Der schöne Schein

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Foto: Dieter Schmitt (CC-BY-SA-3.0-migrated)

MÜNSTER. (hpd/miz) Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, folgt dem ehemaligen Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Das beschlossen die deutschen Bischöfe auf ihrer Frühjahrsvollversammlung vom 10. bis 13. März im westfälischen Münster. Begleitet wurde die Konferenz von Protesten gegen die Diskriminierung Homosexueller.

 

Nett wirkt er, der neue deutsche Chef-Bischof Marx. Jovial. Ein Stammtisch-Typ zum Anfassen. Und auf dieses Image legt der gebürtige Westfale auch großen Wert. Noch heute, längst wohnhaft im fernen Bayern, ist er aktiv im Vorstand der St. Sebastianus-Schützenbruderschaft seiner Heimatgemeinde Geseke – eine westfälische Kleinstadt bei Paderborn, die besonders stolz darauf ist, dass sie im Dreißigjährigen Krieg den einfallenden Protestantenhorden länger die Stirn bieten konnte, als jede andere Stadt im katholischen Westfalen. Als regelmäßiger Gast auf den heimatlichen Schützenfesten zeigt sich der Kardinal spendabel und gibt auch gern mal eine Runde Bier aus. “Kirchensteuer-Rückerstattung” pflegt er das zu nennen.

Mit seiner inszenierten Volksnähe fügt sich Kardinal Marx ideal in das neue Bild, das die katholische Kirche seit der Ära Franziskus in der Öffentlichkeit von sich zu zeichnen versucht: weltoffen, freundlich, Fürsprecher der Armen. Denn auch was das letzte Thema angeht, kann Marx punkten. Schon im Studium hat er sich auf den Schwerpunkt Sozialethik verlegt. In seinen Büchern und als regelmäßiger Gast in Fernsehtalkshows prangert Medienprofi Marx die Allmacht des Kapitals an, fordert vom Staat klare Regeln für die Wirtschaft und einen besseren Schutz der Armen.

Die katholische Imagekampagne wirkt. Wer Franziskus lächeln sieht und Marx gegen das Kapital wettern hört, der hat die Missbrauchsfälle der letzten Jahrzehnte schon fast vergessen – und auch das millionenschwere Mussolini-Kapital, mit dem die Kirche der Armen ihr weltweites Immobilienimperium aufbaute. Hinter ihrem neuen, freundlichen Gesicht ist die Kirche jedoch die alte geblieben: machtorientiert, undemokratisch und konservativ. Das gilt auch für Kardinal Marx.

Machtmensch Marx

Marx ist nicht einfach irgendein deutscher Erzbischof. Schon seit Jahren sammelt er wichtige Ämter und ist Mitglied in einflussreichen Gremien. Vor allem in Rom, aber auch auf europäischer Ebene. 2010 von Benedikt XVI. zum Kardinal erhoben, wurde Marx kurz darauf Mitglied der vatikanischen Kongregationen für das katholische Bildungswesen und für die orientalischen Kirchen. 2012 wählte man ihn zum Präsidenten der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (COMECE) – einer christlichen Lobbyorganisation mit dem Ziel, christliches Gedankengut in der Europapolitik zu verankern.

Ganz besonderes Vertrauen setzt Franziskus in Marx. 2013 berief er ihn in eine achtköpfige Kardinalsgruppe, die den Papst bei der Leitung der Weltkirche beraten soll. Auch Überlegungen zur Neustrukturierung der römischen Kurie – ein zentrales Thema für Franziskus – gehören zum Aufgabenbereich der achtköpfigen Gruppe. Wie viel Franziskus von Marx hält, zeigt auch dessen Ernennung zum Koordinator des neu errichteten päpstlichen Wirtschaftsrates am 8. März 2014. Der Rat besteht aus acht Kardinälen und sieben Wirtschaftsexperten und soll über die Strukturen und die wirtschaftlichen und administrativen Angelegenheiten des Vatikan wachen. Mit anderen Worten: Kardinal Marx ist derzeit einer der führenden Köpfe Roms, der führende Bischof Europas und nun auch noch der führende Oberhirte Deutschlands.

Schein und Sein

Außerhalb von Schützenfesten ist der Machtmensch Marx wesentlich weniger volksnah und offen, als es das von ihm selbst gemalte Bild suggeriert. Der Kardinal spricht regelmäßig davon, wie wichtig ihm Dialog und konstruktive Kritik seien. Aber schon gegenüber kritischen Vertretern seines eigenen Glaubens lässt die Dialogbereitschaft zu wünschen übrig, berichtet Christian Weisner, Sprecher der Kirchenvolksbewegung “Wir sind Kirche”. Im Bistum München und Freising haben Pfarrer sogar eine Protestgruppe gegen ihren bischöflichen Vorgesetzten gegründet, die Initiative Münchner Kreis. Die Mitglieder der Gruppe sind nicht einverstanden mit der Art, in der Marx seit seiner Übernahme des Bistums 2008 Strukturreformen durchführt. Die protestierenden Pfarrer fühlen sich zu sehr von oben regiert, in ihren Interessen und Sorgen zu wenig berücksichtigt und bekamen anfangs monatelang keinen Termin bei ihrem Oberhirten.

Überhaupt scheint es zwischen den Worten und Taten des Münchner Erzbischofs des Öfteren Diskrepanzen zu geben. Wie beim Missbrauchsskandal. Hier forderte Marx medienwirksam Null-Toleranz bei der Aufklärung. Und dann war es ausgerechnet sein Erzbistum, dem der Kriminologe Christian Pfeiffer 2013 Zensur und Vertuschung vorwarf – bis ihm diese Äußerung per Unterlassungsklage untersagt wurde.

Eine delikate Angelegenheit, wurde doch schon im Jahr 2010 gemunkelt, im Bistum München und Freising habe man dafür gesorgt, dass Papst Benedikt alias Joseph Ratzinger nicht in den Missbrauchsskandal verwickelt wird. Während der Führung des Bistums durch Ratzinger Anfang der 1980er Jahre war ein Pfarrer, gegen den bereits Beschuldigungen wegen Missbrauchs vorlagen, weiterhin in der Kinderseelsorge eingesetzt worden. Marx und die Pressestelle des Bistums behaupteten standhaft, dass es keinerlei Beleg dafür gäbe, dass Ratzinger damals von dieser Personalie gewusst habe. Und so wirkte die Kardinalswürde, die Marx im selben Jahr verliehen wurde, auf einige wie eine Belohnung dafür, dass er dem Papst bei der Bewahrung seiner weißen Weste geholfen hat.

Treu zu Rom

Seine unverbrüchliche Treue zu Rom und den dort geschmiedeten Kirchengesetzen hat Reinhard Marx mehrfach demonstriert. im Jahr 2003, damals noch Bischof von Trier, suspendierte er zum Beispiel den Theologieprofessor Gotthold Hasenhüttl vom Priesteramt, weil der es gewagt hat, beim Ökumenischen Kirchentag in Berlin gemeinsam mit evangelischen Christen das Abendmahl zu feiern. Im selben Jahr gestand die Religionslehrerin Bianka Hering ihrem Bischof, dass sie lesbisch ist und ihre Lebensgefährtin geheiratet hat. Der Bischof reagierte nicht auf ihren Brief und die Bitte um ein Gespräch, sondern entzog ihr umgehend die Lehrerlaubnis.

Wer den jovialen Marx aus Talkshows kennt, den mag dieses konservativ-regeltreue Verhalten überraschen. Schließlich wirkt der Kardinal mit seiner Forderung nach einer Reglementierung des kapitalistischen Systems zugunsten der sozial Schwachen doch fast wie ein Linker. Aber das täuscht. Marx ist ein Konservativer. Schon während des Studiums in den frühen 1980er Jahren, als der Großteil seiner priesterlichen Mitstudenten noch vom konziliaren Geist des Zweiten Vatikanums getragen war, schmückte er sich als einer von damals ganz Wenigen mit einem römischen Kragen – dem weißen Halsband des Klerus. Für seine Mitstudenten ein deutliches Signal: hier ist einer, dem die konservativen, vorkonziliaren Werte wichtig sind. Und: Konservative Werte sind für Marx keine Privatsache.