"Die Zeugen Jehovas haben im Anerkennungsverfahren falsche oder beschönigende Angaben gemacht. Die Verleihung des Körperschaftsstatus an die Zeugen Jehovas in den deutschen Bundesländern muss folglich rückgängig gemacht werden." Zu diesem Fazit gelangt das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) in einem juristischen Kommentar, der gestern veröffentlicht wurde.
Die deutschen Zeugen Jehovas hatten die Europäische Föderation der Zentren für Forschung und Information über das Sektenwesen (FECRIS) vor dem Landgericht Hamburg auf Unterlassung verklagt, um die Streichung von 32 Zitaten von der deutschsprachigen FECRIS-Website zu erreichen. In seinem Urteil vom 27.11.2020 stellte das Landgericht Hamburg fest, dass innerhalb der deutschen Zeugen Jehovas unstreitig "Kontakt zu ehemaligen Mitgliedern einschließlich Verwandten vermieden werden soll." Für das Landgericht stellen die Praxis des Gemeinschaftsentzugs zusammen mit den weiteren "zahlreichen für die Mitglieder vorgegebenen Verhaltensweisen", insbesondere der Ablehnung von Bluttransfusionen, die "notwendigen Anknüpfungstatsachen" für die Einschätzung dar, dass die "aggressive Entfremdung von der Gesellschaft und dem Staat" charakteristische Merkmale der Zeugen Jehovas seien.
Julius Rupprecht, der das inzwischen rechtskräftige Urteil für das ifw kommentierte, geht in seiner Analyse auch auf die frauenfeindliche Atmosphäre ein, die innerhalb der deutschen Zeugen Jehovas vorherrscht. So ist es nach Auffassung des Landgerichts "unstreitig, dass die Klägerin in ihren Schriften äußert, dass eine Frau keine Macht über ihren Körper habe, was gerade auch sexuelle Handlungen ohne bzw. gegen den Willen der Frau zuließe". Angesichts der strikten Ablehnung von Bluttransfusionen, Homo- und Transsexualität sowie der Lehren, dass Nicht-Zeugen "das Werk Satans und dem Untergang geweiht seien" und somit "als grundsätzlich 'böse' klassifiziert und herabgewertet" werden, und "dass Frauen sich […] ihren Ehemännern unterordnen müssen und innerhalb der Versammlung bestimmte Positionen, wie z. B. die eines Ältesten, nicht bekleiden dürfen", würden die notwendigen Anknüpfungstatsachen dafür vorliegen, die deutschen Zeugen Jehovas zulässigerweise als eine Bewegung zu bezeichnen, "welche die fundamentalen Menschenrechte missachtet".
Körperschaftsstatus muss überprüft werden
Wie Julius Rupprecht in seinem Kommentar darlegt, entfalten zivilgerichtliche Urteile zwar lediglich Bindungswirkung zwischen den Streitparteien, "allerdings geht von jedem Gerichtsurteil eine erhebliche faktische Bindungswirkung auf andere Gerichte und Behörden aus, insbesondere, wenn zum Sachbereich keine oder nur veraltete obergerichtliche Rechtsprechung vorliegt". Die größte inhaltliche Relevanz besitze das Urteil des Landgerichts Hamburg für die Frage, "ob die Verleihung der Rechtsform der Körperschaft öffentlichen Rechts, die die Zeugen Jehovas zwischen 2006 und 2015 in allen Bundesländern erlangt haben, aufgrund eines Fehlens der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Kriterien der Rechtstreue und Nichtbeeinträchtigung oder -gefährdung der staatlichen Schutzpflicht für die Grundrechte Dritter rückgängig gemacht werden muss".
Daraus erwächst nach Auffassung des ifw "einerseits die Pflicht aller staatlichen Stellen, genauen Beweis über jede Missachtung der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Kriterien seitens der Zeugen Jehovas zu erheben. Andererseits ergibt sich daraus, dass nach der umfassenden heutigen Datenlage die Voraussetzungen des Status der Körperschaft öffentlichen Rechts nicht vorliegen und nie vorgelegen haben." Folglich müsse den Zeugen Jehovas der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts entzogen werden.
Ohnehin seien die Existenz des Status der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften als Körperschaft öffentlichen Rechts und das damit einhergehende "Privilegienbündel" aus einer Vielzahl von Gründen politisch abzulehnen. Zu diesen Privilegien zählen unter anderem das Steuererhebungsrecht sowie massive Steuervergünstigungen, Sendezeiten im Rundfunk sowie die Freistellung vom Betriebsverfassungs- und Tarifrecht. Zudem müssen in diesem Zusammenhang weitere gesellschaftliche Folgewirkungen beachtet werden: Schon in der Vergangenheit hatten das ifw und die Giordano-Bruno-Stiftung darauf hingewiesen, dass nicht zuletzt auch der scheinbar unantastbare, mit keinerlei Überprüfungen einhergehende Status der katholischen Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts dazu beigetragen habe, dass der kirchliche Missbrauchsskandal so lange unter den Teppich gekehrt werden konnte. Wäre die Kirche keine Körperschaft des öffentlichen Rechts, sondern ein Verein wie jeder andere, wären die Staatsanwaltschaften zweifellos sehr viel früher eingeschritten, was unzähligen Kindern und Jugendlichen schreckliches Leid erspart hätte.
Im Zusammenhang mit den Zeugen Jehovas sind dieses Jahr bereits verschiedene Staaten aktiv geworden. So planen bzw. prüfen Schweden, Norwegen und Island die Streichung staatlicher Beiträge, weil die Religionsgemeinschaft gegen grundlegende Rechte ihrer Mitglieder verstoße. Lettland überprüft, ob die Zeugen Jehovas verfassungskonform sind. In den Niederlanden soll eine Untersuchung zum Thema Ächtung eingeleitet werden. Auch in Deutschland waren die Zeugen Jehovas jüngst Thema. Die seitens der Bundesregierung eingesetzte Aufarbeitungskommission hat im Mai 2022 im Rahmen eines Pressegesprächs und anschließender Pressemitteilung sexuelle Gewalt gegen Kinder bei den Zeugen Jehovas thematisiert.
Erstveröffentlichung auf der Website der gbs.
8 Kommentare
Kommentare
Roland Fakler am Permanenter Link
Alle drei abrahamitischen Religionen sind mit ihren Variationen in ihren Fundamenten demokratie-, frauen- und menschenrechtsfeindlich.
Ähnliche Probleme gibt es nämlich mit den Ahmadiyya – Muslimen Siehe dazu meinen Erfahrungsbericht http://rolandfakler.de/ahmadiyya/
David Z am Permanenter Link
Sehr interessanter Erfahrungsbericht. Deckt sich 1:1 mit den meinen.
Roland Weber am Permanenter Link
Religions- und Glaubensfreiheit wurden nicht gewährt, weil sich allgemein die Auffassung durchgesetzt hätte, diese seien besonders vertrauens- und förderungswürdig, sondern um die kriegerischen Auseinandersetzungen -
Der Bezug zur katholischen Kirche wurde im Beitrag bereits hergestellt, aber auch die Förderung des Islams und dabei auch die Übernahme eines islamischen Religionsunterrichts seitens des Staates müssten somit eigentlich auf den Prüfstand. Eine Überprüfung würde ergeben, dass auch bei diesen Religionsgemeinschaften Menschenbilder (Frauen/ Sexualität/Toleranz) zugrundegelegt werden, die mit dem deutschen Verfassungsrecht nicht zu vereinbaren sind. Man mag glauben, was überliefert wurde, aber schon die Grundgedanken sind mit den heutigen Erkenntnissen und Wertungen nicht mehr vereinbar. Das gilt ausdrücklich auch für das Gehormsamsgebot gegenüber den Herrschenden, das in den Schriften ausdrücklich oder implizit gefordert und angemahnt wird.
Die generelle Trennung von Kirche/Glaubensgemeinschaften und Staat wird aber noch lange auf sich warten lassen. Die Befürworter und die zunehmend wachsende Anzahl generell gesellschaftlich Desinteressierten stellen auch in Zukunft immer die Mehrheit - auch wenn die Kirchenmitgliederzahlen bzw. die Anzahl der Gläubigen sinken.
A.S. am Permanenter Link
[Sarkasmus ein]
Unter Vortäuschung passender "Tatsachen" erreichen die Religionen doch ihre Ziele. Darin gut zu sein ist das entscheidende Qualitätsmerkmal.
[Sarkasmus aus]
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Wo ist der Unterschied der Zeugen Jehovas zu den beiden Kirchen im Lande?
alle versuchen ihre kriminellen Tätigkeiten hinter dem Status ,Körperschaft des öffentlichen Rechts, zu verbergen.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Schräg genug, dass diese Sekte den Status überhaupt mal erhalten hat.
Aber in unserer Kirchenrepublik ist ja alles möglich.
David Z am Permanenter Link
Volle Zustimmung. Im Zuge der Re-Evaluierung aber bitte konsequent sein und auch andere, wie zB die Religionsgemeinschaft Ahmadiyya, überprüfen.
Tottsworld am Permanenter Link
Vielleicht sollte man generell alle Religionen mal zügig abschaffen, sie spalten die Menschen und fördern Nationalismus , siehe aktuelle Konflikte.