Kommentar

"Euer statisches Identitätsmodell hat keine Zukunft"

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Symbolfoto: AfD-Demonstration

Mit seinen Äußerungen zu Deutschlands Nazivergangenheit löste Alexander Gauland Empörung aus. Hamed Abdel-Samad, Politologe und Islamkritiker, kommentiert die Rede des AfD-Politikers.

Es gibt eine Menge worauf man in Deutschland stolz sein kann: Die Dichter und Philosophen, die Erfinder, der Wiederaufbau nach dem Krieg und das Wirtschaftswunder, die friedliche Wiedervereinigung. Auf das Grundgesetz und die Rechtsstaatlichkeit und darauf, dass Deutschland immer weltoffener und immer beliebter in der Welt wird. Aber dass manche all das ignorieren und ausgerechnet auf die Wehrmacht stolz sein wollen, kann ich nicht verstehen.

Menschen, die ihre Identität in erster Linie in Abgrenzung zu anderen verstehen, haben keine Identität, sondern diese Identität hat sie. Solche Menschen haben keine Gedanken, sondern sind von einem Gedanken besessen. Das gilt für alle Fanatiker, ob Islamisten, Erdoganisten, Rechtsradikale oder sogar manche Rapper, die sich selbst nur aufwerten können, indem sie andere abwerten.

Ich sage allen, die an den Ruinen der Vergangenheit weinen: Euer statisches Identitätsmodell hat keine Zukunft. Ihr werdet darin gefangen gehalten bis ihr daran erstickt. Denn in dieser sich rasant veränderten Welt haben nur elastische und offene Identitäten eine Chance. Eine Identität, die Menschen nicht nach Herkunft, Rasse oder Religion definiert, sondern nach Werten und Charaktereigenschaften.

Es ist die größte Aufgabe unserer Gesellschaft, eine solche Identität gemeinsam zu finden und deren Konturen gemeinsam zu definieren statt uns in den primitiven Hahnenkämpfen zu verwickeln, die all die Errungenschaften dieses Landes, worauf wir alle stolz sind, zunichte machen könnten. Wer für Deutschland kämpfen will, sollte für dieses Gemeinwesen kämpfen, der für alle einen Platz hat, die an es glauben, egal woher sie stammen!

AfD-Wähler sollten Stellung beziehen

Der Gedanke ist richtig, dass die deutsche Identität nicht ewig der NS-Zeit nachhinken muss und dass diese Identität mehr zukunftsorientiert sein sollte. Doch ich verstehe nicht, wie jemand auf der einen Seite einen Schlussstrich unter die Nazi-Verbrechen setzten will und gleichzeitig fordert, stolz zu sein auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen, die von Deutschland ausgingen und zig Millionen Menschen das Leben kosteten.

Genau wie ich immer fordere, AfD-Wähler nicht unter Generalverdacht zu stellen und nicht als Nazis zu beschimpfen, fordere ich auch, dass diese nun Stellung nehmen sollten und diesem Schwachsinn widersprechen. Ich bin erschrocken, dass als Gauland das von sich gab nur Jubel bei seinem Publikum ausbrach und kein einziger Widerspruch zu hören war!

Mit der Politik Merkels unzufrieden zu sein, bedeutet nicht automatisch, jeden Schwachsinn zuzujubeln, der in eine andere Richtung geht. Eine demokratische Partei soll sich nicht nur kritisch mit der Konkurrenz auseinandersetzen, sondern auch mit sich selbst, sonst stagniert sie, radikalisiert sich, oder löst sich selbst von allein auf.