltung. Texte zu islamischen Fragen ziehen reflexartig Islamhasser an. Das kann zu einer Vergiftung des sozialen Klimas führen. Moderate Muslime werden dann oft mit den Fanatikern in einen Topf geworfen.

Dabei fühlen sich manche Muslime ausgegrenzt und sind eher empfänglich für die missionierenden Fanatiker. Es kann nicht sein, dass ich seit über 40 Jahren gegen Radikalisierungstendenzen in religiösen Gemeinschaften kämpfe, um schließlich selbst einen Beitrag dazu zu leisten.

Übernahme mit freundlicher Genehmigung von watson.ch.

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