Boris Böhmann, Domkapellmeister des Freiburger Münsters, wird zu Ende Februar gekündigt. Damit sind nicht alle einverstanden. In der Folge entwickelte sich eine Dynamik, die die Verantwortlichen im Erzbistum Freiburg vor bisher unbekannte Herausforderungen stellt. Der Umgang damit gibt viel über die Befindlichkeiten von mächtigen Männern in der katholischen Kirche preis.
Einem Domkapellmeister wird gekündigt. So etwas kommt vor, auch in der katholischen Kirche. Im Fall Böhmann allerdings sind die aktiv Musizierenden, ihre Eltern und auch viele Gemeindemitglieder mit seiner Arbeit sehr zufrieden. Den Herrn Erzbischof ficht das nicht an. Bei Zeit Online wird die Elternvertretung der Domsingknaben wie folgt zitiert: "Wir sind bestürzt über die unnachgiebige und verständnislose Haltung der Verantwortlichen der Erzdiözese, insbesondere des Dompropstes Dr. Peter Birkhofer und des Erzbischofs Stephan Burger".
Die Gläubigen begehren auf
Herr Burger wird wohl gewohnt sein, dass er nur ein Machtwort sprechen muss, um abweichende Meinungen zu unterbinden. In diesem Fall hat das nicht funktioniert, denn es formiert sich Widerstand. Anfang Dezember wird eine Petition für den Verbleib von Boris Böhmann in seinem Amt initiiert, die schon über dreitausend Unterschriften gesammelt hat.
In der Christmette im Freiburger Münster kommt es nach einem Lied der Domsingknaben zu fünfminütigem Applaus. Auf der Seite katholisch.de wird dies als "Eklat" gewertet. Klatschen in einem Gottesdienst ist in Deutschland zwar unüblich, aber ob Eklat das angemessene Wort ist, ist fraglich. In evangelikalen Messen in den USA ist das Alltag und Dionne Warwick oder Whitney Houston wären wohl enttäuscht gewesen, wenn sie nach einer Gesangsdarbietung in der Kirche keinen Applaus bekommen hätten. Das Management von VW wurde in den vergangenen Wochen – wegen der anstehenden Entlassungen – mit deutlich heftigeren Kundgebungen konfrontiert. Statt Eklat könnte man die Aktion auch als friedlichen Protest bezeichnen, wobei Zeit und Ort taktisch klug gewählt wurden.
Die Lage eskaliert weiter
Wegen dieses "Eklats" wird Boris Böhmann mit sofortiger Wirkung von allen Aufgaben freigestellt. Warum wird der Mann bestraft, der gar nicht aktiv an dem Protest teilgenommen hat? Erzbischof Burger begründet dies wie folgt: "Die Messen seien mutwillig gestört worden. Für Störungen gebe es dabei keinen Platz – auch nicht an Weihnachten. 'Der Leiter der Chöre hat dies mindestens gebilligt.'" Aber damit nicht genug. Auch die von Böhmann betreuten Sängerinnen und Sänger werden für den Silvester-Gottesdienst ausgeladen und die Schlösser der Domsingschule ausgetauscht. Die Betroffenen teilen dazu mit: "Wir empfinden dieses klerikale Vorgehen als zutiefst strafend, respektlos und erniedrigend."
Während des Silvester-Gottesdienstes kommt es zu einem weiteren Protest. Etwa zehn Böhmann-Unterstützende kehrten dem Erzbischof bei seiner Predigt den Rücken zu und trugen Masken oder hielten sich die Hand vor den Mund. Einer der Protestierenden wurde nach draußen begleitet. Herr Burger teilte mit, es sei jetzt Zeit für einen Neuanfang in der Dommusik. Mit anderen Worten: Ich, Erzbischof Burger, habe meine Entscheidung getroffen und werde sie nicht ändern, findet euch damit ab.
Wie am Samstag bekannt wurde, hat die Elternvertretung der Domsingknaben angekündigt, ihre Kinder – insgesamt 100 Jungen – bis auf Weiteres nicht in die Domsingschule zu schicken. Erzbischof Burger wird vorgeworfen, den Konflikt "auf dem Rücken der Kinder" auszutragen.
Der Erzbischof sieht sich nicht in der Verantwortung
Wie sieht Herr Burger seine Rolle in dem Fall? Auf domradio.de kann nachgelesen werden: "Es sei durch die öffentlichen Auseinandersetzungen innerhalb des Erzbistums eine belastende Situation entstanden. Das gelte auch für ihn ganz persönlich." Herr Burger hat einen Schuldigen gefunden: "die öffentliche Auseinandersetzung", also die anderen, die es gewagt haben, eine abweichende Meinung zu artikulieren. Ihn selbst trifft keine Schuld. Im Gegenteil, er leidet unter der "belastenden Situation". Die Wahrheit ist aber, er hat Boris Böhmann entlassen, er hat ihn freigestellt, er hat die Sängerinnen und Sänger ausgeladen, er hat Schlösser austauschen lassen. Dass er sich dann auch noch als Opfer inszeniert, sagt viel über seinen Charakter aus.
Die katholische Kirche predigt viel über Nächstenliebe, Mitgefühl und Empathie, sogar seine Feinde soll man lieben. Im Umgang mit Domkapellmeister Böhmann zeigt sie ein anderes Gesicht. Sie beharrt engstirnig auf der eigenen Meinung, ist bei Widerworten sofort eingeschnappt, fühlt sich dann als Opfer und reagiert mit überzogenen Gegenmaßnahmen. Herr Burger musste fünf Minuten Applaus in der Messe "ertragen". Böhmann verliert sieben Jahre vor seinem Ruhestand seine Beschäftigung und die Sängerinnen und Sänger – die Woche für Woche viele Stunden üben – werden kurzfristig ausgeladen. Wer hat mehr unter der "belastenden Situation" zu leiden? Wer könnte sie beenden?
Können wir etwas daraus lernen?
1989, bei den Montagsdemonstrationen in der DDR, skandierten die Menschen auf der Straße: "Wir sind das Volk". Man möchte den protestierenden Menschen in Freiburg zurufen: "Ihr seid die Kirche". Es ist zu hoffen, dass in Zukunft weitere katholische Laiinnen und Laien unüberhörbar ihre Meinung gegenüber der "Obrigkeit" kundtun, wenn sie es für angebracht halten.
Aus humanistischer Sicht wäre es wünschenswert, wenn die Gläubigen das unchristliche Vorgehen des Erzbischofs als Anlass nähmen, zu reflektieren, ob die katholische Kirche insgesamt noch zeitgemäß ist. Auch außerhalb der katholischen Kirche kann man Christ sein, man kann sogar ein guter Mensch sein, ohne Christ zu sein. Im Umkehrschluss ist nicht jeder Christ zwangsläufig ein guter Mensch, selbst wenn er Bischof ist.
17 Kommentare
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Kommentare
Petra Pausch am Permanenter Link
Eine ganz wichtige Frage beantwortet der Artikel leider nicht: WESHALB wurde dem Domkapellmeister gekündigt? Bevor ich den Vorgang richtig bewerten kann bräuchte ich diese wichtige Information.
Stefan Dewald am Permanenter Link
»Erzbischof Burger hatte die Kündigung Böhmanns mehrfach verteidigt. Sie sei "nach Jahren des internen Streits der letzte Ausweg" gewesen.
Ich gehe davon aus, wir werden es nie erfahren.
HuGo am Permanenter Link
Diese Frage ist überaus berechtigt und wird erst beantwortet werden können, wenn juristische - kirchliche und ggf. auch weltliche - Fragen geklärt sind und dazu antworten vorliegen.
Klaus Bernd am Permanenter Link
Das treibt auch mich um, Fr. Pausch. Und es wirft Fragen auf:
Aber zunächst einmal wird der gute Ruf von H. Böhmann auf hinterlistige Weise beschädigt. Kommen einem da nicht automatisch Vorfälle in anderen kirchlichen Chören in den Sinn ? Die „heilige“ Aura eines Bischofs suggeriert ja vielen Gläubigen, ER habe bestimmt „gute“ Gründe.
Man kann nur hoffen dass in weltlichen Gerichtsverfahren die Wahrheit ans Licht kommt.
Wolfgang von Sulecki am Permanenter Link
Es hilft ungemein auch die Links im Artikel zu lesen .... diese stehen bestimmt aus gutem Grund dort.
Petra Pausch am Permanenter Link
Da steht „Die Gründe für die Kündigung liegen in den tiefgreifenden Streitigkeiten in der Dommusik.
Thomas Rindt am Permanenter Link
Zu den Hintergründen und der suspekten Vorgehensweise des "christlichen" und "gut katholischen" Arbeitgebers empfiehlt sich die Lektüre des Artikels in der FAZ:
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-und-konzert/wie-freiburg-mit-seinem-domkapellmeister-umspringt-110187088.html
Petra Pausch am Permanenter Link
Danke für den Link. Hier wird erklärt, dass es letztlich um Mobbing gegen den Domkapellmeister geht.
Uwe Bernd Baumeister am Permanenter Link
Vielleicht könnte das der Grund sein:
Auch Regensburg könnte vielleicht noch "Probleme" bekommen:
"Die Regensburger Domschule, Heimat der berühmten Domspatzen, hat im Jahr 2022 mit einer tausend Jahre alten Tradition gebrochen. Erstmals beherbergt die Schule einen eigenen Mädchenchor."
Dafür bleibt bei den "Thomanern" alles beim alten:
"Der Thomanerchor bleibt ein reiner Knabenchor. Der Leipziger Stadtrat lehnte im Januar 2023 mit großer Mehrheit einen entsprechenden Antrag ab."
Therese Ju am Permanenter Link
Grossartiger Artikel! Es geht schon lange nicht mehr um den Kündigungsgrund, sondern darum, wie hier mit Menschen umgegangen wird!!!
AW am Permanenter Link
Ach so. Jetzt sorgen wie uns schon um Domkapellmeister.
Ich nicht !
B.Speckert am Permanenter Link
Keiner der bisher veröffentlichten Artikel hinterfragt die Rolle des Domkapellmeisters.
Stefan M. am Permanenter Link
Herr Böhmann hat mehrfach (!) Abmahnungen erhalten. Er ist es, der das Domkapitel von der Schweigepflicht entbinden könnte.
So käme Licht ins Dunkel.
Dies tut er nicht.
Warum nur?
helmuth Dau am Permanenter Link
Soweit ich den FAZ Artikel verstanden haben, wird der Kuendigungsgrund "aus Datenschutzgruenden" selbst dem Gekuendigten nicht offenbart.
Vor dem Arbeitsgericht ist seine Kuendigungsschutzklage abgeweisen worden, weil er Angestellter einer Kleinfirma (unter 10 MA) ist und es dort keinen Grund braucht um gekuendigt werden - rechtlich alles in Ordnung. Es gibt keinen Grund und braucht auch keinen. Das mit dem Datenschutz ist Bloedsinn, wie so oft, wenn Datenschutz vorgeschoben wird.
"Sachlich" habe ich keine Ahnung, was da vor sich geht und ist mir auch egal. Allein das Rumtricksen mit der Gruendung einer Kleinfirma um Schutzmassnahmen zu umgehen und dann von Seiten einer so hehren Institution, erzeugt mir leichten Unmut.
Stefan M. am Permanenter Link
Er hat mehrfach! Abmahnungen erhalten, er weiß mit Sicherheit worum es geht.
Christoph Pola am Permanenter Link
Die Gründe sind doch in ganz Freiburg bekannt: Es gibt künstlerische und darum auch persönliche Differenzen zwischen Herrn Böhmann und Frau van Lengerich, Leiterin der Mädchenkantorei.
Petra Pausch am Permanenter Link
Nun, ich wohne nicht in Freiburg und kannte die Gründe nicht. Daher meine Frage und daher nun mein Dank an Sie für die Aufklärung.