Koalitionsverhandlungen:

Kommt es zur Reform des kirchlichen Arbeitsrechts?

Auf die Agenda der Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gehören auch Reformen zur Sonderrolle der Kirchen, schreibt der Sozialethiker Hartmut Kreß in der neuesten Ausgabe der Online-Zeitschrift Weltanschauungsrecht aktuell. Es handele sich dabei um ein Problem von großer gesellschaftlicher Tragweite, das lösbar wäre, ohne Kosten beim Staat zu verursachen.

"Unter den drei Parteien der geplanten Regierungskoalition besteht inhaltlich ein sehr starker, praktisch vollständiger Konsens, die Grundrechte und die ArbeitnehmerInnenrechte der kirchlich Beschäftigten besser zu schützen", stellt Kreß in seinem Artikel "Neue Bundesregierung: Reform des kirchlichen Arbeitsrechts in Aussicht" fest, der vor wenigen Tagen in der Online-Zeitschrift des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw) erschienen ist. Der emeritierte Sozialethik-Professor der theologischen Fakultät Bonn stützt sein Urteil dabei auf eine Analyse der jeweiligen Beschlusslagen von SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen.

Nachdrücklich weist Kreß in diesem Zusammenhang auf die große gesellschaftliche Tragweite des Problems hin – sind Caritas und Diakonie doch die größten nichtstaatlichen Arbeitgeber Deutschlands, die aufgrund ihrer privilegierten Sonderrolle ihren Beschäftigen viele Rechte verwehren. Von den Kirchen selbst gehe auf diesem Gebiet kein Reformwille aus, meint der ehemalige Theologieprofessor, sie seien allem Anschein nach nur dann zu Reformen bereit, wenn ihnen diese durch äußeren Druck aufgezwungen werden.

Umso wichtiger sei es deshalb, dass die neue Bundesregierung ihrem verfassungsrechtlichen Auftrag nachkomme. Sie könne "eine moderne Gesetzeslage schaffen, die derjenigen in anderen europäischen Staaten näherkäme und die den individuellen Grundrechten der in kirchlichen Einrichtungen Beschäftigten Rechnung trüge". Für Unternehmen in kirchlicher Trägerschaft würde dann nur jener "Tendenzschutz" greifen, der für Unternehmen oder Betriebe mit "politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen" Ausrichtungen generell gilt. "Auf dieser Grundlage", so Kreß, "könnten Kirchenunternehmen weiterhin im Sinne ihres religiösen Ethos handeln. Allerdings dürften sie nicht mehr wie bisher die Grundrechte von Beschäftigten beschneiden, die keine Verkündigungs- oder konzeptionellen Leitungsaufgaben erfüllen; und es wäre für sie nicht mehr möglich, sich aus dem staatlich normierten System der Mitbestimmung auszugrenzen und Tarifverhandlungen zu verweigern."

Eine historische Chance

Im Unterschied zu anderen großen Reformprojekten, die in der 20. Legislaturperiode realisiert werden sollen, würde eine politische Reform des kirchlichen Arbeitsrechts dem Staat keine Kosten verursachen und keine Finanzierungsprobleme aufwerfen. Auch deshalb erkennt Kreß in der derzeitigen politischen Konstellation eine historische Chance:

"Rechtsgeschichtlich erklären sich manche problematischen Privilegierungen der Kirchen (…) aus dem großen Einfluss der katholischen Zentrumspartei im Jahr 1919 und in den nachfolgenden Jahren, sowie aus der Ära der Adenauerrestauration im Westdeutschland der Nachkriegszeit. Für die potenzielle Regierungskoalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP bietet sich jetzt die Chance, (…) Reformen in Gang zu bringen, die der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) entsprechen. Zugleich würden die Impulse der sozialliberalen Koalition der 1970er Jahre fortgeführt, die gegen den heftigen Widerstand der Kirchen die Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch oder das Ehe-, Ehescheidungs- und Familienrecht modernisiert hatte. Es sprechen starke Gründe dafür, an diese Linie der säkularen Rechtspolitik und der Modernisierung anzuknüpfen und sie in der neuen Legislaturperiode politisch fortzuentwickeln."

Sollte die Ampelkoalition sich zu einer grundlegenden Reform des kirchlichen Arbeitsrechts entschließen, wäre dies auch ein Erfolg der Kampagne "Gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz" (GerDiA), die seit 2012 die Missstände im kirchlichen Arbeitsrecht kritisiert. Es ist vor allem der Sprecherin der Kampagne, der ehemaligen FDP- und SPD-Spitzenpolitikerin Ingrid Matthäus-Maier, zu verdanken, dass das Thema in den 2010er Jahren breit diskutiert und mit mehreren Sondersendungen in Rundfunk und Fernsehen bedacht wurde. Schon 2018 hatte Matthäus-Maier nach dem Bekanntwerden des sogenannten "Chefarzt-Urteils" des Europäischen Gerichtshofs den "Anfang vom Ende des kirchlichen Arbeitsrechts" prognostiziert:

"Ärzte sollen heilen und nicht missionieren! Das hat die Kirche bis heute nicht verstanden. Deshalb muss der Gesetzgeber aktiv werden. Die bisherige Passivität der Politik ist unerträglich. Es ist den Angestellten der Kirchen nicht zumutbar, sich einzeln durch die Instanzen zu klagen, um zu ihrem Recht zu kommen. Das kirchliche Arbeitsrecht muss abgeschafft und Diakonie und Caritas endlich behandelt werden wie jeder andere Wohlfahrtsverband auch!"

Erstveröffentlichung auf der Webseite der Giordano-Bruno-Stiftung.

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